Er kneift die Augen zusammen und schielt in alle Richtungen. Es ist still. Nicht auszumachen, von wo der Tannenzapfenregen auf einmal hergekommen war. Der Kerl entspannt seine Muskeln, ist aber weiterhin auf der Hut. Noch kann er nicht sagen, ob die Schützen – er geht von mehreren aus – ihm freundlich gesinnt sind oder nicht. Langsam tastet er sich nach vorne, in ständiger Erwartung einer weiteren Salve. Er nähert sich dem Paket, dass er vorhin fallen gelassen hatte. Er bückt sich. Blätter rascheln in der Nähe der Lichtung. Sofort schreckt der Einsiedler hoch.
Alles ruhig. Er geht in die Knie, um das Geschenk aufzuheben. In diesem Moment fliegt ein Tannenzapfen von der Größe einer Zucchini aus seinen Hinterkopf zu und trifft ihn mit voller Wucht. Der Einsiedler hat kaum die Zeit zu reagieren, da ist er bereits umzingelt. Er reibt sich verwirrt den Kopf und schaut sich um. Seine wilden Blicke erkennen den Feind allerdings erst, als dieser ihn zu Feind bringt.
Lauter kleine Männchen stehen um ihn herum. Er liegt nach einem unsanften Sturz auf dem Boden, die Beine mit einem roten Seil gefesselt. Die kleinen Kerle tragen komische Mützen, haben spitze Ohren und Kleidung, die aussieht wie die eines Gartenzwergs gepaart mit der Uniform eines Ninjas. Kurzzeitig glaubt der gestürzte Goliath zu träumen, bis ihm einer dieser Wichte gegen die Stirn tritt.
„Hey, du! Wo hast du das her?", fragt er in strengem Ton. Sein hohes Stimmchen verleiht dieser Aussage jedoch auch irgendwie etwas Ulkiges.
„Was?", stammelt der Große, der immer noch benommen von seinem hohen Fall ist.
„Das Paket. Geschenk Nummer 260100, du hast es gestohlen!", wirft ihm der kleine Mann vor.
„Das Pakte, aber nicht doch...", bemüht sich der einsame Wanderer zu erklären, kassiert aber nur einen weiteren Tritt gegen den Schädel, dem ein Stöhnen folgt. Diese kleinen Kerle waren viel stärker, als sie schienen.
„Gib es uns zurück und wir lassen dich gehen! Niemand darf die Geschenke anrühren, bevor es nicht Heilig Abend ist."
„Und wann ist der?", fragt der Einsiedler unnötigerweise. Es interessiert ihn einfach und erbraucht Zeit, um einen klaren Gedanken zu fassen.
„In exakt sieben Tagen, neunzehn Stunden und fünfunddreißig Minuten", antwortet ein anderer Halbling souverän.
„Ich habe die Kiste doch gar nicht gestohlen, ich habe sie gefunden und wollte sie zurückbringen", gibt der Riese zu verstehen, während er sich behutsam aufrichtet. Er ist wieder klar im Kopf und die Versuche der Zwerge, ihn am Boden zu halten scheitern kläglich.
„Was sagst du da?". Interessiert blickt ihn der Anführer dieser Heinzelmännchen an, also erklärt Der Einsiedler die ganze Geschichte, berichtet, wie er das Paket gefunden hat, wie er sich auf den Weg zum Dorf des Weihnachtsmannes aufmachte und schließlich von den Wölfen umzingelt wurde.
„Sowas aber auch", spricht der Kleine kopfschüttelnd. „Das ist uns ja noch nie passiert."
„Ich wollte euch nur helfen. Ich heiße übrigens Wilbert."
„Angenehm, ich bin Gulliver, Erster Anführer des Elfen-Einsatzteams für äußere Angelegenheiten."
„Ihr seid Elfen?", fragt Wilbert ungläubig.
„Sieht man das denn nicht?"
Der Mann schweigt. Eigentlich wirklich eine unnötige Frage. Man bespricht sich lieber über das weitere Vorgehen. Gulliver beschließt, dass es erst einmal nötig sei, dem Mann, welcher immer noch in dem kleinen Dorf im Nirgendwo festhängt, zu helfen. Denn jeder habe das Recht, das Weihnachtsfest mit der Familie zu teilen und es ist schließlich die oberste Priorität eines jeden Elfs den Menschen eine schöne Weihnachtszeit zu bescheren. Wie man nun jedoch mit dem verlorenen Geschenk umgehen soll, ist eine schwierigere Frage:
„So wie es aussieht, haben wir es hier mit einem G 37 zu tun. Das kam bisher nur einmal in der gesamten Geschichte des Weihnachtsfestes vor. Ein Geschenk wurde aus unerfindlichen Gründen zu früh abgesendet. Vielleicht ein Fehler im System, ich weiß es nicht. Fakt ist, dass der Heilige Abend unmittelbar vor der Tür steht und wir aktuell ein Kind auf der Welt haben, welches ihr Geschenk am Weihnachtstag vermissen wird, wenn wir nichts unternehmen. Wir müssen es zurückholen! Und zwar schnell!" Alle Elfen wuseln wie wild durcheinander und treffen Vorbereitungen. Nur Wilbert bleibt stehen.
„Könnt ihr denn nicht einfach ein neues Geschenk machen?", fragt er achselzuckend. Plötzlich stoppt das allgemeine Gewimmel und alle Augen sind auf ihn gerichtet.
„Jedes Geschenk ist einzigartig, so wie jedes Kind auf der Erde auch. Sie wünschen es sich und wir machen es. So läuft das. Es gib kein Ersatz", gibt Gulliver bemüht ruhig zu verstehen.
Die ersten Ninja-Elfen sind abreisefertig. Sie checken noch einmal den Halt ihrer Instrumente, schwingen sich dann auf einen Schlitten und sausen den Berg hinab. Dieser Trupp ist für die Bergung von Manfred zuständig. Wie sie mit dem klapprigen Holzgestell bis zu diesem Kerl durchdringen wollen, ist dem Einsiedler allerdings ein Rätsel.
Auch die anderen Mitglieder des Einsatzteams sind jetzt soweit. Als ihr Anführer seine Mütze gerichtet hat und sie streng anblickt, stellen sie sich alle stramm in einer Reihe auf uns salutieren Wilbert.
„Wir danken dir für deinen tapferen Einsatz in dieser Mission, Wilbert der Waldschrat. Ab nun übernehmen wir. Falls du irgendetwas brauchen solltest, wir sind für dich da. Weihnachten steht in deiner Schuld." Pathetisch schüttelt ihm der kleine Elf die Hand. Er hat sogar eine kleine Träne im Augenwinkel.
Wilbert wird das alles zu viel. Er sehnt sich längst wieder einmal nach ein wenig Ruhe und der Geborgenheit seiner Hütte. Er bedankt sich noch einmal höflich für das Angebot und wendet sich dann ab. Er lächelt. Der Rückweg scheint ihm gar nicht mehr so lang zu sein, denn die Schritte des Glücklichen werden von dem Bewusstsein, alles richtig gemacht zu haben, getragen.
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Das Paket - Ein Adventskalender
Художественная прозаEndlich ist es soweit! Stolz präsentiere ich euch hier meinen Adventskalender, der in wochenlanger täglicher Arbeit seit Anfang November entstanden ist. Ich hoffe, er gefällt euch. *******************************************************************...