Kapitel 9

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Im Nachhinein betrachtet war es doch gut gewesen, dass Talli mich noch bis spät mit der Erklärung von Sinus, Cosinus und Tangenz gequält hatte. Herr Weyer, unser entzückender Mathelehrer, hatte spontan beschlossen eine Arbeit zu schreiben, und ohne Tallis Erklärungen wäre ich gnadenlos durchgerasselt.
Zum Dank durfte ich ihr ein riesiges Eis bei unserem Lieblingsitaliener spendieren. Nun stand sie, fröhlich ihr Eis schleckend, mit mir an der U-Bahnhaltestelle und wartete auf unsere Bahn.

„Wie kannst du bei dieser Kälte nur Eis essen?", beschwerte ich mich und zog die Ärmel meines Pullis über meine Hände. Ich bereute es, heute früh keine Jacke angezogen zu haben, doch ich dachte mir, in meinem naiven Denken, es würde schon nicht so kalt werden. Mal abgesehen davon, dass die Jacke gar nicht zum Outfit gepasst hätte.

Talli grinste mich überfroh an. „Weißt du, wenn man das Eis nicht selber bezahlen muss, dann schmeckt es immer. Auch bei solchen Temperaturen.", sagte sie fröhlich und schleckte weiter. Ich grummelte vor mich hin und hüllte mich noch tiefer in meinen Pulli. Ich bestand nun zu siebzig Prozent aus Pullover.

Als unsere Bahn endlich kam, war ich überglücklich. Noch nie hatte ich mich so gefreut in dieses muffige überfüllte Ding einsteigen zu können, aber es war warm. Die Fahrt zum Hafen dauerte nicht lange, leider. Viel zu schnell stand ich wieder draußen in der Kälte. Zusammen mit Talli lief ich zu Pablo's Inn, dem Café, in dem ich mich auch das letzte Mal schon mit Noah treffen sollte.

Er und ein Freund saßen in einer Ecke des Cafés an einem kleinen Tisch. Als ich die beiden sah, blieb mir erst einmal die Spucke weg.
Meine Güte! Der Typ neben Noah hatte verdammt viele Ähnlichkeiten mit Zac Efron. Neben mir wisperte Talli. "Ich hab dir doch gesagt, er sieht aus wie ein Gott." Da konnte ich ihr nur zustimmen. Noahs Freund hatte echt gute Gene. Er hätte locker das neue Werbegesicht von Abercrombie&Fitch sein können.

Als wir auf die beiden zugingen konnte ich mich gar nicht abwenden von dem strahlend weißen Lächeln, dass uns Zac 2.0 zuwarf. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, als er aufstand, um uns zu begrüßen. Erst als sich Talli zuwandte und sie überschwenglich mit Umarmung begrüßte, schaffte ich es meinen Blick von ihm abzuwenden und Noah anzuschauen.
Der saß mit grimmiger Miene am Tisch und verdrehte die Augen. "Hey.", begrüßte ich ihn zaghaft. Er nickte nur zurück. Okay...

Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihm und wartete, bis sich auch Talli und Zac zu uns an den Tisch setzten. "Ich glaube wir wurden uns noch nicht vorgestellt.", wandte Zac sich an mich. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich glaube nicht." Er reichte mir quer über den Tisch die Hand. "Ich bin Adam.", sagte er.

Adam, interessant. Zac hätte besser zu ihm gepasst, aber wir konnten uns unsere Namen schließlich nicht aussuchen.
"Lissi.", sagte ich und schüttelte seine Hand. Seine freundliche Art war, vor allem in dieser Gegend, eine echte Abwechslung. Er bildete damit auch einen großen Kontrast zu dem miesepetrigen Noah, der neben mir saß.
Adam schenkte mir ein umwerfendes Lächeln und hielt meine Hand einen Moment zu lange fest, bevor er sie dann endlich wieder frei gab. "Ist gut Adam.", gab Noah mürrisch von sich. Er schaute seinen Freund vielsagend an.

"Also, du hast gesagt, du hast jemanden gefunden?", wandte ich mich an Noah. Noah nippte an seiner Cola, bevor er mir antwortete. "Nicht direkt.", meinte er. "Ich hab mich umgehört, wer hier im Viertel von Flex kauft. Es ist nur logisch, dass er die Kette loswerden wollte, bevor du sie als gestohlen meldest. Also hat er sie höchstwahrscheinlich einem seiner Kunden verkauft." Noah erklärte mir das alles in einem absolut nüchternem Ton, ganz ohne emotionale Regung.
"Flex hat sich aber hier im Viertel eine große Kundschaft angeworben, sodass es unglaublich viele sind. Wir beide allein würden es niemals schaffen sie alle zu befragen. Deswegen ist Adam mit: Du sollst ihm sagen, wie die Kette aussieht, damit er die eine Hälfte befragen kann und wir die Andere.", schloss Noah.

Ich nickte zum Zeichen das ich verstand und wandte mich Adam zu. Doch bevor nur ein Wort über meine Lippen kam, begann Talli zu sprechen. "Ich weiß auch, wie die Kette aussieht.", meinte sie in einem gespielt beiläufigen Ton. "Da kann ich ja mit Adam mitgehen, dann verschwendet Lissi nicht ewig Zeit damit sie zu beschreiben."

Kaum hatte die Worte ihre Lippen verlassen, drehte ich mich zu ihr um. Adam schien ihren Vorschlag ganz hervoragend zu finden. Er drehte sich strahlend zu ihr um. "Also ich finde die Idee klasse!"
Talli kicherte verlegen neben ihm. Ich musterte meine beste Freundin misstrauisch. Heute morgen hatte sie mir zum wiederholten Mal, in alle schaurigen Einzelheiten, erzählt, dass die Jungs von hier alle gefährlich und kriminell seien. Und jetzt schlug sie vor mit einem von ihnen alleine los zu ziehen?
Mich überkam plötzlich das tiefe Bedürfnis mir Noahs Cola zu schnappen und sie ihr ins Gesicht zu spritzen, damit sie wieder wach wurde.

"Von mir aus. Dann machen wir es so.", meinte Noah neben mir. Ich wollte protestieren, doch sehr wahrscheinich hätte das nichts gebracht. Talli und Adam erhoben sich bereits um gleich los zu gehen. Noah hielt ihn noch einmal zurück.
"Die Liste mit den Namen hab ich dir alle geschickt. Wir treffen uns um acht bei mir und gleichen ab. Sollte wer die Kette vorher finden, oder in Schwierigkeiten stecken, dann ruft ihr an." Adam nickte und hielt Noah seine Hand hin. Noah schlug ihn ab und dann stand er ebenfalls auf.
Ich erhob mich ebenfalls, Talli und Adam waren schon fast zur Tür hinaus. Bevor sie das Café verlies, winkte mir Talli noch einmal zu. Ich seufzte.

"Also Adam scheint ganz nett zu sein.", meinte ich, da ich keine Ahnung hatte worüber ich mit Noah reden sollte. Wir waren schweigend nach draußen gegangenund standen nun genauso schweigsam vor dem Café, wo sich Noah erst einmal eine Zigarette anzündete.
Die Stille zwischen uns war fast schon unangenehm.
Noah blies den rauch aus. "Adam ist zu allen weiblichen Wesen nett. Besonders wenn sie so aussehen, wie deine Freundin.", erklärte er mir. "Muss ich mir Sorgen um Talli machen?" Ich sah ihn fragend an. Er schüttelte den Kopf. "Er hat sich noch nie an einer vergriffen und ich glaube kaum, dass das heute anders sein wird.", meinte er.

"An deiner Stelle würde ich mir eher Sorgen um deine Kette machen. Kann nämlich eine ganze Weile dauern, bis wir alle Leute befragt haben." "Du hattest vorhin etwas von einer Liste erwähnt. Wie lang ist die denn?", hackte ich nach.
Er hielt mir wortlos sein Handy vor die Nase. Geschockt sah ich ihn an. Das konnte doch nicht war sein? Er nickte. "Und das ist nur unsere Hälfte, Adam und deine kleine Freundin haben noch mal eine, die ist genauso lang."
Ich schlug die Hände überm Kopf zusammen. "Oh Fuck.", murmelte ich. "Wow, unser kleines Prinzesschen kennt Schimpfwörter.", feixte er.

Ich sah ihn grimmig an. "Weißt du, dass..." "Ist nicht der richtige Zeitpunkt, um zu diskutieren.", unterbrach er mich. "Wir haben eine lange Liste vor uns" Er trat seine Kippe aus und stiefelte los.
Ich hätte schreien können. Mit diesem Jungen zusammen zu sein, war eine echte Belastungsprobe für meine Nerven.

Aus dem abgedrehten Leben der Lissi ConnorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt