Kapitel 8

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Noah lief eiligen Schrittes wieder auf die Hauptstraßen und steuerte dann direkt die nächste U-Bahnstation an.

„Was wollen wir hier?", fragte ich ihn verwirrt. „Du", meinte er und zeigte auf mich. „ ... wirst jetzt erst einmal nach Hause fahren. Heute schaffen wir eh nichts mehr. Ich werde mich hier ein bisschen umhören und schauen, ob irgendwer deine Kette gefunden hat."

In meinem Köpfchen ergab das alles keinen Sinn. „Willst du das ganze Viertel fragen, ob jemand meine Kette gefunden hat?", fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf. „Nein, wenn Flex von verlieren spricht, dann meint er an den Nächstbesten verkauft.", er klärte er mich auf. Jetzt machte das Umhören schon mehr Sinn.

Er hielt mir sein Handy unter die Nase. „Gib mir einfach deine Nummer und ich rufe dich an, wenn ich etwas gefunden hab." Ich speicherte meine Nummer in sein Handy und gab es ihm wieder. „Gut, dann melde ich mich bei dir.", sagte er und ging. Etwas verwirrt, aber voller Hoffnung sah ich ihm hinterher.

Den kompletten Abend und auch den nächsten Tag in der Schule saß ich wie auf glühenden Kohlen. Aller zwei Minuten blickte ich auf mein Handy, um zu sehen, ob Noah mir schon geschrieben hatte, doch jedes Mal wurde ich enttäuscht.
Wegen der Unruhe, konnte ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren. Der Unterricht zog wie ein Nebelschleier an mir vorbei. Auch das, was meine Freunde in der Pause erzählten, bekam ich nur halb mit und merken konnte ich mir gleich gar nichts davon.

Als sich Noah am Abend immer noch nicht gemeldet hatte hatte ich schon die Befürchtung, ich hätte ihm die falsche Nummer gegeben oder er hatte es sich anders überlegt und würde sich nicht mehr melden.
Mein Kopf fuchste die ganze Wartezeit über die verrücktesten Ideen und Theorien aus, eine unwahrscheinlicher als die andere. Das Warten wurde zu einer regelrechten Tortur. Es war nun schon immerhin Dienstag, bis Freitag waren es nur noch drei Tage.

Inzwischen war es schon so spät, dass ich mir sicher war, Noah müde sich heute nicht mehr melden. Um mich ein wenig vom Warten abzulenken, fing ich an meine Hausaufgaben zu machen.
Als ich den ersten Hefter aufschlug, realisierte ich, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich machen sollte. Vielleicht hätte es nicht geschadet heute im Unterricht aufzupassen. Ich schaute mir die Mitschriften an, die ich von Talli geschickt bekommen hatte aber schlau wurde ich daraus immer noch nicht, also rief ich Talli an.

Es dauerte einige Minuten bis sie ran ging, schließlich meldete sie sich aber mit ihrer hellen Stimme. „Ihre beste Freundin am Apparat, was kann ich für Sie tun?", fragte als Begrüßung.
Ich kicherte. „Einmal Hausaufgabennachhilfe für sofort bitte." Ich hörte Talli durchs Telefon seufzen. „Ich hab dir doch die Aufzeichnung geschickt, bist du daraus nicht schlau geworden?", fragte sie. „Nop, ich hab echt null Durchblick."
Ich schlug meinen Kopf auf die Tischplatte, nur um festzustellen, dass es weh tat. „Ich hab immer noch keine Ahnung was eine Sinusfunktion von einer Cosinusfunktion unterscheidet. Und was heißt das dritte? Tangafunktion?", fragte ich total verwirrt. Talli bekam am anderen Ende der Leitung einen Lachkrampf. „Tangenz. Oh man Lissi, du hast echt nicht aufgepasst.", lachte sie schallend. Ich wette selbst ihre Nachbarn konnten sie gerade lachen hören. „Ich war vielleicht ein bisschen abgelenkt.", ging ich auf ihre Bemerkung ein. Sie lachte wieder. „Ein bisschen? Wäre ja schön wenn's nur ein bisschen wäre. Der Weyer hat die ganze Stunde damit zugebracht uns zu erklären was das für komische Teile sind."
Ich seufzte. „Und ich hab mal wieder nicht aufgepasst. Gute Mathenote ade, Strafpredigt ich komme.", grummelte ich. „Na pass bloß auf, dass der Drache nicht auch noch woanders hin verfrachtet.", meinte sie scherzhaft.

„Apropos Drache, hat Noah dir schon geschrieben?" Sie klang nun wieder vollkommen ernst. „Nein.", sagte ich bedrückt. „Bist du dir sicher, dass du ihm vertrauen kannst?" Aus Tallis Stimme war deutlich hervor zu hören, dass sie es nicht tat. „Gestern hatte ich zumindest das Gefühl, als könnte ich es.", meinte ich und ließ gedanklich den Vortag Revue passieren.
„Was ich aber immer noch nicht verstehe, ist warum er auf einmal doch mit zu diesem Minimafioso hinein gekommen ist." Diese Frage beschäftigte mich auch schon den ganzen Tag.

Noah hatte vorher ausdrücklich klar gemacht, er würde auf gar keinen Fall in dieses Haus gehen, warum er sich dann aber um entschieden hatte blieb mir ein Rätsel.

„Lissi, der Typ ist unberechenbar. Er ist im Hafenviertel aufgewachsen und kennt dort anscheinend alle Dealer, wir wissen ja gar nicht, wie weit er da mit drinnen steckt." Tallis Worte klangen schon logisch.
„Aber gestern sah es nicht so aus, als würde er zu diesem Flex gehören. Die beiden haben sich ja fast bekriegt." Ich hörte Talli scharf die Luft einziehen. „Mensch Lissi, das sind Bandenkriege. Er gehört zur verfeindeten Bande." Jetzt wurde es unlogisch.
„Talli, bei uns gibt es keine Banden, nicht mal im Hafenviertel.", sagte ich ihr. „So sicher wäre ich mir da nicht. Du musst unbedingt vorsichtig sein mit diesen Typen, hast du gehört?"
Ich musste über Tallis übertriebene Fürsorge schmunzeln. „Ganz ruhig beste Freundin, mit wird schon nichts passieren. Gestern ist ja auch alles gut gegangen." Ich hörte Talli etwas in ihr Handy grummeln, doch bevor ich nachfragen konnte was es war, gab mir mein Handy zu verstehen, dass ich eine Nachricht bekommen hatte.

„Warte mal eben.", sagte ich zu Talli und entsperrte mein Handy. Die Nachricht war von einer unbekannten Nummer. Augenblicklich fing mein Puls an zu rasen: Wenn Noah mir nun geschrieben hatte? Ich öffnete die Nachricht.

Ich hab einige Leute ausfindig machen können die deine Kette haben könnten oder zumindest wissen wo sie ist. Treffen uns morgen an der U-Bahnstation ~Noah

Ich las den Text laut vor, sodass Talli ihn auch verstand. „Was hältst du davon?", fragte ich sie. Talli sagte eine Weile nichts, bevor sie schließlich antwortete. „Also ich weiß nicht, wer weiß was das für Leute sind. Schmuggler oder andere Dealer...", grübelte sie. „An deiner Stelle würde ich da nicht hingehen."

„Aber was soll ich den anderes machen?", fragte ich verzweifelt. „Soll ich dem Drachen sagen, ich hätte ihr teures Schmuckstück verloren?" Ich seufzte. „Diese Leute sind höchstwahrscheinlich meine einzige Chance die Kette wieder zu bekommen.", erklärte ich.
„Okay, dann komme ich aber mit.", sagte Talli entschieden. „Sicher?", hakte ich nach. „Du meintest neulich noch, du wolltest nie wieder einen Fuß in diese Gegend setzten."
Empört protestierte sie. „Ich lasse meine beste Freundin aber auch nicht allein mit irgendwelchen Gangstern und Bandenchefs sprechen!", sagte sie bestimmt. Ich seufzte abermals. „Talli es gibt keine Banden bei uns. Höchstens eine Gruppe von Irren und Verrückten, die einen auf Möchtergern-Mafia machen.", entgegnete ich ihr genervt.
„Ja ja.", wimmelte sie das Thema ab. „Jeder glaubt das, was er gerne glauben möchte. Und ich glaube mich zu erinnern, dass du wegen Hausaufgaben angerufen hattest."

Ich stöhnte wehleidig ins Telefon. „Dein Ernst?", fragte ich sie. „Aber Logo, immerhin will ich nicht, dass du dumm bleibst.", sagte sie ganz ungeniert. Ich wollte ihr gerade antworten, als mir die Bedeutung ihrer Worte klar wurde. „Hey!", empörte ich mich lautstark. Talli kicherte. „Schön, dass du es auch endlich verstanden hast.", meinte sie amüsiert. „Und jetzt widmen wir uns besser deinen Tangafunktionen, damit dir der Weyer kein Ungenügend geben muss."

Aus dem abgedrehten Leben der Lissi ConnorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt