11. "Nichts"

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R A E

Es überraschte mich nicht, als wir vor einem der alten mit viel Mühe restaurierten Backsteingebäude in einem der reicheren Teilen der Stadt hielten. Für eins dieser Appartements ging sicherlich das dreifache an Miete drauf, als ich für meine Wohnung monatlich hinblättern musste, und bereits diese fraßen ein ganz schönes Loch in mein Budget. Umso bemerkenswerter war es, dass Starck für diese Bleibe anscheinend die Miete seit dem Tod seines Freundes übernommen hatte.

Cass umrundete den Wagen, während ich immer noch durch die Scheibe das Gebäude betrachtete und bevor ich überhaupt Anstalten machen konnte, selber auszusteigen, öffnete er die Tür und bot mir seine Hand. Mit einem dankbaren Blick nahm ich sie an und liess mich von ihm langsam auf die Beine ziehen. Dabei konnte ich nicht verhindern, dass ich mein Gesicht verzog. Meine Seite brannte wie Feuer bei jeder noch so kleinen Bewegung. Aber an eine weitere Nacht im Krankenhaus war nicht zu denken. Ich hasste Krankenhäuser. Und was ich noch viel mehr hasste, war im Bett zu liegen, wenn alle anderen ihrer Arbeit nachgingen. Also mussten diese verdammten Schmerzpillen einfach ausreichen, etwas anderes würde ich nicht akzeptieren.

Cass sagte nichts, als ich leise fluchend meinen Mantel anzog und dabei spürte, wie sich die Wunde schmerzhaft zusammenzog. Er war nicht begeistert, dass ich mich selbst entlassen hatte und jetzt schon wieder auf den Beinen war, aber er wusste, dass keine zehn Pferde mich zur Vernunft bringen konnten. Dafür hingegen wich er mir nicht von der Seite, bereit mich aufzufangen, wenn es nötig war und auch wenn mir seine Fürsorge gewaltig gegen den Strich ging, akzeptierte ich sie. Wir waren eine Familie und sorgten uns um einander, umgekehrt hätte ich ihn wahrscheinlich am Bett festgekettet, also sollte ich froh sein.

Bei dem Gedanken schmunzelte ich, wurde aber sogleich wieder ernst, als der Sportwagen von Starck neben uns zum Stehen kam und der Milliardär lässig wie immer ausstieg. Ian folgte ihm mit einem breiten Grinsen von der Beifahrerseite und hob beide Daumen in die Höhe, was Cass hinter mir ein leises Lachen entlockte. Ich verdrehte nur genervt die Augen und bewegte mich zielstrebig auf das Gebäude zu, ohne darauf zu warten, dass sie mir folgten. Ich war nicht begeistert davon, Starck dabei zu haben, aber die Wohnung war sein Eigentum, also konnte ich nicht wirklich viel einwenden.

Solange er uns unsere Arbeit machen ließ, sollte es mir egal sein. Außerdem wusste ich, dass ich ohnehin nicht lange damit durchkommen würde, ihn auf Abstand zu halten. Schließlich war es mein Job, an ihm zu kleben wie eine verfluchte Klette.

Als wir ins Gebäude traten, stellte ich erleichtert fest, dass es ein Aufzug gab. Denn laut Starck war Doyle' Wohnung im fünften Stock und ich glaubte kaum, dass ich überhaupt ein Stockwerk mit der Treppe geschafft hätte. Da nahm ich auch in Kauf, dass man in dem Teil fast an Klaustrophobie litt und einen Grünstich verpasst bekam.

Vor der Wohnungstür trat ich beiseite und ließ Starck die Tür aufschließen. Dabei war er mir wieder näher als mir lieb und nötig war und ich spürte seinen Blick auf mir, welchen ich jedoch wiederholt gekonnt ignorierte und stattdessen den Gang studierte.

Zwei weitere Wohnungen waren auf diesem Stockwerk. Ich werde mit beiden Eigentümern sprechen müssen. Vor allem mit der alten Dame die behauptet hatte, zwielichtige Gestalten hier ein und aus gehen gesehen zu haben. Die Polizei hatte zwar schon alles pflichtbewusst erledigt und dank Starck' Einfluss haben wir auch Einsicht in die Ermittlungsakten, aber dennoch, ich wollte mir ein eigenes Bild verschaffen.

Im Augenwinkel sah ich wie Starck' Hände etwas zitterten, während er die Tür öffnete und ich unterdrückte das Verlangen, ihm aufmunternd eine Hand auf den Arm zu legen und folgte ihm stattdessen stumm in die Wohnung.

"Das letzte Mal als ich hier war, war nach seiner Beerdigung. Ich habe nicht aufgeräumt, geschweige denn habe ich es geschafft, all das loszuwerden und die Wohnung zu räumen.", letzteres sagte er eher zu sich selbst, doch wir hörten es alle und schwiegen einen Augenblick.

Female BodyguardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt