Prolog

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Versagt, sie hatte versagt.
Zwischen dem roten Lichterwirrwarr, den trampelnden Schritten und den aufgebrachten Rufen wiederholte sich diese Tatsache unaufhörlich im Kopf des Mädchens. Von der zuvor noch nächtlichen Ruhe war von der einen Sekunde auf die andere nichts mehr übrig. Unvorstellbar, dass vor wenigen Minuten noch alles still da gelegen hatte.

Adrenalin pumpte durch den Körper des kleinen Mädchens, als es sich mit schnellen lautlosen Zügen durch den engen Schacht der Lüftung zog.

Das kalte Metall unter ihr liess ihren abgemagerten Körper erzittern.
Ihre jungen, kindlichen Züge verhärteten sich angestrengt als es durch die Rillen eines Lüftungsschachts zwei Sicherheitsmänner durch die Gänge eilen sah.
Die Enttäuschung über sich selbst lag ihr schwer im Magen, mindestens genauso schwer wie das errungene Bild auf ihrem Rücken.
Sie hatte versagt, sie war aufgeflogen.
Das Mädchen hielt den Atem an als einer der beiden Männer unter ihr stehen blieb und aufhorchte. Sie verharrte ebenfalls in ihrer Bewegung und beobachtete den Mann, stumm betend, er möge weiter gehen.
Sie hatte geahnt, dass etwas nicht stimmte. Hatte gewusst, dass es zu leicht gewesen war und doch hatte sie all ihre gedrillten Instinkte in einem Moment der Schwäche ignoriert.
Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, sich über die Tatsache zu freuen, wieder etwas zwischen die Zähnen zu bekommen.
Der Winter stand bald vor der Tür. Eine alljährliche Probe die schnell zum Tod führen konnte, vor allem für eine kleine, kaum 30 Kilo schwere Zehnjährige.
Dieser Auftrag hier würde ihr durch die Hälfte der harten Zeit durchhelfen, vielleicht sogar noch etwas länger wenn sie sparsam war. Doch zuerst musste sie hier rauskommen.
Der berechnende Blick der dunkelhaarigen Halbstarken haftete immer noch auf dem Sicherheitsmann unter ihr. Während dieser immer noch keine Reaktion von sich gab und starr lauschte, war sein Partner weit weniger geduldig.

Mit genervtem Gesichtsausdruck trat dieser abwechselnd von einem Bein auf das andere.
Ehe er seinem Kollegen ungeduldig etwas zu zischte, worauf sich der andere wenn auch widerwillig  wieder in Bewegung setzte. Kurze Zeit später waren beide den Gang hinunter verschwunden.
Erst dann zwang sich das Mädchen ihren bis zum zerreissen gespannten Körper zu entspannen. Es konnte sich nur schwer ein erleichtertes Seufzen verkneifen.
Sie liess nochmal ein paar Sekunden verstreichen, um auch tatsächlich sicherzugehen, dass die Gefahr für den Augenblick gebannt ist, ehe es mit geübten Hangriffen den Lüftungsschacht aufklappte. Flink kletterte sie aus der Öffnung der Lüftung und kam lautlos auf dem roten Teppichboden der oberen Galerie auf. Ihre Augen huschten unruhig nach allen Seiten, wägten routinemässig ihre beste Chance für einen Fluchtweg ab. Den vorgesehenen jedenfalls konnte sie nun vergessen. Diese Chance hatte sie vertan. Das Mädchen hörte erneut Schritte und wusste, dass es höchste Zeit war, hier zu verschwinden. Es würde nicht mehr lange dauern und sie hätte gar keine Möglichkeit mehr, hier raus zu kommen.
Sie tastete mit der einen Hand nach dem langen zylinderförmigen Gefäss auf ihrem Rücken. Auch wenn sie dessen Last spürte, musste sie sichergehen und es berühren. Sie hatte zu viel riskiert, als dass sie mit leeren Händen hier raus kommen durfte. Es wusste nur zu gut, wie ihr Arbeitgeber seine Missgunst ausdrücken wird, würde sie mit leeren Händen bei ihm ankommen.

Mal davon abgesehen was passieren wird, würde sie vorher geschnappt werden. Denn dann würde ihr noch viel Schlimmeres bevorstehen, da war sie sich sicher.

Allein wenn das Mädchen schon nur daran dachte, was andere Kinder in ihrer Situation schon alles hatten durchmachen müssen, weil der Staat sich dazu verpflichtet fühlte, sich um Waisen zu kümmern, wurde ihr schon ganz anders.
Viele mit denen sie ihr Nachtlager teilte, hatten genau diese Sonderbehandlung bekommen.
Meist mit dem Resultat, dass sie lieber die Strassen bevorzugten als gewalttätige Pflegeeltern mit Alkoholproblemen, die nur auf das Geld des Staates aus sind.

Angespornt von diesem Gedanken, verschmolz die dünne Gestalt mit dem Schatten und schlich lautlos den Gang hinunter bis zu einer Tür auf der ganz gross PRIVAT stand.
Sie hatte nicht lange Zeit zu überlegen, denn sie hörte mehrere Schritte hinter sich und immer mehr Stimmen waren auszumachen.
Das Mädchen hätte am liebsten vor Freude geweint als die Tür sich öffnen liess und schlüpfte in den Raum. Sie blinzelte ein paar Mal, um sich an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen und erkannte dann, dass sie in einer Putzkammer gelandet war.

Viel besser aber war, dass die besagte Kammer über ein Fenster verfügte.
Zwar ein kleines aber für eine schmale Gestalt wie die des Mädchen kein Problem. Das Einzige was ihr Sorgen machte, war die Lage ihrer einzigen Fluchtmöglichkeit.
Das besagte Fenster war weit über ihr in der rechten Ecke des Raumes. Ohne etwas Einfallsreichtum also unmöglich für sie da ranzukommen.
Ihr Blick scannte den Raum nach Möglichkeiten ab und blieb an einem Regal hängen. Es sah stabil aus und wäre nicht zu weit weg, um das Fenster problemlos erreichen zu können.
Vorsichtig, bemüht keine allzu lauten Geräusche zu machen, tastete sie nach Halt und zog sich mit aller Kraft an dem Regal hoch, Stück für Stück.
Das kleine Fenster leistete keinen Widerstand als es geöffnet wurde und während dem Mädchen die frische, kühle Abendluft entgegen wehte, breitete sich ein triumphierendes Lächeln auf dessen Zügen aus.

Gleich neben ihr verlief eine Regenrohr in die Tiefe einer Gasse. Hoffentlich war das Ding stabil genug. Doch ihr blieb gar keine andere Wahl.

Geschickt klammerte sie sich an das Rohr und kletterte nach unten, manchmal hatte sie zwar die Befürchtung, das Rohr würde jeden Moment unter ihrem Gewicht seinen Dienst versagen, doch es hielt stand. Die dünnen, kraftlosen Arme des Mädchens protestierten bereits noch vor der Hälfte, trotzdem liess sie sich nicht beirren und kletterte mit flinken Zügen weiter in die Tiefe. Ihre Handflächen brannten unter der Anstrengung, aber das Einzige was sie vor Augen hatte, waren neue warme Kleidung, die gefütterten Stiefel in dem Secondhand-Laden gleich eine Strasse von ihrem momentanen Lager entfernt, auf die sie schon so lange ein Auge geworfen hatte  und nur nie das Geld dazu  gehabt hatte und Essen. Frisches, warmes leckeres Essen. Allein bei der Vorstellung knurrte ihr ausgehungerter Magen verlangend. Wann hatte sie zum letzten Mal etwas gegessen? Vor einem Tag? Vor zwei? Oder doch eher vor drei?
Sie wusste es nicht.

Sobald ihre Füsse wieder festen Boden zu spüren bekamen, atmete sie erleichtert aus. Sie hatte es geschafft. Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem selbstgefälligen Zug, während ihre Hand abermals auf ihren Rücken zur Rolle glitt.
Ein letztes Mal blickte sie hoch zu dem kleinen Fenster, durch das es sich keine Minute zuvor noch durch gezwängt hatte, ehe sie sich umdrehte und...gegen etwas prallte. 


Schnell wurde dem Mädchen aber klar, dass das kein Etwas sondern ein Jemand war, der sie da so unsanft auf den Boden befördert hatte.
Ihr überrumpelter Blick traf auf ein paar riesige, dunkle Wildlederstiefel.

Verfluchte Kacke!

Langsam wanderte ihr Blick hoch.

Female BodyguardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt