Kapitel 3

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Bis zum frühen Nachmittag saßen ich und Talli in ihrem Zimmer und telefonierten alle Freunde ab, die mit auf der Party waren (und an die ich mich erinnern konnte).

Zwischendurch war ich dann noch mal schnell nach Hause gefahren, hatte geduscht und war die versufften Partysachen losgeworden. Jetzt saß ich in Oversized Pulli und mit Kuschelsocken auf Tallis Bett und wartete. Wir hatten uns Pizza bestellt und der Lieferant brachte sie gerade. Da ich aber immer noch wie eine Alkoholleiche aussah hatte ich beschlossen mich nicht der Öffentlichkeit zu zeigen. So war Talli jetzt alleine unten und nahm die Pizza in Empfang. Und wie ich sie kannte, würde sie sich gleich die besten Stücken reservieren.

Talli kam mit der Pizzaschachtel und zwei Tellern wieder ins Zimmer. "Das ist so unfair, nie kriegen wir die versprochene Flasche Wein dazu geliefert. Immer ist es nur eine Flasche Cola, weil wir nur sechzehn sind." Ich grinste und schnappte mir ein Stück Pizza. "Also ich finde das heute gar nicht so schlimm." Talli sah mich augenverdrehend an. "Ja, aber du musstest ja auch gleich übertreiben."

Da hatte sie leider nicht ganz so unrecht. Meine Kopfschmerzen hatten erst nach der dritten Aspirin allmählich nachgelassen und ich war immer noch so müde, dass ich an Ort und Stelle mit Pizza im Mund hätte einschlafen können. Ich hatte mir geschworen, dass ich nie wieder so viel Alkohol trinken werde. Talli meinte, ich würde das sowieso beim nächsten Mal Feiern wieder vergessen.

„Und wie geht es jetzt weiter?", fragte Talli mich. Ich zuckte mit den Schultern und kaute auf meiner Pizza herum. „Jetzt bleibt uns ja nur noch übrig den Typen zu finden und ihn zu fragen.", sagte ich nach einer Weile. „Sicher dass du das willst? Ich mein der Typ könnte dich immer noch anzeigen.", fragte Talli mich. Aus ihrem Gesicht war Sorge abzulesen. „Ich will echt nicht meine beste Freundin verlieren, nur weil sie verhaftet wurde und dafür von ihrer Stiefmutter in ein Internat versetzt wurde."
Talli hatte nicht ganz unrecht. Dieser Typ konnte immer noch die Polizei rufen und mich anklagen. Und dann würde es sein wie Talli es eben beschrieben hatte: Meine Stiefmutter würde meinen Vater solange bequatschen bis auch er einsieht, dass ein Internat meiner Erziehung sehr gut tun würde.

"Weißt du, ich würde lieber ins Internat gehen, weil ich verhaftet worden bin, als das ich dem Stiefdrachen sage, dass ich sein wertvolles Erbstück verloren habe. Denn ich glaube die Strafe dafür ist noch viel schlimmer als ein Internat." Talli seufzte tief. "Na gut, dann lass uns mal auf die Suche gehen nach deinem hübschen Unbekannten."

Ich und Talli fuhren mit der Straßenbahn wieder ins Hafenviertel und gemeinsam gingen wir zu der Stelle an der ich heute Morgen aufgewacht war. "Also, so unbequem sieht die Bank jetzt gar nicht aus.", meinte Talli nachdem ich ihr die Stelle gezeigt hatte.
"Ist sie aber. Du kannst ja auch mal eine Nacht darauf schlafen.", murrte ich. Talli lachte auf. "Nein danke, ich verzichte."

Wir suchten noch einmal den Bereich um die Bank herum ab. Da wir dort nichts fanden, gingen wir zu Pauls Kumpel, bei dem die Party stattgefunden hatte und fragten dort nach, doch auch er konnte uns nicht weiter helfen. Er hatte beim aufräumen keine fremde Kette entdeckt. Niedergeschlagen gingen wir wieder aus dem Apartmentblock. "Jetzt bleibt uns wirklich nur noch dein Unbekannter.", meinte Talli mit einem tiefen Seufzer zu mir. "Kannst du dich noch erinnern, welches Haus es war?", fragte sie mich. Ich nickte matt und zeigte auf das Nachbargebäude. Das Haus war ein mehrstöckiges Wohnhaus, in dem es ungefähr einhundert Wohnungen geben musste. Talli schaute entsetzt und mit offenem Mund das Haus, dann mich und wieder das Haus an.

"Weißt du, als du sagtest du bist durch das Fenster in das Haus eingestiegen, da hab ich an ein Einfamilienhaus gedacht und nicht ein fucking zehnstöckiges Hochhaus." Unweigerlich zog ich den Kopf ein bei ihren Worten.

"Okay, welches Fenster ist es?" Ich blickte zu den unendlich vielen Fenstern hinauf. Es sahen alle gleich aus. Ich versuchte mich an irgendeine Besonderheit des Fensters zu erinnern. Es hatte einen Vorhang fiel mir wieder ein. Ich hatte durch diesen nämlich einen Kaktus übersehen und mich volle Kanne daran gestochen. Ich blickte nach oben und suchte nach einem Fenster mit langem Vorhang. Glücklicherweise gab es nur eines welches komplett mit einem Vorhang zugehangen war. "Das dort!", sagte ich und zeigte auf ein Fenster im ungefähr achten Stock.
Talli sah mich entsetzt an "Das ist doch jetzt nicht dein ernst?" Ich sah sie mit einem Blick an, der ihr zu verstehen gab, dass ich es vollkommen ernst meinte. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen."Oh man Lissi!"

Wir beschlossen in den oberen Stockwerken mit bloß der Beschreibung des Jungen nach ihm zu suchen. Die meisten Anwohner die uns öffneten sahen genervt und unfreundlich aus, als wir ihnen erklärten was wir von ihnen wollten.

"Ihr seid doch komplett schwachsinnig! Und mit sowas nervt ihr die Leute an ihrem freien Tag."Das war jetzt schon der dritte der uns schwachsinnig genannt hat und uns die Tür vor der Nase zugeknallt hat. "Ich hab so das Gefühl wir sind hier nicht willkommen", meinte Talli. Ich nickte. "Wahrscheinlich hast du recht, doch ich kann hier nicht weg, der Typ ist meine einzige Chance die Kette wieder zu finden."

Ich drehte mich um zur nächsten Tür und klopfte. Ich wartete kurz, doch nichts geschah. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und klopfte noch einmal, doch dieses Mal lauter. Gleich darauf waren Schritte aus der Wohnung zu hören und leises Gemurmel. Kurz danach ging die Tür auf.

"Mein Gott, kann man an einem Sonntag nicht einmal seine Ruhe haben." In der Tür erschien eine Frau um die fünfzig und in Schlabbersachen. Wenig stylisch dachte ich mir. Aber das würde ich ihr niemals sagen, immerhin sollte sie mir helfen meinen Unbekannten zu finden. "Hallo.", begrüßte ich sie freundlich. "Entschuldigen sie, das wir sie stören, doch wir suchen jemanden und wir wollten fragen, ob sie uns vielleicht helfen könnten?", ich setzte mein freundlichstes Lächeln auf und betete innerlich, dass sie uns nicht auch noch die Tür vor der Nase zuschlagen würde. "Seid ihr von Julia Leischik?", fragte die Frau. Ihre Stimme klang sehr tief und rau, was von jahrelangem Tabakkonsum kommen musste. Ich schaute Talli verwirrt an und versuchte sie per Gedanken zu fragen, ob sie wusste wer das war, aber sie zuckte nur mit den Schultern. "Äh... Nein.", stotterte ich. "Ihr seid also nicht vom Fernsehen?", fragte die Frau noch einmal misstrauisch. Ich und Talli schüttelten beide den Kopf und antworteten unisono mit 'Nein'.

"Was wollt ihr dann?", fragte die Frau. "Also es ist so...", begann ich unsere Situation zu erklären. "Wir waren gestern hier im Hafen auf einer Party und ich habe dort etwas sehr wichtiges verloren. Nun suchen wir jemanden, der uns helfen könnte das wieder zu finden. Wir wissen leider keinen Namen, nur das er hier im Haus wohnt." Die Frau runzelte die Stirn. "Ich wohne noch gar nicht solange hier, und alle Nachbarn kenne ich sowieso nicht." Ihre Worte ließen ein kleinwenig der Hoffnung in mir sterben.
"Könnten sie sich wenigstens unsere Beschreibung anhören, vielleicht wissen sie ja doch wer es ist?" Die Frau schien zu überlegen, ob sie das machen sollte, aber schließlich gab sie sich einen Ruck und nickte. "Na gut, aber es sollte nicht zu lange dauern. Ich habe heute auch noch anderes zu tun." Ich konnte nicht anders und lächelte breit. "Es wird bestimmt nicht lange dauern." Die Frau nickte ungeduldig, zum Zeichen, dass ich anfangen sollte.
Ich startete so schnell, dass ich mich erst einmal verhaspelte. Ich atmete tief durch und fing noch einmal an. "Also, wir suchen einen Jungen etwa in unserem Alter, vielleicht auch etwas älter. Er war relativ groß und hatte braune Wuschellocken." Nach meiner Erklärung machte die Frau ein undefinierbares Gesicht und sagte schließlich: "Das könnte mein Sohn sein, Noah passt genau auf eure Beschreibung, aber er ist gerade nicht zu hause."

Ich starrte sie vollkommen sprachlos an und konnte mein Glück gar nicht fassen. Wir hatten ihn tatsächlich gefunden. Da ich vollkommen reaktionslos dastand und nichts mehr sagte, übernahm Talli das Reden für mich. "Könnten sie uns vielleicht sagen, wo wir ihn finden können, wie schon gesagt, es ist sehr wichtig. "Aber klar.", meinte die Frau. "Er und seine Freunde treffen sich immer im Skatepark am alten Fabrikgelände." Talli dankte der Frau und verabschiedete sich höflich, ich war immer noch nicht in der Lage ein Wort heraus zu bekommen. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, zog mich Talli am Arm in Richtung Treppe. "Sag mal, was ist denn mit dir gerade losgewesen?" Ich seufzte und spürte die Hitze in meine Wangen aufsteigen. "Ich war gerade einfach nur so überrascht, dass wir ihn gefunden haben, da hat anscheinend mein Verstand ausgesetzt." Talli sah mich von der Seite her an. "Nur gerade eben?"

Aus dem abgedrehten Leben der Lissi ConnorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt