-dreiundzwanzig-

199 15 1
                                    

Für eine Sekunde habe ich wirklich gehofft, dass es außen besser ist. Aber es ist noch viel schlimmer. Die Schreie sind lauter, die Maskierten Menschen mehr und das Chaos größer.
Plötzlich fällt mein Blick auf einen, der seine Maske verloren haben muss Jungen. Er trägt einen schwarzen Mantel und duelliert sich mit einem Erwachsenen. Mir stockt der Atem, als ich ihn erkenne. Es ist ein Junge aus Slytherin. Ich erkenne ihn ganz klar wieder. Er war in der Gruppe, die mich am Anfang des Jahres blöd angeredet, worauf Regulus mich verteidigt hat. Er ist ein Jahr jünger als ich.
Wie kann er so etwas tun? Ich habe ihn noch in Hogwarts gesehen. Wie er sich zu einer Gruppe Slytherins stellte, die auch gemeinsam nach Hogsmead wollten. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, waren es ungewöhnlich viele Slytherins... sie sind doch nicht alle...
"Schau nicht hin!" wiederholt sich Sirius. In seiner Stimme liegt so viel Trauer. In mir breitet sich Sorge aus. Es ist komisch Sirius ohne dem schiefen Grinsen oder den kindischen Kommentaren zu sehen. Wie viele erkennt er wieder?
Was würde ich jetzt dafür tun aufzuwachen und jeden dieser Schüler wieder sehen zu können. Aber ich werde sie nicht mehr sehen. Nie wieder.
"Wir..." es schnürt mir die Kehle zu "Wir müssend doch irgendwie..." kriege ich mit mühe raus und schließe für einen Moment meine Augen. Ich ertrage den Anblick nicht. Den Anblick von den Schülern, die mich so sehr an ihn erinnern. "Wir können nichts tun" versichert er mir.
"Können wir uns dann... dann beeilen?" Ich versuche nicht an ihn zu denken, aber ich kann nicht anders. Ich muss hier weg. Ihre Familien. All ihre Familien werden sie nie wieder sehen. Mir wird schlecht. Als ob sich mein Magen zusammenfalten würde, bis es nicht mehr geht und sich danach immer wieder dreht. "Bitte" bringe ich noch raus.
Sirius versteht es schnell. Er rennt die Straße entlang. Die noch lebenden Menschen sehen uns wirklich nicht. Trotzdem können sie uns treffen. Geschickt weicht Sirius jeden Blitz aus und zieht mich mit. "Runter!" schreit er ab und zu und reißt mich mit auf den Boden. Dann sehe ich immer, wie ein grüner Lichtblitz dort durchschießt, wo wir gerade noch standen.
Wir laufen einige Minuten so weiter. Bücken uns, sprinten Stücke, schleichen an anderen vorbei.
Ich frage mich woher er das so gut kenn. Wie oft musste er das miterleben? Wie oft mussten Remus, Peter, James, Maddy, Hee, Grace, Lily, Katy oder Rose das miterleben?
"Wir sind gleich da" schreit Sirius nach einer gefühlten Ewigkeit zu mir hinter und rennt auf den Honigtopf zu. Ich weiß nicht, was er vor hat, aber ich vertraue ihn. Vertraue mir. Vertraue mir.
Wie viel und lange kann ein Mensch eigentlich Weinen?
Und dann höre ich es. Ein Lachen. Ein schrilles, Lautes, hohes lachen. Vertraue mir.
Abrupt bleibe ich stehen. "Was zur Hölle tust du?!" frägt mich Sirius fassungslos, aber ich höre ihn nicht deutlich. Ich höre nur das Lachen.
Ohne darüber nach zu denken reiße ich mich mit aller Kraft von ihm los und renne von ihm weg. Ich spüre, wie der Tarnumhang meinen Kopf streift. Ich bin sichtbar.
So sichtbar, wie sie. Es war eine Frau. Es ist eine Frau. Wie ich es erwartet habe. Ihre Maske ist verrutscht und ich sehe deutlich ihr Gesicht. Blasse Haut. Dunkle, fast schwarze Augen. Schwarze, gelockte Haare ragen unter ihrer Kapuze hervor. Und ein schrilles, lautes, hohes Lachen dringt tief aus ihrer Kehle.
"Bee! Bist du verrückt geworden?!" höre ich Sirius aus dem nichts schreien. Ich spüre seine Hand auf meiner Schulter, aber bevor er zupacken kann renne ich los.
Auf sie zu. Ich weiß nicht, was ich vor habe, wenn ich vor ihr stehe, aber ich muss auf sie zu rennen. So viel weiß ich.
Sie entdeckt mich, als ich ihr nicht mal nahe bin. Unsere Blicke treffen sich. Gedanken, wie 'Sie bringt mich um' oder 'jetzt werde ich sterben' sind weit entfernt.
Ihr Zauberstab richtet sich auf mich, aber das hindert mich nicht daran weiter auf sie zu zulaufen.
Wie in Zeitlupe schießt ein grüner Blitz auf mich zu. Er ist anders als die grünen, die die anderen auf uns loslassen. Er ist grün, aber viel intensiver. Viel giftiger. Er schimmert leicht. Aber nicht, als ob es in Glitzer getaucht wurde, sondern als ob sich darin tausende von Glassplittern befinden.
Es kommt immer näher. Ich tue nicht mal so, als ob ich ausweichen wollen würde. Mich interessiert der Blitz nicht. Mich interessiert nur sie.
Ich sehe nichts, aber mir ist klar, dass es Sirius unter dem Tarnumhang ist, der mich in der letzten Sekunde wegschubst. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass mich der Fluch streift. Ein Blick auf meinen Arm gibt mir einen merkwürdigen Anblick. Mein Pulli ist verkohlt, als ob der Blitz aus Feuer wäre, aber meine Haut darunter ist unversehrt.
Stattdessen zieht es mir mit einem Mal die Luft weg. Der ganze Sauerstoff wird aus meinen Lungen gepresst und meine Füße geben nach. Ich falle unter den Tarnumhang auf den Boden. Mir wird schwarz vor den Augen. Meine Hände fangen an zu Zittern. Es wird eisig Kalt und trotzdem breche ich in Schweiß aus
"Bei Merlins Bart, Betty! Bist du völlig übergeschnappt?!" schreit Sirius so laut, dass der Tarnumhang herzlich wenig bringt, aber trotzdem höre ich ihn nur entfernt.
Krampfhaft kralle ich mich an seiner Schulter fest. Es fühlt sich an, als würden meine Organe zusammen gequetscht und dann in den Mixer gesteckt werden.
Ich spüre dunkel, wie sich zwei Hände unter meinen mittlerweile auf dem Boden zusammen gekrampften Körper schieben.
Es tut alles weh. Alles. Körperteile, die ich im Biologie Unterricht tausendmal gehört habe und Knochen, von denen ich nicht wusste, dass sie existieren. Es ist, als ob ich etwas dringend brauchen würde, aber ich weiß nicht was.
Ich kann an nichts mehr denken. Ich bekomme nichts mehr mit. Die schmerzen durchfahren meinen ganzen Körper.
"Betty!" leise höre ich Sirius im Hintergrund schreien "Betty!" es wird lauter, als ob er auf mich zu rennen würde. Langsam sehe ich wieder verschwommen und dann immer schärfer. Mein ganzer Körper pocht, aber der Schmerz lindert sich.
Jetzt erkenne ich Sirius ganz deutlich über mich gebeugt. Wir sind in einer kleinen Nebengasse zwischen zwei Häuser. Das Geschreie und Gestöhne verrät mir, dass es hinter mir weiter geht.
"Verdammte Scheiße, Betty!" schreit er mich an. Jetzt kann ich ihn sehr wohl hören. Er ist irgendwie... verzweifelt. Sehr verzweifelt. "Was bei Merlins Bart ist mit dir passiert?" frägt er. Seine Stimme klingt brüchig. Er hat sich Sorgen gemacht.
Sorgen. Schon wieder. Ein Gefühl, dass Menschen so sehr quälen kann.
Ich setze mich auf und lehne mich an die Wand. Das ist sicherlich nicht die Zeit um sich auszuruhen, aber hier ist keiner und es kann uns auch keiner sehen.
Ich atme tief durch. Was ist mit mir passiert? "Ich... ich habe keine Ahnung" jeder einzelne Buchstabe kratzt an meinen Stimmbändern. "Der Fluch er..." ich blicke noch mal auf meinen Verbrannten Pulli an der Schulter und die makellose Haut darunter.
Was wäre passiert, wenn mich Sirius nicht weggeschubst hätte? Dann hätte er mich direkt getroffen und dann? Wie hätte es sich dann angefühlt? Wäre ich gestorben? Schnell und schmerzlos oder langsam und qualvoll? Ich will gar nicht darüber nachdenken.
Sirius scheinen ähnliche Dinge durch den Kopf zu gehen. Er ist kreide bleich, wodurch seine Haar noch dunkler sein Gesicht umranden. Mit zitternder Hand fährt er durch sie.
Dann räuspert er sich und steht auf, als würde ihm wieder einfallen, wo er ist. "Wir... wir müssen durch die Tür" erklärt er mir und zeigt auf die Türe neben mir.
"In den Honigtopf?" frag ich verwundert. 
Sirius nickt. "Die Todesser haben einen Bann über das Dorf gelegt. Wir können nicht raus oder apparieren, also müssen wir einen der Geheimgänge nutzen. Das hier ist der beste." erklärt er mir "Kannst du laufen?"
Ich nicke ebenfalls und will mich an der Wand hochziehen, aber auch wenn der Schmerz nachgelassen hat, bin ich erschöpft und meine Beine sind noch mehr wie Pudding als je zuvor. Ich kippe um und falle in Sirius arme. Mir wird leicht schwindelig. Meine Hand wandert automatisch an meinen Kopf. Sirius legt meinen Arm um seine Schulter und stützt mich.
Wir laufen die Treppen runter in den Lagerraum des verlassenen Ladens. Die Gespenstische Stille ist wirklich gruselig, wenn man daran denkt, dass davor noch glückliche Schüler ihre Einkäufe erledigt haben. 
Vom Lagerraum aus schlüpfen wir in einen langen Gang. Wir schienen ewig zu laufen, bis wir wieder raus krabbeln.



Rumtreiber, Muggel und die anderen Dinge in Hogwarts (Rumtreiber ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt