Tag 14 - Der Einsiedler

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Sanft wird der Sturz des braunen Dinges von einer dicken Schicht alten Schnees abgefedert. Einige Zentimeter gräbt sich das Paket in den weichen Boden. Einige Delle zieren seine Wände. Es ist feucht und ein wenig eingedrückt, aber ansonsten unversehrt. Das Innere scheint nicht beschädigt zu sein. Der Sturm über der Landschaft verzieht sich langsam und die Nebelbänke schwellen ab.

Knirschende Schritte nähern sich dem Absturzort. Tiefe, dumpfe Töne beschallen den Wald. Das Stapfen kommt immer näher. Es hört auf. Die Geräuschquelle befindet sich nun unmittelbar vor dem Einschlagskrater. Keuchend bückt sich der Jemand nach unten und befreit das durchnässte Päckchen aus seinem kalten Gefängnis. Große Hände klopfen den Schnee von der Oberfläche ab. Die Pranken reißen den Deckel der Schachtel auf und blicken in das Innere. Kurz wird der Zettel überflogen.

„Na sowas", grummelt eine raue Stimme.

Sie gehört dem Hünen, der das Paket soeben gefunden hat. Er ist hochgewachsen, breit gebaut, unrasiert. Seine Haare sind eine Mischung aus grau und schwarz, die Augen stahlgrau. Er trägt einen kratzigen Mantel aus Fell, stabile Hosen und eine Wollmütze, die weit in das von Furchen zerfressene Gesicht reicht. Seine Haut ist verwittert und fahlgrau.

Leise keuchend macht er kehrt. Bei seiner Hütte angekommen stellt er den seltsamen Karton auf den Eichentisch. Die Schachtel ist wohl etwas verbeult, aber die Innereien sind noch voll intakt. Der Riese ist sich unsicher, was er machen soll. In all den Jahren allein hier draußen hatte er schon vieles erlebt, aber ein Geschenk, dass vom Himmel fällt, war selbst ihm fremd.

Nachdenklich blickt er sich in seinem Zimmer um. Seine ganze Wohnung liegt halb unterirdisch im Inneren eines Hügels. Mit seinen eigenen Händen hat er diese Hütte errichtet, die Stämme selbst gefällt, gesägt, genagelt und den Berg ausgehoben. Mit Harz hat er die Zwischenräume versiegelt, um vor Regen geschützt zu sein. Gedämmt wird mit Holzspänen und Moos. Auch die Einrichtung ist eigens hergestellt und rustikal. Tische und Stühle aus massiver Eiche, ein Ofen aus Stein gemauert mit Kamin, der auch als Heizung fungiert. Das Bett ist ein Lager aus Stroh und Fellen auf dem Boden. Dieser Ort ist ein Hort des Friedens, der Einfachheit und der Besinnlichkeit. Vor vielen Jahren hatte er beschlossen, der Gesellschaft den Rücken zu kehren und lebte nun vollkommen abgeschottet allein in diesem Wald. Die Gefahren sind ihm bewusst, doch er fürchtet sich nicht. Die Welt bietet ihm nur noch diese Existenz und er genießt sie. Die Ruhe, den Einklang mit der Natur, die pure Entspannung.

Als sich sein Blick gerade in dem knisternden Kaminfeuer verliert, fällt ihm etwas ein. In dem Brief, der dem Paket beilag, war von Weihnachten die Rede. Dieses Fest hatte der Einsiedler selbst schon lange nicht mehr gefeiert, es war ihm zu kommerziell geworden. Außerdem hat er hier draußen nicht einmal eine Uhr, geschweige denn einen Kalender.

Wenn es aber eben doch gerade diese Zeit ist, dann weiß er, was er tun kann. Er greift seinen Mantel, packt das Päckchen und stürzt aus der Tür. Hier ganz in der Nähe meint er sich an ein Haus zu erinnern. Mehr als ein Haus, eher ein kleines Dorf mit komischen Menschen und einem rotgekleideten Kerl, der sowas wie die Inkarnation von Weihnachten ist. Der Einsiedler macht sich auf den Weg in das Dorf des Weihnachtsmannes. 

Das Paket - Ein AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt