Es war noch dunkel, als sie mich aus meiner Zelle holten, die Treppen hinauf führten und an die noch kühle Morgenluft brachten. Der nächste Morgen war nun angebrochen und sobald die Sonne aufgehen würde, würde man mich hinrichten. Der Wind wehte durch meine Haare und ein unendliches Gefühl der Freiheit überkam mich, welches ich so sehr vermisst hatte, während meiner Zeit im Gefängnis. Am Anfang waren viele der Gassen noch leer, doch je weiter wir durch die Stadt liefen, um den Marktplatz zu erreichen, wurden sie immer voller und als wir unser Ziel erreichten, mussten mehrere Wachen helfen, damit man uns überhaupt durchließ. Wieder begegnete ich vielen Blicken, die nur so vor Wut schäumten, doch als ich genauer durch die Reihen sah, erkannte ich mehrere Gesichter, welche mir trauernd und von tiefem Schmerz erfasst, entgegen sahen. Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen, „Danke." flüsterte ich leise, wurde jedoch promt von einer
der Wachen grob am Arm gepackt und weiter mitgezogen. Ein letztes Mal schritt ich Treppen empor zu einem hohen Podest, auf dem mein Leben für immer enden sollte. Sie drückten mich auf die Knie und ich senkte demütig meinen Kopf auf das Brett. Ein letztes Mal sah ich mir diese Welt mit meinen Augen an und schloss diese nun für immer. Die Sonne ging gerade auf, während ich hörte, wie die Scheibe auf mich hinab sauste, um mich zu enthaupten und machte mich innerlich auf den Schmerz gefasst, der kommen würde, doch es kam nichts. Verwirrt darüber, öffnete ich die Augen, doch das hätte ich lieber bleiben gelassen, denn das, was ich sah, war viel schlimmer, als meine bevorstehende Enthauptung. Geschockt weiteten sich meine Augen und auch den Bürgern hatte es, sowie mir, die Sprache verschlagen. Starr vor Schreck beobachteten sie das Geschehene. Vor mir standen in einer Reihe aufgereiht fünf junge Männer mit schwarzen Gewändern, auf denen das Symbol des hohen Vampirrates prangte. Fast wie gelähmt, starrte ich das Zeichen an und bemerkte so nicht, wie mich jemand aus meiner Haltung heraus hob und mich in seine Arme bettete. Erst als ich in die fast komplett schwarzen Augen desjenigen sah, kam ich wieder zur Besinnung und erkannte den goldenen Schimmer in ihnen. Diese Augen würde ich überall wieder erkennen können. Geschockt von dem, was soeben geschehen war, ließ ich mich von ihm wegtragen. So viele Fragen schwirrten in meinem Kopf. Weshalb war er hier? Warum hatte er mich gerettet? Was hatte der hohe Vampirrat mit all dem hier zu tun? Erst die Schreie meiner Freunde holten mich wieder aus meiner Schockstarre und ich bemerkte, dass wir in dem naheliegenden Wald stehen geblieben waren. „Lydia, kennst du diese Typen?" fragte Charisse mich unsicher und vollkommen außer Atem, doch ich ignorierte sie. „Warum bist du hierhergekommen, Shin?" fragte ich so kühl, wie möglich und senkte meinen Kopf, damit ich ihn nicht ansehen musste. „Shin?" sprach sie mich fragend nach und ihre Augen weiteten sich wissend. Auch den Anderen schien nun klar zu sein, wer mich hier im Arm hielt und wurden mit einem Mal leise. „Weshalb bist du hier?" zischte ich nun wütend und musste mich arg unter Kontrolle halten, um ihm keine zu scheuern. Er jedoch ignorierte es, setzte mich behutsam wieder auf den Boden ab und drückte mich fest gegen einen der Bäume, damit ich nicht auf den Gedanken kommen konnte, wegzulaufen. Langsam beugte er sich zu mir hinunter und das, was er dann tat, schockte mich um ehrlich zu sein mehr, als sein heutiges auftauchen. Sanft und doch bestimmt drückte er mir seine Lippen auf meine und brachte mal wieder aufs neue meine Gedanken völlig durcheinander. Ich wusste nicht warum, doch wenn er mich küsste, war es fast so, als würde mein Herz wieder anfangen zu schlagen und das schneller als je zuvor, während das Blut in meinen Adern wie verückt zu pulsieren anfing. Als würde ich wieder lebendig werden. Warum zum Teufel wollte mein Körper ihn nur so sehr? Warum sehnte er sich ausgerechnet nach ihm? Warum konnte es kein anderer sein? Ohne es verhindern zu können, rutschte mir ein leises Stöhnen heraus und er nutzte die Chance, um den Kuss noch weiter zu vertiefen. Eigentlich wollte ich ihn von mir stoßen, doch mein Körper gehorchte mir einfach nicht mehr. Er wollte ihn und er brauchte ihn so dringend, doch mein Verstand machte ihm da einen Strich durch die Rechnung. Er war es, der uns im Stich gelassen hat! Er war es, der mich im Stich gelassen hat! Die Erinnerungen an damals schnitten scharf durch mein Inneres und ließen nun auch endlich meinen Körper wieder zur Vernunft kommen. Wütend unterbrach ich den Kuss, packte ihn am Kragen und stieß ihn von mir. Er taumelte einige Schritte nach hinten und ich wollte schon auf ihn losgehen, da wurde ich von Milan und Darcio aufgehalten. Beide hatten mich an den Armen gepackt und sprachen immer wieder beruhigend auf mich ein, doch es hatte keinerlei Wirkung mehr auf mich. Ich war außer mir vor Wut und das sollte er auch spüren! „WAS BILDEST DU DIR EIGENTLICH EIN?! DU ELENDER HURENSOHN! DAS ICH WIEDER, WIE EIN BRAVER WELPE ZU DIR ZURÜCK KOMME UND DEINEN ZEITVERTREIB SPIELE, MHHHMMM?! VERGISS ES! WENN ES DIR DEINE FRAU NICHT BESORGEN KANN, DANN SOLLTEST DU VIELLEICHT MAL DARÜBER NACHDENKEN, DICH VON IHR ZU TRENNNEN, STATTS SIE ZU BETRÜGEN!" brüllte ich ihn an und merkte dabei nicht, wie immer mehr Tränen meine Wangen benetzten, während er mir ausdruckslos entgegen sah. „ICH BIN NICHT MEHR DER KLEINE NAIVE WELPE VON FRÜHER! ICH BIN NUN EIN AUSGEWACHSENER HÖLLENHUND UND ICH SCHWÖRE, WENN DU MIR AUCH NUR EINMAL ZU NAHE KOMMEN SOLLTEST, WERDE ICH DICH IN STÜCKE ZERREIßEN!!!!!!" knurrte ich bedrohlich und bleckte meine mittlerweile scharfen Zähne, doch er ignorierte all meine Warnung und kam langsam auf mich zu. „Ich glaube das ist keine so gute Idee!" machte Darcio ihm klar, doch er schüttelte nur mit dem Kopf. „Lasst sie los! Es ist in Ordnung." Beide sahen sich zuerst skeptisch an, bevor sie nickten und mich wieder losließen. Mit einem Mal war ich wieder bei ihm und stürzte mich auf ihn, sodass wir beide auf den harten Boden fielen. Immer wieder schlug ich fest auf ihn ein, während mir die Tränen hinab rollten, bis er plötzlich meine Fäuste zu fassen bekam und er den Spieß umdrehte. Nun lag ich unter ihm und er hielt mich an den Handgelenken links und rechts, neben meinem Kopf, fest. Erneut presste er seine Lippen auf meine, jedoch diesmal viel fester und beinahe schon brutal. Mit Gewalt verschaffte er sich Einlass und ich konnte nichts anderes tun, als mich diesen Kuss hinzugeben. Er dominierte mich eindeutig, ließ mich erst nach einer Weile wieder frei und das Schlimmste, es gefiel mir auf eine merkwürdige Art und Weise. Schwer atmend, lag ich unter ihm und war nicht im Stande auch nur irgendetwas zu sagen. „Du warst nie auch nur Ansatzweise bloß ein Zeitvertreib für mich, Lydia und wenn es dich beruhigt ich habe nie geheiratet. Und das du kein kleiner naiver Welpe mehr bist das sehe ich." lachte er leise. „Du bist zu einer wirklich wunderschönen und starken Frau herangewachsen." murmelte er und beugte sich zu mir herab um mir einen Kuss auf die Stirn zu geben, doch dies hatte ungeahnte Folgen für mich. Beruhigende Wellen durchfuhren meinen Körper und ließen meine Wut ruckartig verschwinden, nur die Erschöpfung blieb. Ich konnte nicht mehr und das wusste auch er. „Wir werden zurück in die Welt der Menschen reisen, wo ich dir alles erklären werde. Hier ist es einfach zu gefährlich im Moment." sagte er bestimmt und ich wollte gerade erneut ansetzen zu rebellieren, doch da schritt Charisse plötzlich ein. „Du wirst mit ihm mitgehen!" „Was?!" Fassungslos sah ich ihr entgegen und auch den Anderen schien dies nicht zu gefallen. „Du hast mich schon verstanden! Du wirst mit ihnen gehen, ob freiwillig oder gezwungen, ist mir egal, aber du wirst gehen! Du bist mir einfach zu wichtig geworden in den letzten Wochen, als das ich zulassen könnte, dass sie dich noch einmal gefangen nehmen lassen und endgültig hinrichten!" Sprach sie ernst und plötzlich war es still, sodass man eine Stecknadel fallen hätte hören können. „Sie hat Recht." unterbrach Tiffa die Stille und sah mir traurig entgegen. „Aber ich will nicht wieder zurück in diese Welt! Ich hasse sie! Ich gehöre dort einfach nicht mehr hin!" quengelte ich verzweifelt und sah hilfesuchend zu Milan und Darcio, doch auch in ihren Blicken konnte ich sehen, dass sie derselben Meinung waren und es für das Beste hielten. Schmerz und Trauer füllten mein Herz. Warum passierte nur immer mir so etwas? Warum konnte nicht einmal etwas glatt in meinem Leben laufen? Shin stand von mir auf und zog mich mit sich wieder hoch. „Warum sollte ich mit dir gehen? Du hast gar kein Recht mehr über mich zu urteilen!" sprach ich verärgert und starrtete einen letzten Versuch irgendwie aus dieser Sache wieder heraus zu kommen, doch auch dieser wurde im Keim erstickt, als plötzlich Romulus hinter den Bäumen hervortrat. „Da muss ich dich enttäuschen, Lydia. Shin hat sehr wohl Recht daran, denn er hat vom Vampirrat höchstpersönlich die Einwilligung bekommen. Nur er ist noch für dich zuständig." sprach er und ich konnte mir ein bissigen Kommentar nicht verkneifen. „Ach der alte Sack ist auch da, wie schön!" Doch als ich begriff, was dieser alte Sack soeben gesagt hatte, wurde mir schlecht. „Warte sie haben was?" fragte ich fassungslos und musste schwer schlucken. Selbst Victor hatte sich damals weit fern von ihnen gehalten. Obwohl er es nie zugegeben hatte, spürte ich seine Angst vor ihnen und es machte mich stutzig. Wenn er schon eine solch große Macht besessen hatte, wie groß war dann die des Rates? Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter und nackte Angst ergriff mich. „Sie sind mächtig, Lydia. Überleg dir gut, was deine nächsten Schritte sind." flüsterte die Stimme tief in mir und instinktiv wusste ich, dass es klüger war, auf sie zu hören. Wütend schnaubend ergab ich mich schließlich und ließ meine Arme kraftlos nach unten hängen. „Na schön. Ich werde mit dir kommen, aber glaub ja nicht, dass dann alles Friede Freude Eierkuchen ist! Diese Zeit ist nehmig schon lange vorbei! Ich sehe darin nur meinen eigenen Vorteil, mehr nicht." gab ich ihm ernst zu verstehen und sah ihm dabei direkt in die Augen. Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben, doch ansonsten zeigte er keine Reaktion und ich drehte mich wieder zu Charisse um, der ich diesen ganzen Schlamassel nun zu verdanken hatte, doch diese sah mich weiterhin nur aus unschuldigen Augen an, während ich vor Wut fast überbrodelte. „Irgendwann wirst du verstehen, dass das alles nur zu deinem Besten passiert ist. Keiner hier möchte dich ärgern, Lydia." flüsterte sie leise und zog mich in eine sanfte Umarmung, die ich jedoch nicht erwiderte. Unfähig etwas zu tun oder zu sagen, stand ich einfach nur dort und ließ sie mich nacheinander umarmen, bis mich plötzlich von hinten zwei starke Arme umfingen und mich an seine Brust zogen. „Wir müssen jetzt gehen." flüsterte er mir leise ins Ohr und streifte mit seinem Atem meine nackte Haut. Eine leichte Gänsehaut überzog mich, doch schnell schüttelte ich sie wieder ab. Knurrend löste ich seine Arme wieder von mir und sah ihn abwertend an. „Kann es jetzt losgehen, oder willst du hier noch verotten?" fragte ich genervt und setzte mich in Bewegung, mit dem Wissen schon wieder etwas verloren zu haben, was mir viel bedeutete. Meine Freunde.
Einige Zeit später war es dann soweit. Dadurch, dass sich so eine enorme Kraft in mir bündelte, hatte es etwas länger gedauert, wie eigentlich ursprünglich geplant, doch ich fand sie sollten sich so viel Zeit, wie möglich lassen bei dem Aufbau des Portals, denn ich hatte es überhaupt nicht eilig, zurück in diese Welt zu reisen. In eine Welt, in der mich nichts mehr hielt, außer meine Vergangenheit. Nun schritt ich durch das Portal, welches uns direkt in die Trainingshalle des alten Gemäuers bringen sollte, während Shin den gesamten Weg meine Hand hielt. Ich hatte so oft versucht sie von mir loszureißen, doch am Ende hatte ich es aufgegeben. Ein mulmiges Gefühl machte sich jedoch in mir breit, bei dem Gedanken in den nächsten Minuten nach so langer Zeit wieder auf die anderen Mächte zu treffen.
Der Tunnel, in dem wir uns befanden, lichtete sich langsam und wurde draufhin von eisernen Metallwänden ersetzt, die in die Höhe ragten. Ich konnte spüren, wie ihre Blicke förmlich auf mir lagen, doch ich sah nicht ein einziges Mal auf. Warum auch? Ich kannte sie ja auch kaum! Shin stand genau gegenüber von mir und berühte sanft mein Kinn, als eine laute Frauenstimme ertönte und eine alte Dame auf Romulus zugestürmt kam. Sie fiel ihm hektisch um den Hals und drückte ihn fest an sich, doch da zog Shin meinen Kopf auch schon wieder zu sich, sodass ich gezwungen war ihm wieder in die Augen sehen zu müssen. Ein leises, bedrohliches Knurren drang aus meiner Kehle und ich fixierte ihn mit meinen Augen. Was bildete der sich überhaupt ein wer er war? „Ich bin nicht bei dir um dir weh zu tun, Lydia. Ich bin da um ein Auge auf dich zu haben und dich im Falle auch zu beschützen." Flüsterte er leise und hauchte mir einen zarten Kuss auf die Wange. „Ich bin mir sicher, dass du es irgendwann verstehen wirst." sprach er und nahm erneut meine Hand wieder in seine. Genervt ging ich ihm hinterher, doch bevor wir auch nur einen Schritt in den Fahrstuhl setzen konnten, wurden wir von Romulus aufgehalten. „Ich erwarte euch beide in zwei Stunden in meinem Büro! Wir haben noch einiges zu klären!" sprach er bestimmt und mit ernster Miene, woraufhin Shin ihm nur zunickte und weiter vorran ging. Ich wusste nicht weshalb, doch ich konnte mich noch genau an all die Wege dieses großen Labyrinth erinnern und keine fünf Minuten später standen wir vor der Tür unseres Zimmer. Erst jetzt wurde mir klar, was dies für mich bedeutete. Ich war erneut wieder in meiner persönlichen Hölle gefangen und würde dieser auch nicht so leicht entfliehen können. Gerade öffnete er die Tür und der einzige Gedanke der mir durch den Kopf schoss, war...
Augen zu und durch!
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Schwarzes Blut - Das Erwachen vor dem Sturm
VampirosWas wäre, wenn dein Leben mit einem Biss beendet wird und du nie wieder die sein wirst, die du einmal warst? Wenn dich dunkle Mächte versuchen auf die andere Seite zu zerren? Die fünfzehn jährige Lydia glaubte ja an so vieles im Leben. An Gerecht...