Flucht

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Mr. Norton starrt mich an. Sein Gesicht wirkt wie versteinert, als würde er etwas erblicken, was nicht möglich wäre. Er macht schnell ein, zwei lange Schritte auf mich zu. Ich zucke instinktiv zusammen, seine Schläge immernoch auf meiner Haut spürend. Doch da kommt nichts, kein Schmerz der plötzlich über meinen Körper fährt. Lediglich seine beiden Arme, die mich fest packen und mich an ihn heranziehen. Es wirkt so mechanisch, zugleich so ehrlich und ich brauche einen Moment um zu verstehen was passiert. Mr. Norton umarmt mich. Seine Hände haben schon soviel Unsagbares mit meinem Körper angestellt und doch lasse ich mich im selben Moment wo ich begreife, dass er mich nur umarmt, in eben diese Hände fallen, mich von ihnen halten, mich fest an ihn drücken. Meine innere Stimme beginnt sich skeptisch zu fragen was das soll, wo der Haken ist; malt sich aus was alles als nächstes Schlimmes passieren könnte und alamiert, ja schreit mich förmlich an misstrauisch zu sein. Aber meinem Körper verzehrt sich gerade zu nach dieser Nähe, dieser Art von Berührung, die er so lange nicht mehr erfahren hat und gibt sich dem völlig hin. Mr. Norton ist so warm, er scheint fast zu glühen und als er meine Brust an seine drückt und ich seinen Herzschlag spüre, merke ich mit welcher Inbrunst es gegen seinen Brustkorb hämmert. Sein Puls ist viel zu schnell und ich blicke hoch um seinen Blick einzufangen. Der maskenhafte Antlitz ist aus seinem Gesicht verschwunden, stattdessen formt sich etwas, das zwischen Panik und Erleichterung zu schwanken scheint.
"Wir werden bald fahren, meine Sklavin", sagt er und reißt mich damit wieder aus meinem langsam aufkommenden Tagtraum.
"Fahren?", sage ich mit fragendem Blick und füge nach nachdem seine Augen mich anfunkeln noch ein "Sir" hinzu.
"Wir werden eine Reise machen. Erinnerst du dich an den anderen Mann in diesen Club?", fragt er mich mit zögerlichen Blick, während er anfängt seine Arme etwas zu strecken.
"Ja Mr. Norton, ich erinnere mich gut."
"Dann weißt du ja auch noch, dass er keine leeren Worte von sich gibt. Wir haben eben eine deiner Leibwächter gefunden. Ihm geht es bald wieder gut, aber es wurde eine Botschaft bei ihm gefunden." Mr. Norton nimmt eine Hand von meiner Hüfte und greift in sein Sakko, um ein einfach gefaltetes DinA6 Blatt hervorzuholen. Das Papier wirkte schwer und als mein Sir nunmehr auch die andere Hand von mir nimmt und das Stück Papier entfaltet scheint ein Wasserzeichen durch die geschöpften Fasern. In schönster Kalligraphie steht nur ein einziges Wort in der Mitte des Blattes. Gardez.
"Gardez", murmle ich mit gekräuselter Stirn.
"Mein Sir, ich... ich verstehe nicht ganz was das bedeutet", sage ich verunsichert.
"Das ist französisch meine Sklavin, besser gesagt ein französischer Ausdruck beim Schach und bedeutet soviel wie -Schütze deine Dame-", spricht Mr. Norton mit einem ernsteren Ton als zuvor. Ich höre seine Worte aber scheine nur die Hälfte zu verstehen.
"Schach? Ist das... ist das irgendsoein Spiel für euch? Und ich bin ein Bauer, den man hin und her schiebt wie es einem gefäll..." Erst ein Zischen, dann die auftreffende Ohrfeige unterbrechen meinen Satz. Erschrocken halte ich ein und meine innere Stimme spricht selbstgerecht, dass ich mich nicht so in Sicherheit hätte wiegen dürfen. Ich meinen Sir an, sehe aber keinerlei Befriedigung in seinem Gesicht. Er hat mich nicht geschlagen weil er Lust darauf hatte, sondern nur wegen meines Ton. Irgendwie steigt ein Gefühl in mir auf, das mein Aufbegehren bedauert und wünscht ich hätte die Klappe gehalten, damit eine Ohrfeige nicht nötig gewesen wäre. Doch ich versuche diese Emotion so schnell es geht abzuschüttel, ganz gelingt es mir jedoch nicht.
"Nein, Anna." Er schweigt einen Augenblick, dann fährt er fort, "nein Anna, es ist kein Spiel. Zumindest für mich. Für ihn ist es das und er ist wirklich gut darin. Du gehörst mir Anna, aber für ihn bist du nur eine Spielfigur, etwas das er mir wegnehmen kann; aber nein du bist für ihn keine Bauernfigur Anna, du bist die wertvollste Figur im Spiel. Die Dame, meine Dame. Er ist gut in dem was er macht und genauso unberechenbar, deshalb müssen wir für eine Weile von hier weg."
Ich starre ihn während seines Monologes an und mit jedem Wort wandelt sich meine Mine von schieren Unglauben zu großer Sorge. Zwar bin ich auch etwas stolz, weil er sich so um mich kümmert und um mich sorgt, aber etwas Verwirrung schleicht sich auch bei mir ein. Ich verstehe zwar nicht den Zusammenhang, aber ich weiß, dass wenn etwas meinem Herrn solche Angst macht, es wirklich bedrohlich sein muss.
"Ich habe schon genug Zeit in dich investiert meine Sklavin, als das ich es mir wieder kaputt machen lasse", sagt er und mein gesamter Stolz schmilzt wieder in sich zusammen.
"Pack deine Sachen, schnell. Wir fahren in einer halben Stunde ab Anna," spricht er, löst sich komplett von mir und verschwindet mit schnellem Schritt im nächsten Gang. Verdutzt bleibe ich reglos stehen. Mir kommt es vor wie Stunden, es sind wahrscheinlich jedoch erst Sekunden vergangen, als ich bemerke, dass nichts mehr passiert, sich niemand weiter um mich kümmert und husche ich schnell in mein eigenes kleines Zimmer. Ein offener Koffer steht auch schon bereit und ich stelle mit Freude fest, dass bis jetzt niemand etwas hineingetan hat. Ich gehe zum Kleiderschrank und möchte gerade anfangen zu packen, da fällt mir ein, dass ich gar nicht weiß wohin es geht. Wird es dort kalt oder warm sein, wird es regnen oder schneien? Ich überlege einen Moment, dann werfe ich einfach wahllos Klamotten in den Koffer. Wenn nichts davon passt, soll Mr. Norton mir doch neue Sachen kaufen, schließlich spielt er sich doch immer so auf und tut so als würde er sich um mich kümmern! Mit einem triumphierenden Gefühl ziehe ich den Reißverschluss zu und schleppe den mittlerweile schweren Koffer vor meine Zimmertüre. Draußen wartet schon ein sehr großer Mann, der aussieht, als könnt er durch reines Muskelanspannen seinen Anzug sprengen. Er nimmt mir den Koffer ab und wirft ihn sich über die Schulter, als wäre es ein leerer Karton. Mich hätte er bestimmt ebenso leicht über die Andere werfen können, denke ich mir. Ich schaue ihm hinterher, als er mit schnellem Schritt anfängt zu gehen und fühle mich einen Augenblick verloren auf weitem Flur, als er sich zu mir umdreht und mir bedeutet ihm zu folgen. Es fällt mir sichtlich schwer seinen angelegten Tempo zu folgen, vor allem weil er keinerlei Rücksicht auf mich oder meine immer noch schmerzende Mitte nimmt, die ich bei jedem Schritt spüre. Ich stapfe hinter dem Mann her, bis wir zu einer Tür kommen, die auf der Rückseite des Hauses in den Außenbereich führt. Er schiebt die schwere Eichentür mit einer Hand auf. Es eröffnet sich der Blick auf den Garten und den großen Kiesweg. Auf uns wartet schon ein dunkelgrüner Bentley, in dem mein Begleiter auch sogleich meinen Koffer verstaut und mir die hintere Tür öffnet. Eigentlich will ich gemächlich gehen, doch als ich Mr. Norton schon mit genervten Blick im Inneren sitzen sehe, beeile ich mich. Das Auto erinnert mich von innen viel mehr an ein klassisch/modernes Wohnzimmer, als wirklich an das Innere eines Wagens.
"Was habe ich dir zu meiner Uhr gesagt Anna?", fragt er mich, als ich es mir gerade hinter dem Beifahrersitz bequem mache.
"Ähm, dass sie nie falsch geht... Sir."
"Sehr gut, dann bist du doch nicht ganz nutzlos", sagt er wütend und erscheint mir sehr gestresst.
"Sir?", frage ich devot und zögerlich um ihm etwas von diesem Stress zu nehmen und ihm gut zu tun.
"Was ist denn?", kommt von ihm eine Nuance sanfter zurück.
"Wohin geht nun die Reise, Sir?"
"Frankreich meine Sklavin, Frankreich."

Under the TreesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt