Tag 13 - Der Absturz

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Hoch im Himmel steht das kleine Flugzeug, schwebt einem eisernen Vogel gleich über den dunstgrauen Wolken. Einige Stunden sind seit dem Start bereits vergangen. Der Weg ist zwar nicht allzu weit, jedoch gilt aufgrund der schlechten Wetterlage besondere Vorsicht. Schneefall blieb bisher zwar aus, dennoch weht ein stetiger Wind.

Gustav schlürft seinen Kaffee. Seit über dreißig Jahren fliegt er diese Rostlaube nun schon. Die „Eherne Lissie", wie er das alte Mädchen liebevoll getauft hat. Er hat sie damals von seinem Vater geerbt. Der hat ihm auch das Fliegen beigebracht. Seither war er schon in vielen Einsätzen, flog Kampfjets, Helikopter für das Krankenhaus und sogar ein Postflugzeug über den Atlantik. Doch diese Tage sind gezählt. Bereits vor vielen Jahren hat sich Gustav in dem kleinen Dörflein am Rande des Nichts niedergelassen, um die letzten Tage seines Lebens ruhig zu gestalten. Nur noch ab und zu steigt er in die Lüfte, wie heute, wenn es die Umstände gebieten. Dann erhält er zumindest ein kleines Stück des Ruhmes zurück, den er einst genoss. Noch einmal erlebt er den Glanz dieser Zeiten.

Eigentlich darf er gar nicht mehr fliegen. Die Luftfahrbehörde hat Gustav seinen Flugschein aberkannt kurz bevor er hierher gezogen war. Aber das war ihm egal.

„Einem Vogel kannst du das Fliegen nicht verbieten, auch wenn du ihm die Flügel nehmen willst!", Keifte er immer, wenn man ihn auf das Thema ansprach.

Behutsam schlürft er einen guten Schluck Kaffee. Schön schwarz, wie er es mag, mit einem kleinen Schuss Rum. Die Maschine hatte er sich damals einbauen lassen, als er noch die langen Strecken über das Meer fliegen musste. Man muss ja auch wach bleiben.

Gustav liebt dieses Flugzeug. Alles an ihm hat er sich selbst so eingerichtet, wie er es braucht. Von dem ursprünglichen Flugzeug ist nicht mehr viel übrig. Das Cockpit hat er über die Jahre modernisiert, die Schnauze gekürzt, die Flügel verlängert, aus dem großen Laderaum eine kleine Lounge gemacht und alles dekoriert mit Unmengen an Lichtern, Lämpchen, Postern und Postkarten. Davon hat er bereits eine große Sammlung, eine von jedem Ort den er je besucht hat. Und das sind einige.

Gustav prustet. Der verdammte Kaffee ist doch noch zu heiß. In einem Sprühnebel spuckt er das Gesöff wieder aus. Es verteilt sich schwammig auf seiner Windschutzscheibe. Leise fluchend greift er sich ein Tuch aus einer Schachtel, die auf dem Armaturenbrett steht und wischt energisch auf dem Glas herum. Dabei wackelt er am Steuer des Flugzeugs, welches als Antwort sofort zu wackeln beginnt. Beinahe fällt Gustav seitlich um, kann den Knüppel aber rechtzeitig wieder ruhig halten. Das wäre ja auch zu schön gewesen...

„Heilige Maria, das ist doch...", stammelt Gustav vor sich hin, als er die Sturmfront vor sich erblickt. Gigantische schwarze Wolken türmen sich vor dem Bug des Luftfahrzeugs auf, starke Winde beginnen, den Stahlkörper zu packen und wirbeln ihn mal hierhin, mal dorthin. Gustav hat alle Hände voll zu tun, mit dem Steuer die Schwankungen auszugleichen und das Flugzeug in Balance zu halten. Er hat schon viele solcher Stürme erlebt, aber dieser sieht doch außerordentlich bedrohlich aus. Zudem ist er nicht mehr der Jüngste, das weiß er. Doch die Erfahrung ist von Nutzen. Ein guter Pilot weiß: Man darf einen Sturm nicht meiden. Der direkte Weg durch ihn hindurch ist ungefährlicher als das Umfliegen.

Gustav hält also Kurs. Die Turbulenzen nehmen zu. Alles knattert und knistert, die Metallstreben quietschen und die Schrauben knarren, als würden sie sich jeden Moment lösen. Kurze Zeit hat Gustav sogar Angst, seine alte Lissie wäre solchen Gefahren nicht mehr gewachsen, doch dann erreicht er mit Ach und Krach das Sturmauge. Die Winde flachen plötzlich ab, das Ruder des Flugzeugs ist wieder ganz ruhig.

Gustav lässt sich erleichtert in seinen gepolsterten dreckig-braunen Sessel zurückfallen. Das war knapp. Mit zittrigen Händen zieht er eine Zigarette aus der Schachtel und zündet sie an. Sein Arzt hatte ihm verboten zu rauchen. Was wusste der denn schon? Würde der mal seine Praxis verlassen und Situationen wie diese meistern müssen, würde er sich dieses kleine Laster zur Belohnung auch gönnen. Nach einigen Zügen beruhigen sich Gustavs Nerven auch schon wieder. Er ist einfach zu alt, um sich noch erheblich aus der Ruhe bringen zu lassen. Wenn schon sterben, dann wenigstens in der Luft, da ist man dem Himmel gleich viel näher. Man kann es dem lieben Gott ja auch einmal leichter machen. Abstürzen, noch einmal schwerelos sein, den Luftzug spüren, die Welt sehen. Das Adrenalin macht einen von innen ganz kribbelig und fast verliert man das Bewusstsein vor Reizüberflutung. Schreien geht nicht. Man schreit nach innen. Alle Sinne fühlen, noch ein letzter Atemzug und dann Schwarz. Gustav verliert sich in diesem Gedanken. Er erfüllt ihn mit Zufriedenheit.

Als er sich aus seinen Träumereien losreißen kann, fällt ihm ein frischer Zug im Nacken auf. Er dreht sich um und bemerkt, dass sich die Ladeluke des Fliegers geöffnet hat. Das muss wohl bei dem Sturm passiert sein. Auch das Pakte, welches er transportieren sollte, ist weg.

„Verdammt."

Gustav ist empört. Da gab man ihm einmal wieder einen Auftrag und wegen ein paar Turbulenzen verlor er seine Ware. Doch es ist hoffnungslos. Er kann nicht landen und das Paket suchen, das wäre zu aufwendig und würde zu nichts führen. Außerdem bemerkt er, dass er sich weit von seinem Kurs entfernt hat. Es ist klüger, umzukehren, denkt er sich.

„Das Paket wird schon jemand finden und zustellen", tröstet er sich selbst und wendet das Flugzeug. Irgendjemand wird seinen Auftrag schon zu Ende führen. 

Das Paket - Ein AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt