12

129 4 0
                                    


-Billie-

„Wie bitte? Du hast ihr Melissentee gegeben? Feena wird dich hassen, wenn sie das herausbekommt", sah mich Mike mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck an, aber ich zuckte nur mit den Schultern.

„Was hätte ich denn machen sollen? Hast du eine bessere Idee?"

Mike druckste herum.

„Nein, aber vielleicht hättest du sie nicht anlügen dürfen."

„Das nennt sich Placebo Effekt und funktioniert meist erstaunlich gut", mischte sich Tré ein, der sich wie der Rest unseres Teams für das anstehende Konzert aufwärmte.

Wir waren nach Feenas Band an der Reihe. Noch ahnten wir nicht, was vor den Auftritten geschehen war.

„Ich erinnere mich an einen gewissen Billie Joe Armstrong, der vor unserer ersten Show in einer Arena in Sheffield verdächtig oft auf dem Klo verschwand", lachte Mike, dem ich einen Schmollmund entgegen warf.

„Gar nicht. Außerdem ist das Jahre her."

„Ach, komm. Wir haben doch genauso angefangen. Die Angst gehört dazu. Sonst bekommst du irgendwann einen Heiligenschein."

In diesem Moment erblickte ich die Bandmitglieder samt meiner Tochter, die uns Freude strahlend entgegen liefen. Feena keuchte und fiel mir eh ich mich versah in die Arme.

„Kind, lass mich leben", rang ich nach Atem, als sie mich im Endorphinrausch mit Küssen überhäufte.

„Das war klasse. Können wir das nochmal machen?"

Ich kämpfte mich frei und löste mich von ihr.

„Ja, vorausgesetzt du hast mich vorher nicht erstickt", wischte ich mir über die Wange und realisierte die rote Farbe an meiner Hand.

„Ih Gitt. Jetzt habe ich überall Lippenstift."

„Heul doch", lachte sie und schnappte nach einem Wasser, das sie gierig austrank.

„Ihr müsst", gab uns unser Manager zu verstehen, weshalb ich ihr noch einmal High five gab und dann rennend in Richtung Bühne verschwand...

__________________

-Feena-

„Vor dem Konzert hat es einen Unfall gegeben."

Nervös spitzte ich die Ohren und verarbeitete nur langsam, was ich da hörte.

„Ein Akrobat ist aus 30 Metern Höhe in die Tiefe gestürzt und gestorben. Vor den Augen des Publikums."

Ich verschluckte mich an meinem Getränk und rang nach Atem.

„Wie bitte? Und da lassen Sie unsere Bands dort oben auf der Bühne spielen?"

Wutentbrannt knallte ich mein Wasser auf den Lautsprecher.

Ich wollte mich bereits in Richtung Bühne begeben, aber eine Männerhand hielt mich zurück.

„Was haben Sie vor?", fragte mich der Veranstalter, aus dessen Griff ich mich empört befreite. Ich sah ihn herausfordernd an. Was für ein Vollpfosten.

„Na, meinen Vater da oben runter holen. Oder wollen Sie feiern, während da gerade eine Leiche geborgen wird?"

„Dafür ist es zu spät. Der Shitstorm ist auf twitter bereits in vollstem Gange", machte mir unser Gitarrist klar und hielt mir sein Iphone entgegen. Verdammt. Allem Anschein hielten uns die Leute vor zu feiern, während jemand zu Tode gekommen war.

„Sie können da jetzt nicht rauf. Wenn Sie das machen, dann riskieren Sie eine Massenpanik. Wir haben über 65 000 Zuschauer hier", feuerte der Veranstalter meine Panik an. Ich hätte ihm vor Verachtung ins Gesicht spucken können.

„Sagen Sie mal? Was für ein widerlicher Mensch sind Sie eigentlich? Hier ist jemand gestorben und Ihnen geht es ausschließlich um die Kohle. Kapitalistenschwein", zischte ich ihm im feinsten amerikanisch entgegen und bewegte mich verärgert in Richtung Backstagebereich, nachdem ich unentschlossen auf den Monitor hinter der Bühne blickte und deprimiert auf meinen nichts ahnenden Vater sah.

Ich wollte mir das nicht antun. Ich konnte die Feierstimmung nicht und meinen unschuldig aussehenden Vater nicht ertragen, während ich wusste, dass jemand sein Leben gelassen hatte.

Ein letztes Mal sah ich abwertend auf den Veranstalter, ehe ich den Rückweg antrat. Geschmacklos und widerwertig.

_______________________________

„Wo ist Dad?"

„Keine Ahnung."

Betretende Blicke von Mike und Frank, die gerade von den schlimmen Neuigkeiten erfahren hatten.

„Nachdem Bill Schneider uns von diesem Todesfall erzählt hat, wollte er allein sein."

„Na, fabelhaft. Und das habt ihr zugelassen? Gerade, wo es das Risiko erhöht, dass er wieder trinkt", murmelte ich und sah mich suchend in der Umgebung um.

Wo konnte er sein?

„Dein Vater ist mündig und kein kleines Kind mehr", schnaubte Onkel Mike, was ich getrost ignorierte.

Ich stiefelte wild darauf los und rannte diffus in der Gegend umher. Dank meines Backstagepasses gelangte ich bis zu den Bussen. Aber dort war er nicht.

Ich lief zurück in den Backstagebereich. Alles war leer. In meiner Ratlosigkeit rannte ich zunächst auf die Toilette, weil ich eigentlich seit über drei Stunden dringend musste. Noch ehe ich in das Damenklo enterte, stieß ich beinahe mit jemandem zusammen und sah in ein vertrautes Gesicht.

Wir blickten einander nur völlig entgeistert an. Ich realisierte sofort, dass er geheult hatte. Als Kind hatte man ein Gespür dafür.

Er versenkte sein Iphone in der Tasche. Offenbar hatte er den kompletten Shitstorm gelesen.

Ich sagte gar nichts, griff nach seinen Händen und nahm ihn einfach in den Arm. Vermutlich brauchten wir das jetzt beide.

„Es tut mir leid", war das erste, was ich hervor brachte. Er nickte mir anerkennend zu und schniefte verdächtig.

„Gib dir nicht die Schuld. Du hast davon nichts gewusst. Es war ein Unfall. Unfälle passieren. Außerdem hätte es immer jemanden gegeben, der sich beschwert. Egal ob ihr das Konzert abgesagt hättet oder weiter gespielt habt."

Er gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich sah ihn traurig an.

„Danke, dass du mich aufbauen willst."

„Das ist meine ehrliche Meinung. Außerdem hast du selbst gesagt, dass die Medien ein ungeahntes Ausmaß annehmen können. Ich hab damals nie verstanden, warum Mom und du so dagegen ward, als ich mit 10 mit meiner damaligen Band vor größerem Publikum spielen wollte. Heute weiß ich, dass du mich schützen wolltest."

Er bewegte nachdenklich den Kopf nach vorn.

„Komm, Ich entführ dich jetzt und wir gehen eine Runde spazieren", schnappte ich nach seinem Arm.

„Und dann versuche ich dich moralisch aufzubauen", gab ich ihm zu verstehen und zog meinen widerwilligen Dad hinter mir her.

Wir liefen zurück zu den Bussen und kletterten gemeinsam über den Zaun. Hinter dem Gelände lag ein abgelegenes Waldstück. Wettertechnisch war es ein schöner Abend. Lau, im Gebüsch zirpten die Grillen.

„Wir holen uns sicher die Grippe des Jahrhunderts", merkte er an, aber ich lachte nur, nahm ihn an der Hand und schlenderte mit ihm den abgelegenen Weg entlang. Keine Menschenseele weit und breit.

„Wenn uns jemand hier auflauert, weiß niemand wo wir sind", gab er mir zu bedenken, was ich sofort entkräftigte.

„Ach, komm. Als ob dich das früher interessiert hätte."

Ich hielt Inne und starrte auf den gegenüberliegenden See.

Wir schwiegen.

somewhere now (Green Day fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt