Kapitel 14

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"Noah, das tut mir so leid.", sagte ich mitfühlend und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er lachte freudlos auf. "Das macht doch keinen Sinn, du hast mit der Sache nichts zu tun. Warum entschuldigst du dich dafür?", fragte er. Ich zuckte ahnungslos mit den Schultern. "Ich schätze, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte." Hätte ich gewusst, was er wegen Flex durchgemacht hatte, dann hätte ich ihn nie gebeten mich zu ihm zu bringen. Andererseits konnte ich es nicht wissen, aber er ist mitgekommen, obwohl Flex ihm so viel Leid zugefügt hatte. Und ich fand, das sagte schon verdammt viel über seinen Charakter aus. Vor allem lies es ihn aber in einem komplett neuem Licht dastehen.

"Es tut mir leid, dass du meinetwegen mit bei ihm warst. Das war bestimmt nicht einfach für dich.", sagte ich schließlich nach langem Schweigen. Er nickte und grinste halbherzig. "Nein, das war es weiß Gott nicht. Ich hätte ihm am liebsten das dämliche Grinsen aus seinem Gesicht geschlagen. Mich für alles revanchiert, was er meinem Vater und meiner Familie angetan hat." Er klang wütend als er das sagte und ich zweifelte nicht eine Sekunde lang, dass Noah es getan hätte, hätte er gekonnt. "Hätte ich das gewusst, hätte ich dich nicht zurückgehalten. Der Typ hat jeden Faustschlag verdient, wenn du mich fragst." Noah lachte trocken bei meinen Worten. "Nein, ich bin dir schon dankbar. Seine Handlanger hätten mich zu Brei verarbeitet, dann könnte ich mir ebenfalls die Radieschen von unten anschauen."

Sein Geständnis überforderte mich ein wenig, ich wusste einfach nicht was ich ihm noch antworten sollte. Ich blieb also einfach stillschweigend neben ihm sitzen und starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Noah neben mir rauchte schweigend seine Zigarette. So saßen wir eine ganze Weile stillschweigend nebeneinander und sprachen kein Wort. Aber anders als in den vergangenen Tagen war es kein angespanntes Schweigen, sondern sogar recht angenehm. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Irgendwann hatte Noah seine Zigarette aufgeraucht und stand auf. „Komm.", sagte er nur und hielt mir die Hand hin. Verwundert starrte ich diese an, als wäre sie das achte Weltwunder. Noah war die letzten Minuten vielleicht nett zu mir gewesen, aber so viel Freundlichkeit von ihm hätte ich nun doch nicht erwartet. Nach einem gefühlt stundenlangem Zögern, ergriff ich seine Hand und lies mich auf die Beine ziehen. Noah zog mich so viel Kraft, dass ich ein paar Schritte nach vorne stolperte, direkt gegen seine Brust. „Autsch.", entfuhr es mir. Noah merkte seinen kleinen Fehler und hielt mich an den Schultern fest,damit ich nicht noch weiter stolpern und am Ende noch hinfliegen konnte. „Sorry.", murmelte er leise.
Ich war von meiner unfreiwilligen Stolpereinheit noch so durch den Wind, dass ich mich kurz stützen musste, und hielt mich an Noahs Brust fest. Durch das dünne Shirt, was er unter seiner Lederjacke trug, konnte ich feste Brustmuskeln ertasten. Es fühlte sich gut an. Wie gebannt starrte ich auf meine Hände, bevor ich langsam den Kopf hob und Noahs Blick begegnete. Oh Gott, er hatte mich die ganze Zeit beobachtet. Sofort spürte ich wie meine Wangen heiß wurden. Schnell trat ich einen Schritt von ihm zurück , nahm meine Hände von seiner Brust und schüttelte seine immer noch stützenden Arme ab. Da ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte, räusperte ich mich einfach. Noah blickte mich skeptisch an. „Alles Okay bei dir?" Er bedachte mich mit einem fragenden Blick. Ich nickte schnell. „Ja klar, alles bestens.", sagte ich und setzte mich in Bewegung. „In welche Richtung müssen wir als nächstes?"
Noah lachte. Ausnahmsweise war es sogar mal ein ehrliches Lachen. „Da lang.", zeigte er und setzte sich auch in Bewegung. Wir liefen nebeneinander her, und ohne ihn anzuschauen, wusste ich, dass er immer noch grinste.

„Sag mal, passieren solche Aussetzer öfter bei dir?", wollte er amüsiert wissen. Ich verdrehte die Augen und versuchte krampfhaft nicht rot zu werden. „Normalerweise nicht, es sei denn ich werde von irgendwelchen Leuten durch die Gegend gezogen.", konterte ich, in der Hoffnung irgendetwas von meiner Würde zu retten. Noah nickte wissend. „Gut zu wissen.", meinte er schmunzelnd. Ich schüttelte den Kopf. Denk nicht mehr darüber nach Lissi, ermahnte ich mich selbst. Umso mehr ich das tat, umso schlimmer würde die Situation dann werden.

Nicht darüber nachdenken. Die ganze Zeit, während wir liefen, sagte ich diesen Satz wie ein Mantra vor mich her. Meine Rettung war schließlich die erste der drei verbliebenen Adressen. Ich musste mich jetzt wieder auf meine Mission konzentrieren. Mutig und weil ich Noahs belustigten Blick entkommen wollte, drückte ich auf die Klingel. Danach warteten wir. Es dauerte ewig und niemand kam. Hippelig trat ich von einem Bein auf das andere. Als nach einer Minute immer noch niemand gekommen war klingelte ich wieder. Und wieder und wieder. Solange bis Noah meine Hände festhielt und mich von der Klingel zurück zog. Meine Hände lies er trotzdem nicht los. „Sicherheitshalber.", murmelte er mir zu. Ich blickte ihn grimmig an, doch er grinste nur. Der Gesichtsausdruck war neu bei ihm, stand ihm jedoch sehr gut. „Du solltest öfter Lachen.", stellte ich laut fest. Noah zuckte daraufhin mit den Schultern. „Wenn du dich so tollpatschig anstellst, werde ich das wohl." Nun zog er provozierend eine Augenbraue hoch und blickte mich an. Ich verdrehte die Augen und richtete meinen Blick wieder zur Haustür. Da immer noch niemand öffnete, wurde ich wieder hippelig. Noahs Hände, die ja immer noch meine festhielten, drückten diese fest.

Endlich ging die Tür auf und eine ältere Dame trat aus. „Kann ich euch beiden helfen?", fragte sie. Ich wollte sofort lospreschen, doch Noah kam mir zuvor. Er ließ meine Hände los und trat einen Schritt auf die Frau zu. „Äh ja, das können sie.", sagte er höflich und fing an der Frau die Geschichte zu erzählen. Sie hörte aufmerksam zu. Als Noah schloss, schüttelte sie nur entschuldigend den Kopf. „Es tut mir leid.", wandte sie sich an mich. „Aber ich habe leider nichts von deiner Kette gehört." Ich lächelte freundlich und nickte zum Zeichen das ich verstand. Die ältere Dame wollte gerade erneut etwas sagen, als sie plötzlich unterbrochen wurde. „Alles okay Granny?" Ein Junge, etwa in meinem und Noahs Alter, trat hinter die Dame. Ich wusste nicht so recht, was ich noch sagen sollte und schaute zu Noah herüber. Der blickte den Neuankömmling nur skeptisch an. Dann wandte er sich an die Dame. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.", sagte er freundlich. „Auch wenn sie uns nicht viel sagen könnten." Die alte Dame nickte freundlich. Noah wandte sich an mich. „Komm Lissi, wir sollten weiter.", sagte er und zog mich mit.

Nachdem wir einige Meter gegangen war und ich mich versichert hatte, dass sich die Haustür wieder geschlossen hatte, hielt ich Noah zurück. „Warte kurz.", sagte ich. Noah hielt und drehte sich zu mir um. „Was war das gerade?", wollte ich von ihm wissen. „Kennst du den Typen?" Noah wägte abwegig den Kopf hin und her. „Kennen ist zu viel gesagt. Er ist einer von Flex untergebenen Handlangern, also praktisch ständig in seiner Nähe." Mein Mund verformte sich zu einem stummen oh. Noah lächelte und winkte ab. „Nichts über was du dir sorgen machen solltest. Komm, wir haben noch zwei Adressen." Er lächelte mich aufmunternd an, was ich so von ihm noch gar nicht gewohnt war. Irgendwie war es schön, aber trotzdem sehr ungewohnt.

Aus dem abgedrehten Leben der Lissi ConnorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt