Kapitel 1

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Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne strichen mir übers Gesicht und wärmten es. Meine Nase kitzelte davon so sehr das ich niesen musste. Ein lauter, geräuschvoller Nieser. Mein Schädel begann davon zu hämmern und ich spürte auf einmal Kopfschmerzen. Und umso wacher ich wurde, umso mehr spürte ich auch das mein Bett sich auf einmal sehr hart anfühlte. Verwirrt schlug ich die Augen auf. Doch anstatt der üblichen Kulisse meines Zimmers, sah ich den Hafen. Moment mal..., warum bin ich am Hafen? Und warum liege ich auf einer Bank? Hab ich etwa hier geschlafen? Ich versuchte mich ans einschlafen zu erinnern, doch die Kopfschmerzen hinderten mich daran.

Ich richtete mich langsam und mit dröhnenden Schädel auf. Wie zur Hölle war ich hierhergekommen? Ich zog die Jacke, die ich trug enger um mich, um mich vor der kalten Morgenluft zu schützen und atmete dabei ihren Duft ein. Er roch anders: Gut, aber irgendwie fremd. Ich schaute mir die Jacke genauer an, um dann festzustellen, dass es nicht meine ist. Sie war mir viel zu groß, wahrscheinlich gehörte sie einem Jungen... Aber wieso zur Hölle trug ich sie dann? Und wem gehörte diese Jacke bitte? Ich durchwühlte eilig die Jackentaschen, in der Hoffnung darauf, irgendwelche Hinweise auf letzte Nacht oder ihren Besitzer zu finden. Alles was ich darin fand war mein Handy. Wenigstens etwas...

Ich entsperrte es und als erstes sprang mir eine Nachricht meiner besten Freundin Talli entgegen. Hey Lissi, du musst auf jeden Fall gleich morgen früh langkommen und mir alles von der Party erzählen!!! In meinem Kopf legte sich ein Schalter: Aber na klar, gestern war doch die Party, zu der mich Paul eingeladen hatte. Langsam kamen die Erinnerungen an den gestrigen Abend wieder. Die Party fand bei einem von Pauls Freunden, hier in der Nähe des Hafens statt. Meinem Kater nach zu urteilen, der sich immer noch mit aller Härte bemerkbar machte, musste sie wohl ein voller Erfolg gewesen sein.

Ich ging aus dem Chat mit Talli raus und öffnete den mit Paul. Vermisst du zufällig eine Jacke? Die Häkchen verfärbten sich fast sofort blau und Paul schrieb zurück. Dass er nach der Nacht schon wach war, es war ja gerade mal elf Uhr. Wahrscheinlich hatte er einfach nur nicht so einen Kater wie ich, oder er war schon abgehärtet. Eine neue Nachricht von Paul blinkte auf dem Display auf. Nein, wieso? Haste ne fremde Jacke mit nach Hause genommen? ;) Ich seufzte, wenn ich doch nur zu Hause aufgewacht wäre. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung wie ich wieder nach Hause kam. Ich schrieb ihm zurück: Nach Hause kann man schlecht sagen... Bin mit nem Schädel am Hafen aufgewacht, hast du ne Ahnung wie ich dahin gekommen bin oder wie ich wieder nach Hause komme? Ich versuchte immer noch verzweifelt mich daran zu erinnern was zur Hölle letzte Nacht passiert war, und warum ich hier am Hafen geschlafen hatte. Aber in meinem Kopf herrschte eine schwarze Leere.

Ich setzte mich im Schneidersitz auf die Bank (was sich im Kleid echt beschissen macht...) und versuchte den Abend Revue passieren zu lassen.

Paul hatte mich und Talli vor zwei Wochen zu dieser Party eingeladen, doch Talli ist im letzten Moment krank geworden, weswegen ich allein mit Paul dorthin gegangen bin. Gestern Abend hab ich mich noch, mit Talli am Telefon diskutierend, was ich anziehen sollte, fertig gemacht. Extra für die Party hatte ich mir ein Paar rote Heels von Mary und dann noch heimlich das teure Familienerbstück meiner Stiefmutter ausgeliehen. Der Drache hütete das Ding wie ein Schatz, und es wäre ja eine Verschwendung, wenn es nie getragen würde. Bei dem Gedanken an die Kette fasste ich mir unwillkürlich an den Hals und spürte dort nichts. NICHTS! Erschrocken riss ich die Augen auf und taste meinen Hals noch einmal ab. Ich durchwühlte auch noch einmal die Taschen der viel zu großen Jacke, doch immer noch nichts. Ich sprang hastig von der Bank auf und suchte den Boden um sie herum ab, doch auch da lag keine Kette. Ich drehte mich hektisch suchend im Kreis. Wahrscheinlich muss ich ausgesehen haben wie ein Hund, der seinen eigenen Schwanz jagt. Ich wagte kaum daran zu denken, dass ich das Schmuckstück verloren hatte. Schwer schluckend schaute ich über das Geländer in das dunkle Wasser des Hafenbeckens. Bitte, bitte lass das Ding nicht darin liegen... Doch das Wasser des Hafenbeckens war so dreckig das man kaum einen Meter dadurch sehen konnte, geschweige denn bis zum Grund. Ich atmete tief durch. Komm erst mal runter Lissi, und überleg wo du dieses dämliche Ding verloren haben könntest. Nach dem du dich fertig gemacht hast, was war dann passiert?

Ich setzte mich wieder auf die Bank und forderte alle Kapazitäten, die mein Hirn bei diesen Kopfschmerzen und zu so früher Stunde aufbringen konnte.

Ich bin zu Paul gegangen und von ihm aus sind wir mit der Straßenbahn hierher zu der Party. Auf der Party haben wir erst Mary und Gustus getroffen und später sind noch ein paar von Pauls Freunden gekommen. Die kamen auf die Idee wir könnten doch Wahrheit oder Dicht spielen, bis alle zu gesoffen waren - ich inklusive. Und danach haben wir noch normal Wahrheit oder Pflicht gespielt. Ich musste mit Gustus für fünf Minuten in den Wandschrank, aber es ist nichts passiert, außer dass Gustus sich an der Kleiderstange gestoßen hatte, da er natürlich viel zu groß für den Wandschrank war. Danach hat er rumgeheult wie ein Baby, doch nach dem Wandschrank hatte ich die Kette noch. Gut so viel wusste ich als noch. Was dann? Was war dann?...

Irgendjemand kam auf die Idee eine Mutprobe zu machen und ab da... Oh Gott! Ich schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn und rieb gleich danach die pochenden Schläfen. Bei der Mutprobe sollten wir alle etwas aus dem Nachbarhaus klauen, und ich durch was auch immer habe auch noch mitgemacht. Ob nun durch verminderte Denkfähigkeit oder Übermut bedingt durch Alkohol.

Das Bing-Geräusch meines Handys hallte in meinem Kopf wieder und verstärkte die Kopfschmerzen. Ich schaute aufs Display. Paul hatte mir geantwortet.

Am südlichen Ende vom Bahnhof ist eine S-Bahn Haltestelle, von dort fahren die in fast alle Richtungen. Sicher dass bei dir alles okay ist?

Ich schickte ihm ein 'nicht ganz' zurück und steckte mein Handy wieder weg. Etwas verloren blickte ich auf das Hafenbecken hinaus. Wenn dieses verdammte Erbstück wirklich weg war, dann steckte ich wahrlich tief im Schlamassel drin. Mein Vater hatte schon öfter (auf anraten meines Stiefmonsters) überlegt mich in ein Internat zu stecken, wo ich eine ordentliche Erziehung bekam und Manieren lernte. Ein weiteres Mal versuchte ich mich daran zu erinnern wo ich die Kette verloren haben könnte. Mein Kopf protestierte gegen die Denkarbeit die ich ihm aufgab, aber es war gerade wichtiger mich zu erinnern.

Gut, ich hab also bei der Mutprobe mitgemacht, ich bin nach nebenan geschlichen und hab nach einer Möglichkeit gesucht in das Haus zu kommen. Die Haustür war selbstverständlich verschlossen, also bin ich die Feuerleiter an der Außenwand hochgeklettert. Ich war auf jeden Fall eine Weile auf der Leiter, daran erinnere ich mich noch. Irgendwann hatte ich dann ein offenes Fenster gefunden, durch welches ich geklettert bin. Der Raum dahinter war wirklich ziemlich chaotisch, ich erinnere mich nämlich gleich über irgendwas auf dem Boden gestolpert zu sein. Als ich wieder aufgeschaut hab, stand da ein Typ und der sah ganz und gar nicht glücklich aus. Ich schlug mir die Hände Vors Gesicht. Oh Fuck! In was hast du dich da nur hineingeritten Lissi... Der Typ hat dich auch noch gesehen. Okay, ruhig bleiben. Wie hat er reagiert? Ich versuchte mich verzweifelt zu erinnern, doch es blieb alles schwarz. Schwarz. Alles. Ich konnte mich nicht mehr erinnern! Verzweifelt rieb ich mir die Schläfen. Schlimmer ging es ja wohl kaum. Ich hatte just diesen Gedanken zu Ende gedacht, als irgendwo im Hafen ein Schiff laut hupte. Das Geräusch klang in meinem Kopf tausend mal lauter als in Wirklichkeit. Ich brauchte wirklich dringend eine Aspirin. Und jemanden, der mir half aus diesem Schlamassel wieder hinaus zu kommen. Also auf zu meiner besten Freundin.

Als ich bei Talli vor der Tür stand hatte ich noch nicht einmal die Klingelgedrückt, da wurde die Tür schon aufgerissen. "Wurde ja auch Zeit! Ich will alles wissen, was ist passiert, wie war..." Sie stockte mitten in ihrem Satz und schaute mich verwundert einmal von oben bis unten an. "Was ist denn mit dir passiert?" Diesen Worten nach zu schließen, musste ich furchtbar scheußlich aussehen. Ich versuchte nicht allzu elend auszusehen."Kann ich vielleicht rein kommen? Und eine Aspirin bekommen?" Mit Augen, groß wie die von Bambi, sah sie mich an und ließ mich dann ins Haus. Als sie aus ihrer verwunderten Starre erwacht war setzte auch ihr Verstand wieder ein. Sie zog mich an der Hand mit in die Küche und goss mir ein großes Glas Wasser ein. Ich trank das Wasser ohne einmal abzusetzen. Danach folgte ich ihr ins Badezimmer wo sie mir die Aspirin in die Hand drückte. Auch diese nahm ich zu mir. In Tallis Zimmer lies ich mich auf ihre Matratze fallen und lehnte meine Beine gegen die Wand. "Willst du mir nicht erzählen warum du aussiehst als ob du gerade von einer Doppelschicht auf dem Strich zurückkommst?", fragte sie mich. Ich wedelte mit der Hand um ihr zu bedeuten dass ich gerade nicht reden konnte. "Gib mir fünf Minuten, lass die Aspirin erst einmal wirken." Sie nickte. "Okay, ich warte."

Aus dem abgedrehten Leben der Lissi ConnorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt