Die Reise

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Der Bentley fährt an zahlreichen kleineren wie größeren Kontrollen vorbei. Über Asphalt, eine kurze Schotterpiste und Beton, trägt die sanfte Federung des Autos Mr. Norten und mich, bis die Reifen auf einem Rollfeld direkt neben einer Bombardier Challanger 650 halten. Der Privatjet hat bereits seine Treppe geöffnet und ein Mann in Uniform steht wartend aber mit stoischer Haltung daneben. Schnell steigen wir ein, nicht ohne das Mr. Norten sich mehrfach hektisch umdreht. Er scheint sich immer noch in einem Ausnahmezustand zu befinden. Mehr und mehr frage ich mich wie gefährlich der Gegenspieler von Mr. Norten ist, wie lange sie sich schon kennen und welche Bedrohung wirklich von ihm ausgeht. Langsam realisiere ich wie sehr ich die ganze Situation die ganze Zeit unterschätzt habe. Das Flugzeug hebt mit einer anmutigen Grazie ab und schwebt wie auf Federn gebettet über das Wolkenkleid des Himmels.

Nach zweieinhalb Stunden setzt unser Jet, elegant wie ein weißer Vogel, über der Normandie zur Landung an. Gleißendes Licht bricht durch die Fenster vor mir und hüllt Mr. Norten und mich in einen goldenen Mantel. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als wir dicht über der Küstenlinie hinweggleiten. Das Flugzeug setzt so sanft auf, als würden wir rohe Eier transportieren und rollt aus. Es ist ein kleiner, lokaler Flughafen, nicht mehr als eine Betonbahn zwischen Feldern und Bäumen.

Ein Kling ertönt und der Pilot spricht
,,Sir, wir sind angekommen. Die Temperatur beträgt 24 Grad. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt", dann erlischt die Stimme mit französischen Akzent wieder so schnell wie sie gekommen war. Aufregung macht sich in mir breit und meine Hände zittern.
Ausgestiegen warten wir nicht lange, bis ein Auto vorfährt, mir kommt es allerdings wie eine halbe Ewigkeit vor. Ein Bentley, das gleiche Modell wie in Schottland, rollt an uns vorbei und hält direkt vor dem Jet. Während zwei Menschen aussteigen, und unsere Koffer umpacken, bedeutet Mr. Norten mir ihm zu folgen. Derweil versuche ich meine aufkommende Bewunderung für dieses aufgeführte Theater zu verbergen. Kam es mir in unserer Heimat noch so vor wie eine überstürzte Flucht, macht es nun viel mehr den Eindruck wie eine minutiös geplante Reise. Ich frage mich, ob Mr. Norten diese Show nur für mich abzieht, oder ob er immer auf diese Art von Pünktlichkeit, Prunk und Gehabe besteht. Wahrscheinlich Letzteres. Damals hat er dieses Spektakel mit Schach verglichen und gesagt, dass der andere ein sehr guter Spieler sei; langsam komme ich aber zu der Vermutung, dass er selbst ein ebenso guter Spieler ist, wenn nicht besser. Ist es das, wenn man reich ist? Ist das die Art von Zeitvertreib? Man entführt ein unschuldiges Mädchen, versucht sie einem hörig zu machen oder wegzunehmen und jagt sich quer über den Globus? Während all diese Gedanken in meinem Kopf rumschwirren, werde ich plötzlich mit harter Hand nach vorne gerissen. Scheinbar war ich meinem Herrn nicht schnell genug. Was er wohl über mich denkt?
Wir nehmen wieder auf der Rückbank platz und das Auto fährt so schnell los, wie es erschienen ist. Wir verlassen den kleinen, ländlichen Flughafen über eine geschotterte Straße. Der Himmel zieht sich langsam mit Wolken zu und das raue Gesicht der Normandie beginnt sich für einen Augenblick zu zeigen. In der Allee, in die wir einbiegen, neigen sich die Wipfel der Bäume unter der starken Hand des Windes und ich könnte schwören, dass ich das Rauschen von Blättern und der schäumenden See höre, doch im Auto ist es neben dem einschläfernden Rollen der Reifen absolut Still. Mr. Norten Sitz diesmal zwar auf der anderen Seite, aber trotzdem wieder hinter dem Fahrersitz. Hat das irgendeine Bedeutung? Ist es ein unterbewusstes Zeichen von Macht? Wir lassen auch die Allee hinter uns und fahren einen kleinen Hügel hinauf, auf dem eine zweispurige Straße nach Norden und Süden führt. Auf unserer Linken erstreckt sich der endlose Atlantik. Er bildet eine umwerfende Fläche aus dunkelblauen Strukturen, die wellenartig von noch tieferen Schwarz durchbrochen werden. In der Ferne erhebt sich etwas bei der Küste, das aussieht wie eine real geworden Version von Cinderellas Schloss aus den Disneyfilmen. Verwirrt blicke ich zu Mr. Norten.
"Ist es das was ich denke, Sir?"
"Wenn du an Mont St. Michel denkst, dann ja liebe Anna"
"Habe ich nicht", gestehe ich kleinlaut und komme mir etwas ungebildet vor.
"Das ist nicht schlimm Anna, der Ort ist auch nicht so bekannt, wie man denkt."
"Warum dieser Ort Sir?"
"Das hat zwei einfache Gründe. Der erste Grund ist, dass wir damit unter dem Radar fliegen. In England gibt es so einen ähnlichen Ort mit fast identischen Namen, der keine halbe Flugstunde entfernt ist und ich sogar etwas Land besitze. Der zweite Punkt ist, dass es dort wirklich schön ist, besonders zu dieser Jahreszeit!"
"Wäre England dann nicht besser gewesen, wenn sie da ohnehin ein Haus haben Sir?", frage ich und bereue es sogleich. Er funkelt mich scharf an.
"Weil das vorhersehbarer wäre. Dort wird man nach uns suchen. Und bis man die Verbindung zu diesem Ort hergestellt hat, sind wir auch schon wieder weg. Keine Sorge, ein paar Tage Ruhe können wir uns dort trotzdem gönnen.", antwortet er, aber mit einem schneidenden Unterton.
Ein paar Regentropfen schlagen gegen die Fensterscheibe neben mir, doch im Hintergrund bricht die Wolkendecke auch schon wieder auf und entlässt ein Bündel Sonnenstrahlen in unsere Richtung. Was aus der Ferne wie ein riesiges Schloss aussah, entpuppt sich als ein Berg, zu dessen Füßen eine Stadt mit eigener Mauer platz gefunden hatte. Über dieser erstreckt sich ein gewaltiges burgartiges Gebäude mit immer filigraner werdenden Bogengängen und Stützsäulen. Unser Auto biegt auf eine Brücke, die geradewegs zu diesem majestätischen Bild hinführt. Der Bentley nimmt erheblich Geschwindigkeit heraus und alle paar Meter merkt man Bodenwellen. Der Wagen hält bei einem kleinen Parkplatz vor der Stadtmauer und wir steigen alle aus.
"Komm Anna, wir müssen uns beeilen, der Wagen muss schnell wieder auf die andere Seite der Brücke."
"Oh, in Ordnung Sir. Aber wieso das denn, werden wir verfolgt?" Er lacht über meine Frage und für einen Moment sieht sein Gesicht fragend aus, als ob er darüber grübeln würde, ob ich meine Frage ernst meine.
"Nein, Anna. Bald kommt die Flut." Seine Antwort verwirrt mich, aber ich traue mich nicht weitern zu fragen. Stattdessen folge ich ihm und unserem Chauffeur, der die Koffer trägt, durch das imposante Bogentor in die Stadt. Jede Straße, jede Gasse, jedes Haus, ja jedes Detail sieht so aus, als hätte man die Zeit angehalten. Lediglich die Touristen zerstören die Illusion. Wir gehen eine nach oben gewundene Straße entlang, die in einer Sackgasse auf der Höhengrenze zwischen Stadt und Burg endet. Wir stoppen vor einem großen, aber in den Zug der Straße eingegliedertes Haus, das ein mächtiges Eingangstor besitzt. Mein Herr klopft und uns wird Einlass in einen Vorhof genehmigt. Es ist eine Mischung aus Garten und Atrium und ich hätte nicht mit solch einem kleinen Refugium in der sonst sehr dicht gebauten Stadt gerechnet. Ich versinke in Träumerei und frage mich, wie es wohl wäre wenn die Situation eine andere wäre. Wenn wir ein tatsächliches Paar und nicht nur Entführer und Entführte wären. Meine Innere stimme räuspert sich, ich versuche schnell wieder einen klaren Gedanken zu fassen, ich schaue mich weiter um und denke wieder.. die Schönheit jener Tage die ich in Freiheit genoss ein für alle mal dahin. Bin ich wirklich an den Punkt gekommen aufzugeben? Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Mr. Norten greift nach meiner Hand und zieht mich in ein großes Gebäude, dass sich schließlich als Hotel entpuppt.

"Hör auf zu träumen Eleyna, wir sollten stets wachsam sein." Ich nicke, weil ich weiß, dass die richtigen Worte grade nicht greifbar sind, ich bin verunsichert und entkräftet.

"Anna, ich passe auf dich auf, ich kümmere mich um dich und gebe dir was du brauchst. Sei nur nicht dumm halte dich an meine Regeln und es könnte sowas wie ein Urlaub für uns werden" Meine innere Stimme kocht und poltert herum, doch mein Körper ist schwach und meine Seele braucht Ruhe. Wir steigen eine gewundene Treppe hoch, die ich vor Müdigkeit nicht genauer betrachte und der Weg kommt mir wie eine Ewigkeit vor, meine Augen schließe sich und öffnen sich. Das wiederholt sich. Ich werde gepackt starke Arme heben mich und ein wohliger Duft umschließt mich.

"Du kannst ja kaum noch gehen, fall mir nicht die Stufen hinunter. Ich werde dich niemals hergeben", kaum nehme ich diese Worte wahr schlafe ich auch schon ein. In seinen Armen, die mir ein Gefühl von Sicherheit geben und umgeben von seinem Geruch der mich wohlfühlen lässt.

Under the TreesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt