Der liebe Gott hat einen Engel geschickt

33 4 0
                                    


Weil ich heute schon am PC bin und ich euch gerne noch mehr in mein Leben mit MPS mitnehmen möchte will ich euch heute noch einen Zeitungsbericht vom März 2004 zeigen.
Den habe ich gerade auf unserem Netzwerkspeicher gefunden. Meine Mama hat ihn damals geschrieben 2004 war ich gerade mal 11 Jahre alt

--------------------------------------------------

MARIA

Am 26.Mai 1993 hat uns der liebe Gott einen Engel geschickt.

Der Engel war ein Prachtstück: 54 cm lang, 4670 g schwer, lange schwarze Haare und einfach süß anzusehen. Wir nannten unseren Engel Maria.

Maria entwickelte sich prächtig, mit 6 Wochen hatte sie schon 6 kg, mit 4 Monaten fast 8 kg, und genauso schnell wie sie zunahm, wuchs sie auch. Sie entwickelte sich zu einem wahren Energiebündel, war von Anfang an sehr temperamentvoll und bewies überdurchschnittliches Selbstbewusstsein – was sie in ihrem Leben bitter notwendig haben wird, doch damals wussten wir das nicht. Wir hatten immer große Freude und jede Menge Spaß mit ihr, und so wurde sie 3 ½ Jahre alt. Inzwischen war sie blond geworden, wie es sich für einen richtigen Engel gehört.

Plötzlich, aus heiterem Himmel der Schock unseres Lebens.

Es war mir schon eine zeitlang aufgefallen, dass Maria nicht mehr wuchs und irgendwie hatte ich plötzlich den Eindruck, dass sich ihre Knochen verformten.

So begannen wir mit diversen Untersuchungen und nach drei Monaten stand fest, dass es viel schlimmer war als ich befürchtet hatte: Maria hat kaum einen normalen Knochen. Ihre Rippen schauen aus wie Ruderblätter, ihre Wirbel sind flach und zackig, ihre Fingerknochen laufen spitz zu , einer der wichtigsten Knochen der Halswirbelsäule fehlt überhaupt, und und und....

Maria hat eine Mukopolysaccharidose Typ IVa, Morbus Morquio. Der erste Kommentar, den ich dazu hörte war: Sie wird den Verstand verlieren und sterben. In dem Moment war ich froh, dass nicht ich den Verstand verloren habe. Und das war gut so. Inzwischen sind sieben Jahre vergangen und Maria ist immer noch ein Prachtstück und etwas wirklich ganz Besonderes. Ihre Behinderung ist schwer, aber es ist ganz anders gekommen. Mukopolysaccharidose ist eine sehr seltene Stoffwechselkrankheit, die in verschiedenen Formen auftritt und zumeist das Gehirn zerstört. Marias Form ist eine Ausnahme, denn sie wirkt sich in erster Linie auf die Knochen und das Wachstum aus, zum Teil auch auf die Augen und Ohren (Hornhauttrübung und Schwerhörigkeit).

Es gibt keine Therapie, keine Heilung, MPS lässt sich nicht aufhalten, nicht stoppen.

Tja, und so kam es, dass Maria in den vergangenen acht Jahren nur 3 cm gewachsen ist und nun mit knapp elf Jahren satte 94 cm misst – ihr zweijähriger Bruder ist gerade dabei ihr über den Kopf zu wachsen. Die Deformation der Knochen ist ein anderes Problem. Ganz schlimm ist eine typische Deformation in der Halswirbelsäule, welche tatsächlich lebensbedrohlich ist. Unsere Konsequenz war eine Reise nach Manchester, wo ihre HWS im Bereich der oberen Wirbel versteift wurde als Maria 4 ½ Jahre alt war. „Gell Mama, schön bin ich mit dem Heiligenschein!", war ihr erster Kommentar als sie sich im Speiegel erblickte. Es war eine aufregende und mühsame Zeit die sie anschließend mit Heiligenschein verbracht hat, doch umso beruhigender das anschließende Gefühl der Sicherheit. Nicht bei jedem Sturz Todesangst haben müssen, ist wirklich sehr angenehm, besonders in Anbetracht der Tatsache, dass Maria der reinste Wirbelwind war.

Die Kindergartenzeit verging wie im Flug und schon saß unsere kleine Prinzessin als Taferlklasslerin mit 16 weiteren Kindern in der Schule – hochmotiviert und stolz wie ein Schneekönig. Es war eine Freude zu sehen, wie viel Spaß ihr das Lernen machte und wie sie völlig problemlos mithalten konnte. Das änderte sich – Gott sei Dank - auch in den weiteren Schuljahren nicht. Was sich änderte war der zunehmende Unterschied zu den anderen Kindern. Einerseits vom Größenwachstum her, andererseits von der Beweglichkeit her, wobei Zweiteres wahrscheinlich das Schlimmere war. Maria entwickelte extreme X-Beine und als das rechte Knie schon weit über dem linken Knie stand entschlossen wir uns schweren Herzens für eine Beinkorrektur. Im November 2001 wurden Marias Unterschenkel durchtrennt und man versorgte sie mit Ilizarow-Apparaten. Ich hatte die undankbare Aufgabe wochenlang dreimal täglich an den Schrauben zu drehen, um die Knochen in die gewünschte Position zu bringen, in der sie dann zusammenwachsen sollten. Es war eine Zeit des Horrors, denn unser Schatz hatte extreme Schmerzen und schrie zwei Wochen lang fast Tag und Nacht. In dieser Zeit wollte sie am liebsten sterben – und mir ging es ähnlich. Doch als man auf die Ursache dieser Qualen kam, das rechte Wadenbein war zu schnell zusammengewachsen, wurde es besser. Das Wadenbein wurde nochmals durchtrennt, die Schmerzen hörten auf. Und obwohl Maria noch kurz zuvor gesagt hatte, sie ließe sich nie mehr wieder operieren, kam doch der Tag, an dem der Schrecken vorbei war und sie „bestellte" die Vorgangsweise für die nächste OP beim Arzt: „Ich möchte, dass du mir die Apparate runterschraubst und noch in derselben OP die Oberschenkel machst. Dazwischen will ich keine Pause, denn da spare ich eine Narkose. Und ich will keine Apparate, mach mir lieber einen Gips. Und am 26. April muss alles fertig sein, denn da hat meine Freundin Geburtstag und ich will auf die Party gehen." Gesagt, getan.

Die Oberschenkel wurden durchtrennt und Maria steckte für gut sechs Woche in einem Becken-Bein-Gips – völlig bewegungsunfähig, nur die Arme und der Kopf waren frei. Es war bestimmt schlimmer als ein Gefängnis, doch das Schöne daran war, dass sie schmerzfrei war.

Auf die Geburtstagsparty fuhr sie im Rollstuhl. Sie wurde zwar ein paar Tage vorher aus dem Gips geholt, doch nach fünf Monaten konnte sie natürlich nicht mehr gehen.

Es wäre nicht Maria gewesen, hätte sie nicht sofort mit Feuereifer daran gearbeitet wieder völlig mobil zu werden. Im Sommer war sie wieder so weit gut auf den Beinen und das Herrliche daran: Ihre Gehstrecke hat sich zwar nicht wesentlich erhöht, aber ihre Beine sind wieder gerade und daher ist sie jetzt wieder schmerzfrei. Und wenn's drauf ankommt, ist sie flink wie ein Wiesel.

Schwimmen ist ihre große Leidenschaft und im letzten Schuljahr konnte sie sogar die Fahrtenschwimmerprüfung ablegen. Jetzt würde sie gern in einen Schwimmclub gehen.

Zu Lande bewegt sie sich seit dem letzten Sommer vor allem mit ihrem Spezialfahrrad, wenn sie größere Strecken zurücklegen möchte. Wir haben es mit hydraulischen Bremsen, einem elektrisch zu schaltenden Gang und einem Hilfsmotor ausgestattet und so sind ihrer Selbstständigkeit (fast) keine Grenzen mehr gesetzt. Auf diese Art kann sie mit Gleichaltrigen ganz gut mithalten und genießt es sehr.

Maria geht inzwischen ins Gymnasium, und ich bin glücklich, dass sie sich auch dort sehr wohl fühlt, dass ich sie auch dort gut aufgehoben weiß und sie auch dort wieder Freundinnen gefunden hat, die ihr helfen (sie kann ja nicht mal die Schultasche tragen!) und die sie akzeptieren und annehmen so wie sie ist. Sie ist etwas Besonderes, ein Schatz, für den ich von Herzen dankbar bin und sie ist trotz allem ein wahrer Sonnenschein geblieben.

Natürlich denkt sie über ihr Schicksal, über ihre Krankheit nach und es gibt Zeiten, in denen sie kurzfristig traurig ist, doch ich glaube, dass ihr der liebe Gott unsagbare Kraft gibt, denn die Selbstverständlichkeit, mit der sie ihr Los annimmt, ist selbst für mich immer wieder verblüffend. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie sich geliebt und angenommen fühlt, sowohl von ihrer Familie als auch von unserm Vater im Himmel. Hat sie doch schon im Alter von zarten sechs Jahren ihre ganz persönlich Erklärung für ihre Krankheit gefunden: "Ich weiß jetzt wieso ich Mukopolysaccharidose habe. Der liebe Gott will sicher ausprobieren, ob ich ihn trotzdem lieb habe, auch wenn ich so krank bin. Und ich hab ihn voll lieb!"

„Auf dem Krankenbett wird der Herr ihn stärken,

seine Krankheit verwandelst du in Kraft." (Psalm 41)

Mein Leben mit MPSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt