Tag 2 - Der Teddy

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Lena schaut immer noch ganz verdutzt. Der fremde Mann war einfach so wortlos wieder verschwunden, nachdem er ihr die Schachtel in die Hand gedrückt hatte. Normalerweise sollte sie keine Geschenke von Fremden annehmen, das wusste sie. Doch dieses kleine braune Paket sieht einfach zu verlockend aus.

Lena setzt sich auf den Boden und beginnt langsam das Paketband zu lösen. Ganz vorsichtig nimmt sie den Deckel von dem Karton und wagt einen tiefen Blick hinein. Was sie sieht, zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen.

„Ein Teddy!" Völlig aus dem Häuschen entreißt das Mädchen den Stoffbären seinem Loch und beginnt mit ihm wie wild über den Gehweg zu tanzen. Ein paar Passanten schauen sie dabei schief an und gehen kopfschüttelnd weiter. Doch Lena interessiert das nicht. Sie ist ja auch erst vier.

Überhaupt hält Lena nicht viel von den Erwachsenen. Sie sind schließlich schuld daran, dass ihr Vater zu Heilig Abend nicht zu Hause sein wird. Weil er arbeiten muss, weil es immer nur um das Geld geht. Das sagen sie zumindest. Auch wenn Lena klein ist, versteht sie ziemlich gut was vor sich geht. Ihr Papa ist nicht gern gesehen, da wo er ist. Sie haben nicht viel von dem Geld, das man scheinbar überall so dringend braucht. Auch das merkt Lena jeden Tag, wenn ihre Freundinnen alle ein neues Fahrrad bekommen aber sie hat immer noch kein eigenes, wenn es in der Wohnung kalt ist, weil die Heizungsrechnungen nicht bezahlt sind oder ganz einfach wenn ihre Eltern nie da sein können, weil sie arbeiten müssen. Für ein kleines Mädchen ist es jedenfalls alles andere als schön immer den ganzen Tag alleine spielen zu müssen, sich um sich selbst kümmern zu müssen, weil keiner da ist.

„Es ist doch ganz einfach: Bleibt hier und spielt mit mir. Da gibt es keine Probleme. Ich bin glücklich, ihr seid glücklich. Wenn alle glücklich sind ist das doch gut", hat sie einmal zu ihrer Mutter gesagt. Die hat daraufhin nur eine kleine Träne verdrückt und sachte genickt. Geändert hat das aber nichts.

Jetzt ist Lena alleine draußen. Eigentlich hat sie ihrer Mama gesagt, dass sie auf den Spielplatz um die Ecke geht, aber in Wahrheit wollte sie in die Stadt. So gern sieht sie durch die großen Glasfenster der Kaufhäuser und sehnt sich danach, auch einmal so viele Spielsachen zu haben.

Die Menschen schauen sie komisch an. Vielleicht ist es ihnen zu kindisch, mit einem braunen Kuscheltier durch die Einkaufsstraße zu spazieren und zu lachen, während man ihm eine Geschichte erzählt. Vielleicht sind sie auch zu genervt von all der Hektik in der doch eigentlich besinnlich gemeinten Weihnachtszeit oder sie sind schlichte Zyniker. Jedenfalls bekommt Lena einige böse Blicke und verächtliches Schnauben als Antwort auf ihre Freude.

Doch das ist ihr egal. Die Welt dreht sich nur noch um sie und diesen kleinen Bären. Denn dieses eine Mal war Lena wirklich glücklich. Sie hatte einen Freund zum Spielen gefunden. Sie ist erst vier und er ist nur ein Bär, aber keiner der beiden verurteilt den anderen für das, was er ist. Keiner beschimpft ihn. Keiner zeigt dem anderen, dass er nur im Weg ist, sondern die beiden genießen die Zeit gemeinsam.

Und das ist, was wirklich zählt in diesem Moment. Die Freude einer kleinen Vierjährigen über einen Teddybären, den ihr ein unbekannter Mann einfach so geschenkt hatte. Lena lacht. Das wahrscheinlich fröhlichste und ehrlichste Lachen der ganzen Stadt. Denn sie hat begriffen, was wirkliches Glück bedeutet.

Der braune Pappkarton mit dem geöffneten Deckel und der losen Schnur jedoch liegt unbeachtet noch immer vor dem Einkaufszentrum. 

Das Paket - Ein AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt