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Jahre und noch mehr Jahre waren ins Land gestrichen. Entscheidungen wurden getroffen, Fehler begangen, Kriege geführt und Blut vergossen.

Chanyeol entließ einen tiefen Atemzug als er sein letztes Werk betrachtete. Es war ein kleines Reich gewesen mit einem zu überheblichen, jungen König und einem großen Mundwerk, das sein gesamtes Land schließlich in den Untergang geritten hatte. Es war einfach gewesen seine Armee zu überrollen, Chanyeol hatte ihren Widerstand kaum wahrgenommen.

„Mein Herr", meldete sich einer seiner Offiziere. Er rieb seine Hände zusammen, hinter ihm scharten Männer mit den Füßen auf dem Boden. „Was...gedenkt ihr mit den verbleibenden zu tun?"

Chanyeol wandte sich von den Trümmern des brennenden Palastes ab. „Sie gehören euch", verkündete er. „Seid bei Sonnenaufgang wieder im Lager zurück."

Manchmal wenn sie die Festung eines Königs einnahmen, mochte Jongin es sich in dessen Burg ein wenig auszuruhen und seinen Männern das Gefühl von Heimat und Normalität zurückzugeben, doch diese Sache hier war Chanyeols persönliche Aufgabe gewesen und er hatte ihn daher nicht mit diesem Wissen belastet. Die Schätze würden seine Männer zu Jongin bringen und die Burg einem Adligen ihres Landes übergeben. So hatten sie es bereits seit Jahren geregelt.

Als Chanyeol sich auf sein Pferd schwang, sah er zwischen zwei Steinhäusern ein kleines, schmutziges Kind kauern. Ihre Augen begegneten sich, durch den Schmutz auf ihren Wangen zogen sich lange Tränenstriemen. Es würde hier wahrscheinlich nicht überleben.

Chanyeol bedeutete seinem Pferd, mit einem Ruck seiner Zügel, dass es losreiten sollte.

~*~

Jongin sah ihn nicht an, als er das Zelt betrat. Er hing über Landkarten und schob kleine Messingfiguren von einer Seite des Pergaments zur anderen. Er prägte sich die besten Ruten für ihren nächsten Feldzug ein.

„Du warst fort", sagte er schließlich. „Mit nicht einmal der Hälfte der Männer."

„Wir waren nichtsdestotrotz in der Überzahl."

„Wirst du hochmütig oder unvorsichtig?"

„Nichts von beidem", antwortete Chanyeol und ließ sich auf ein paar Kissen vor einer großen Holztruhe nieder. „Jedoch – denkst du wir sind grausam geworden Jongin?"

Jongin hielt mit einer Messingfigur zwischen den Fingern inne. Er stellte sie ab und wandte sich Chanyeol zu. „Das ist eine eigenartige Frage."

„Wieso?"

„Weil du gerade Blut auf meine Kissen schmierst." Jongin lächelte. „Oder weil wir seit Jahren auf dem Schlachtfeld leben und du niemals solche Bedenken ausgesprochen hast."

Chanyeol brummte leise. „Ich habe ein Kind in dieser toten Stadt zurückgelassen. Es war unschuldig."

„Wie viele Männer, die du getötet hast, sind schon tatsächlich schuldig gewesen Chanyeol? Wie viele haben uns persönlich etwas zuleide getan bevor wir uns an der Front gegenüberstanden?"

„Ist es also die Tat, die uns grausam macht oder kommt wahre Grausamkeit von der Leere in unserer Brust wenn wir an die Tat zurückdenken? Wieso fühlen wir nichts beim Tod eines Mannes? Eines Kindes?" Chanyeol erinnerte sich an eine Zeit als Jongin tränenüberströmt in sich zusammengebrochen war, weil er das Blut von Soldaten, die ihn töten wollten, an den Händen kleben hatte. Dieses Bild war bereits unzählige Sonnenaufgänge entfernt.

Jongin zuckte schließlich die Achseln. „Wahrscheinlich ist es beides aber ich weiß es nicht. Hast du Angst um deine Seele Chanyeol? Wir könnten den Göttern ein Opfer schlachten."

FallenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt