„Na nu? Ich dachte immer Geburtstagsdepressionen wären nur mein Problem. Was machst du hier so allein?"
Leise schlich ich zu der Sitzgelegenheit, die sich vor einer Feuerstelle befand und verpasste meinem Gegenüber mit Sicherheit einen halben Herzinfarkt. Mich anzuschleichen wenn man nicht mit mir gerechnet hatte, war meine besondere Stärke. Neben der Stelle, an der unsere Tourbusse standen, befand sich ein verwilderter Campingplatz, der offenbar seit Jahren nicht mehr genutzt wurde.
Dad verharrte auf der Holzbank und zuckte erschrocken zusammen als er mich hörte, wischte sich dann auffallend über das Gesicht und schniefte leise.
Weinte er?
Da ich ihn nicht entblößen wollte, setzte ich mich taktvoll auf die freie Stelle neben ihm und schwieg, während ich mich innerlich selbst verdammte. Was war ich manchmal doch für ein Elefant im Porzellanladen.
„Ich hab dich gar nicht kommen hören", flüsterte er leise und klang dabei wirklich auffallend verheult.
Angespannt sah ich in den pechschwarzen Nachthimmel. Nur zwei nebenstehende Straßenlaternen sorgten für ansatzweise Licht.
In mir verkrampfte sich alles. Ein heulendes Elternteil war fast so, wie ein Kometeinschlag oder das Verkünden des dritten Weltkriegs.
Mom und Dad waren immer stark gewesen und hatten die zumindest heiklen Phasen ihrer Beziehung und unserer Familie stets unter sich ausgemacht.
Gerade als ich überlegen wollte, wie ich meinen Vater am passendsten auf seine Verfassung ansprechen wollte, begann er von sich aus zu reden.
„Ich hab so viel verpasst", flüsterte er nahezu tonlos, weshalb ich irritiert auf ihn sah. Auch wenn der Schein der Straßenlaterne nur fahl schien, erkannte ich die Umrisse einer Träne, die ihm übers Kinn rannte.
„Was meinst du?", fragte ich ebenso leise und ungewohnt ernst. Normalerweise liebten wir es uns durch sarkastische Kommentare gegenseitig zu überbieten, wussten aber auch wo die Grenzen erreicht waren und Ernst Spaß ablöste.
Er zuckte mit den Schultern, verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Körper sprach Bände.
„Alles. Ich war nicht dabei, als du laufen und sprechen gelernt hast, zu Schulaufführungen und Zeugnisausgaben war Mom und in der Pubertät war ich auch nicht immer für dich da. Ich würde einfach gerne die Zeit zurück drehen, um das alles nochmal mitzuerleben."
„Kannst du aber nicht", sprach ich ehrlich und erhielt darauf ein aufrichtiges Nicken.
„Ich weiß und genau das macht mich gerade richtig fertig."
Ich tat etwas kitschiges, dass ich normalerweise eher selten machte: Ich legte meine Hand auf seine, um ihm zu symbolisieren, dass er mir nicht egal war. Dass ich ihn trotzdem liebte und dass es für mich okay ging, auch wenn man die Zeit nie wieder aufholen konnte.
„18 Jahre. Ich kann nicht glauben, dass das schon wieder so lange her ist."
„Dad, es ist dein Job gewesen. Andere Väter waren auch nicht immer da und manche kümmern sich überhaupt nicht um ihre Kinder."
„Willst du mich jetzt aufmuntern?", fragte er ironisch, weshalb ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte, dann aber wieder ernst wurde.
„Nein. Das ist die Wahrheit. Warst du nicht derjenige, der mir gesagt hat, dass ich im Leben über das froh sein soll was ich habe, weil es immer irgendjemanden gibt, der mehr hat oder besser ist?"
„Das war ein ganz anderer Zusammenhang. Da warst du sieben und wir standen im Spielzeugladen, weil du unbedingt die zehnte Barbie haben wolltest."
„Das lässt sich aber auf alles übertragen. Schau mal, wir hatten euch beide. Wie viele Kinder sind Vollwaisen oder in Pflegefamilien? Ihr habt immer geschaut, dass es uns gut geht. Familie kommt zuerst. Das sind deine Worte und auch wenn du nicht da warst, wusste ich, dass du trotzdem bei mir bist. Das nennt man nämlich Elterngewissen."
Er seufzte, schniefte dann stärker. Entweder hatte ich ihm gerade den Rest gegeben oder er war gerührt über meine Ansage. Vielleicht auch beides.
Kommentarlos legte er mir den Arm um die Schultern und drückte mir einen Kuss auf die dunklen Haare.
„Ach, Süße."
„Mensch, Papa. Jetzt lass dich nicht so hängen. Du hast gerade vor 40 000 Menschen gespielt. Du hast keinen Grund für Minderwertigkeitskomplexe. Nur weil ich jetzt 18 bin, bin ich ja kein anderer Mensch. Wenn hier einer durchhängen müsste, dann bin ich das. Besonders weil ich mich eigentlich immer noch fühle wie 5 ½ und jetzt plötzlich erwachsen sein soll. Ich weiß noch gar nicht was ich mit meinem Leben anfangen will."
Er lachte trotz seiner Tränen. Ich legte ihm müde meinen Kopf auf die Schulter.
„Wenn man in der Vergangenheit lebt, verliert man den Blick fürs wesentliche. Sagt Oma Ollie immer. Sieh es doch mal anders. Auch wenn du nicht so oft da warst, als ich klein war, kannst du mir jetzt und in den nächsten Jahren ganz viel beibringen, indem du mich unter deine Fittiche nimmst und dein musikalisches Wissen an mich weiter gibst."
„Mir würde ein Notfalljob für dich einfallen. Motivationstrainer. Oder Psychologin."
„Spinner", flüsterte ich scherzhaft und rüffelte ihm durch die Haare, was darin endete, dass wir herum kabbelten und schließlich auf dem Boden landeten.
Ich lachte vergnügt, schaute dann wie er in den Nachthimmel.
„Ich habe übrigens ein Geschenk vergessen", reichte er mir schließlich einen Umschlag, den ich misstrauisch begutachtete und schließlich ein gefaltetes Papier hervor holte.
„Eine Woche Vater und Tochter Urlaub", las ich auf dem Gutschein und machte große Augen.
„Im Ernst?"
„Wonach sieht das denn aus."
„Und wohin?"
„Das suchst du dir aus."
„Irgendwo abseits von Menschen. Camping am See. Und es gibt eine Bedingung."
„Welche?"
In seinem Gesicht bildeten sich Fragezeichen.
„Wir lassen unsere Smartphones zu Hause. Beide."
Er sah mich zunächst ernst an, lächelte dann aber.
Ich legte meinen Kopf auf seinen Bauch, während ich die Beine in die gegengesetzte Richtung ausstreckte.
„Da oben. Ich hab ne Sternschnuppe gesehen."
„Und da ist noch eine? Was wünscht du dir?"
„Das darf man nicht verraten. Sonst geht's nicht in Erfüllung."
„Ich glaube, wir wünschen uns das Gleiche."
Er grinste nur.
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somewhere now (Green Day fanfiction)
Fanfiction(Green Day ) Feena darf ihren Vater erstmals auf dessen Tour begleiten. Was sie nicht ahnt: Papa Armstrong ist beruflich alles andere als der folgsame Familienvater und so lernt Töchterchen Feena erstmals eine neue Seite an ihrem Daddy kennen...