Eine zweite Chance

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Stille... Das war es was ich wollte. Einfach nur Stille, mehr nicht. Ich lag auf einer weiten Wiese vernab der Stadt und wünschte mir für immer hier liegen bleiben zu können, doch so fair war das Leben nicht. Es machte gnadenlos weiter ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Ich fühlte mich wie von einem großen Laster überfahren. Ausgelaugt, müde und kaputt würden es am besten beschreiben, wie ich mich fühlte. Meine Kraft war wie weggeblasen, seit dem Vorfall von Gestern. Ich konnte es mir denken, woher dieser plötzliche Zustand kam und wollte nur so schnell wie möglich weg von diesem Schloss. Merkwürdiger Weise war es bis jetzt noch niemandem aufgefallen, dass ich fehlte. Für mich war es ein leichtes gewesen zu fliehen, denn als ich aufwachte war selbst Shin nicht anwesend gewesen, was mir auf verwunderlicher Weise einen Stich ins Herz versetzte. So sehr ich mich dagegen auch sträubte, so empfand ein Teil in mir auch das komplette Gegenteil. Er wollte ihn bei sich haben, seine Nähe genießen. Angewidert von mir selbst wollte ich mich aufsetzen, doch schon nach dem ersten Versuch gab ich es auf. Es war zwecklos. Meine Kraft hatte gerade mal dazu gereicht gehabt mich hierher zu schleppen. Mehr war wohl einfach nicht mehr drin. Seufzend ließ ich mich zurück ins weiche Gras fallen. Du musst es dir wie bei einem Föhn vorstellen, Lydia. Wenn er überhitzt, weil er zu lange in Betrieb genommen wird, fängt er an mit qualmen und letztendlich geht er einfach aus. So sind wir auch. Es liegt in unserer Natur ein hitziges Gemüt zu haben, doch ab und zu passiert es, dass auch wir uns einfach zu viel zumuten. Besonders dein Körper ist dies nicht gewohnt, vergiss nie, dass auch du ein Mensch warst." „Ich weiß..." gab ich müde von mir und wünschte mir nichts sehnlicher, als einfach zu schlafen, doch schlagartig spürte ich, wie der Wind sich plötzlich umschlug und sich dunkle Wolken am Himmel verbreiteten. Erst verlegen rieselten die ersten Tropfen auf die Erde hinab, bis es immer mehr wurden und mich vollkommen nass tränkten. So gern wär auch ich einer von ihnen... so leicht und schwerelos, sie durchliefen den ewigen Kreislauf der Natur, ohne die Schrecken dieser Welt kennen lernen zu müssen. Ich beneidete jeden, der diesem entfliehen konnte. Seufzend genoss ich die Kälte, mit der sie mich trafen. Sie kühlten mein Gemüt und klärten meinen Verstand. Alles schien in den Hintergrund zu rücken und alles was zählte, war das Hier und Jetzt. Mittlerweile fielen die Regentropfen in Strömen auf die Erde und mich herab, doch durch meine geschärften Sinne trat ich wie in eine mir neue Welt. Es war als wäre der Moment wie festgehalten und ich sah jeden noch so kleinen Wassertropfen vom Himmel fallen und aufprallen. Überwältigt von all dem, was ich fühlte, blieb ich fast wie benommen auf dem weichen sanftem Gras liegen und starrte hinauf auf die immer dunkler werdenden Wolken. Würde es heut' noch gewittern? Eine unheimliche Vorfreude ergriff meinen Körper und zitternd atmete ich tief ein und aus. Langsam erwachte mein Körper wieder aus seiner Starre und richtete sich etwas versteift auf. Meine Beine zitterten noch etwas, doch dies hinderte mich nicht im Geringsten meinen Weg fortzuführen. Wohl bewusst welch' komisches Bild ich abgeben musste, schlenderte ich gelassen durch den Park. Meine Freude über die anfängliche Ruhe hielt jedoch nicht lang, denn ein lautes Schluchzen ließ mich inne halten. Geneigt dazu dies einfach zu ignorieren, wollte ich einfach weiter gehen, doch ein erneutes Schluchzen erreichte nun auch mein Gewissen und ließ mich genervt seufzen. Warum konnte es nicht einfach einmal komplett still sein? Leicht verärgert und genervt folgte ich meinen Instinkten und fand auch ziemlich schnell denjenigen, der meine Ruhe störte. Ein Mädchen, ich schätzte sie auf siebzehn, saß allein im strömenden Regen auf einer der vielen Bänke im Park und weinte bitterlich. Ihre mittlerweile vollkommen nassen schwarzen Haare hingen zur Seite schlaff hinunter und verdeckten so die Sicht auf ihr Gesicht, doch dieses brauchte ich auch nicht sehen um zu wissen, welch' Macht in ihr steckte. Die Welle ihrer Aura hatte mich vollkommen unvorbereitet getroffen und ließ mich kurzzeitig in meiner Bewegung erstarren. Faszinierend beobachtete ich sie, doch sie schien mich überhaupt nicht zu bemerken, denn sie weinte einfach weiter. Ich musste zugeben, ich war nicht gerade die Feinfühligste in solchen Angelegenheiten und langsam fing es auch an zu nerven, doch ich bemühte mich ruhig zu bleiben. „Warum weint ein so edles und starkes Geschöpf wie dir?" Fragend und verwirrt zugleich war ich vor ihr stehen geblieben und mussterte sie. Ein solches Wesen, wie sie eines war, sollte stark und anmutig über den Wolken hoch empor steigen, doch das was ich sah, hatte nichts mehr mit dem zu tun, was sie war. Eine Wächterin des geheimen Wissens und Reichtums. Ein Greif, halb Adler und halb Löwe. Erschrocken zuckte sie zusammen und hob langsam ihren Kopf. Es war, als würden ihre Augen mich tief in ihren Bann ziehen, mich in ihr innerstes lassen und ihre Seele erblicken. Ein kurzes ziehen verriet mir, das sie ebenfalls versucht hatte mich zu lesen, doch ich wusste sie würde scheitern, sobald sie es auch versuchen würde. Stirnrunzelnd sah sie mir entgegen. „Wer bist du?" hauchte sie schon fast, doch durch mein Gehör konnte ich es so wahrnehmen, als stände sie mir direkt gegenüber. „Weißt du, es ist ziemlich unhöflich auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten." antwortete ich ihr und setzte mich nun neben sie. „Also nochmal." seufzte ich . „Warum weinst du?" fragte ich leicht desinteressiert und betrachtete dabei meine Fingernägel. Erstaunt blickte sie mich an, als wüsste sie nicht, wie sie reagieren soll, letztendlich entschied sie sich doch dafür mit mir zu reden. „Du weißt was ich bin?" zögerlich und fragend, blickten mich ihre Augen dennoch wissend an. „Ja." Seufzend schlug sie ihre Hände an den Kopf. „Ich bin die Schande meiner Rasse." brachte sie zähneknirchend heraus und blickte dabei auf ihre ineinander gefalteten Hände hinab. „Schande meiner Rasse?" fragend hingen diese Worte in der Luft. „Für jeden Greif ist es eine Ehre einem Herren dienen zu dürfen und es ist eine Schande sich gegen ihn zu stellen oder gar ihn zu töten. Eine solche Tat wird mit Verbannung aus dem Reich der Greifen bestraft." erzählte sie und verwirrt zogen sich meine Augenbrauen zusammen. „Und du hast deinen Herren getötet?" „Gott, Nein! Dazu wäre ich nie im Stande. Ich..." Fragend drehte ich meinen Kopf in ihre Richtung, als sie begann zu stocken und schielte leicht zu ihr hinab. „Du... was?" Gespannt erwartete ich ihre Antwort. Zähne knirschend senkte sie ihren Kopf. „Ich habe...ihn geliebt. Nie hätte ich ihm etwas antun können. Er war es der mich aufgenommen hat, ohne ihn wäre ich noch immer auf den Straßen Nibuaes. Ohne ihn wäre ich immer noch das auf den Straßen lebende Waisenkind. Ohne ihn wäre ich noch immer ein Nichtsnutz. Das musst du mir glauben...ich.. ich könnte nie..." Pure Verzweiflung. Mitgefühl stieg in mir auf, obwohl ich dies vehement zu unterdrücken versuchte. „Sie haben dich dennoch angeklagt? Meinten sie wären im Recht und haben dich verbannt?" Nur noch nickend brachte sie mir eine Antwort entgegen und ich verstand. Man hatte ihr den Mann genommen und sie in ihrer Trauer allein gelassen. Unverzeihlich. „Ich glaube dir." brachte ich ohne jeden Zweifel heraus, denn ich tat es wirklich. „Was?" fragte sie und war wie erstarrt sitzen geblieben, so als könnte sie es nicht glauben, was sie da hörte. Langsam drehte sich ihr Kopf zu mir, sodass sie mir direkt in die Augen sehen konnte, darauf erpicht einen Zweifel in ihnen zu erkennen, doch vergebens. „Warum?" Eine Weile dachte ich nach. „Weil wir uns ähnlich sind. Wir wurden für Taten die wir nicht begangen haben gehasst und vertrieben. Wir sind Verstoßene." erklärte ich ihr und ihr Blick schien mich dabei zu durch bohren. Lydia , Shin hat mitbekommen, dass du nicht mehr im Anwesen bist. Er ist stocksauer." schallte Medinas Stimme durch meinen Kopf, ehe ich diesen hob. Woher...? „Ihr seid Gefährten und wenn du ehrlich bist, spürst du es tief in dir selbst." Verdammt! Sie hatte recht! Warum ausgerechnet jetzt? Genervt erhob ich mich von der Bank und machte mich innerlich auf die Standpauke bereit, als er auch schon neben mir stand. Erschrocken von dem plötzlichen Auftauchens meines verhassten Aufpassers zuckte das Mädchen vor uns zusammen. „Shin ic-" „Verdammt! Was fällt dir ein einfach so abzuhauen?! Gestern Abend klappst du mir noch aus heiterem Himmel einfach so zusammen und heute bist du einfach verschwunden!" Empört zog ich scharf die Luft ein und wollte gegen kontern, doch da sprach er schon weiter. „Es geht so nicht mehr! Ich werde andere Seiten aufziehen müssen, damit du endlich akzeptierst, dass ich nicht noch einmal den selben Fehler begehen werde. Eins ist aber klar! Wir werden jetzt gemeinsam wieder zurück gehen und es gibt keine Widerrede!" brüllte er und ließ dadurch mein Blut kochen, wäre da nicht Medina in mir gewesen. Überlege dir gut was du jetzt machst, Lydia. Deine Kraft wird dafür nicht mehr reichen. Wohl oder übel wirst du diesen Abend und wahrscheinlich auch die gesamte restliche Woche das ertragen müssen." Was?! Solange? Das darf doch nicht war sein! Wütend schnaubte ich auf, lief ihm aber dennoch hinter her und als er meine Hand in seine nahm, ertrug ich es einfach, den ich spürte selbst, wie der Schlaf an mir zog. „Verdammt!" murmelte ich leise und begann zu gähnen. „Warte!" riss mich jedoch eine Stimme wieder zurück. Shin war ebenfalls stehen und gemeinsam drehten wir uns noch einmal zurück. „Wie ist dein Name?" schrie sie mir fragend hinterher. Lächelnd antwortete ich ihr „Nächstes Mal vielleicht." und dann waren wir beide auch schon verschwunden. So war es das Beste für alle. „Shin?" murmelte ich leise. Gib ihm eine Chance. Er hat sie verdient." „Ich bin müde." Ruckartig drehte er sich zu mir herum und hob mich hoch. „Das kommt nur daher, weil du gleich wieder abhauen musstest. Du gönnst dir aber nie auch nur einmal Ruhe! Du kotzt mich manchmal so an!" fluchte er leise. „Halt die Klappe!" murmelte ich und legte beide Arme um seinen Hals, während ich mich an ihn drückte. Verdammt er war so bequem! „Ich dachte du hasst mich?" murmelte er fragend in mein Haar. Schnaubend schloss ich meine Augen. Vielleicht hast du recht, Medina. Ich werde ihm diese Chance gewähren, aber nur diese eine. Schließlich hat doch jeder eine Zweite Chance verdient, oder etwa nicht?

Schwarzes Blut - Das Erwachen vor dem SturmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt