Tag 15 - Der Überfall

24 3 0
                                    

Ruhig stehen die Nordlichter am Himmel, wie ein langes Band aus Pastellfarben. Der trübe Schein färbt die kühle Landschaft. Die Bäume wiegen sich in einer zarten und doch eisigen Brise. Die Sträucher werden magerer, der Schnee immer tiefer. Steile Berge mit rauen Hängen ragen im Norden auf, ihrer Wipfel kratzen an der untersten Wolkenschicht. Ein unbehaglicher Dunst steigt von den Gewässern auf, die aufgrund ihrer warmen Quellen nicht ganz gefroren sind.

Der Einsiedler kraxelt an einer schmalen Bergwand entlang. Behutsam setzt er einen Fuß vor den anderen, um ein Abrutschen zu vermeiden. Mit den Händen hält er dabei das Gleichgewicht – und das Paket. Es ist ein gefährlicher Weg bis zu seinem Ziel, dem mysteriösen Dorf jenseits dieser Gebirge. Nicht allzu weit, nur etwa einen Tagesmarsch entfernt, aber aufgrund der ungünstigen Landschaft und der unsicheren Wege eine kleine Abenteuerreise.

Kurzzeitig verliert sein linker Fuß den Halt und kracht mit dem gesamten Gewicht des Riesen an der Steilwand hinab. Gerade so kann er sich mit seinen dicken Handschuhen an einer herabhängenden Wurzel festklammern und bewahrt sic h so vor dem Sturz in die Tiefe. Er schluckt einmal kräftig, dann zieht er sich nach oben, hebt das Päckchen auf, das er vor Schreck hatte fallen lassen und setzt seine Wanderung fort.

Endlich kommt er in einem kleinen Tal an. Es ist ein Felsspalt, etwa auf der Mitte des Berges gelegen. Ein gefrorener Wasserfall bricht das Licht und verteilt es in allen Farben in jedem Winkel des Steinrisses. Erschöpft lässt sich der hünenhafte Wanderer auf den harten Boden sinken. Er schnauft. Er hat bereits einen beachtlichen Teil der Reise hinter sich, doch vor ihm liegen immer noch einige Meilen dichter Wald. Dunkel und unerforscht. So weit hatte er sich bisher nie aus seinem Gebiet getraut. Ein paar Schritte von ihm entfernt eröffnet sich der Spalt in eine weite Schneise. Von hier blickt der Hüne hinab auf das Land, das ihn nun erwartet. Dichte Fichten drängen sich aneinander, knorrige Wurzeln bedecken den Weg wie Stolperfallen. Moose und Flechten haben den Boden befallen wie eine Seuche einen Kranken. Kein Rauch. Kein Rauch. Kein Anzeichen für menschliches Leben. Nur Dunkelheit und ein entferntes Heulen.

Mutig stapft der Kerl weiter, den Hang hinab und in den Wald hinein. Ihm ist ein wenig komisch zumute, doch sein unerbittlicher Wille lässt ihn nicht umkehren. Dieses Paket würde er ausliefern, koste es, was es wolle. Dumpf hallen seine schweren Schritte im Morast der Verwesung wieder. Er atmet ganz leise, um ja keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Pfad wird immer enger, die Bäume schienen ihn einzukreisen. Plötzlich findet sich der Einsiedler auf einer felsigen Lichtung wieder. Wild blickt er um sich. Er fühlt die Augen, die ihn anstarren. Wie erwartet springen sogleich Wölfe aus dem Unterholz, andere steigen von den Felsen, es müssen mindestens zwanzig sein. Ein ganzes Rudel.

Schnell lässt der Mann das Geschenk fallen und entreißt einem nahestehenden Baum einen dicken Ast. Wie eine Keule schwingt er diesen, scheint die Tiere damit aber nur noch mehr zu provozieren. Sie hecheln und keuchen und umzingeln ihn langsam. Einer fängt an zu heulen und alle anderen schließen sich dem Gesang an, weit mehr, als der mittlerweile doch verängstigte Hüne sehen kann.

Er weicht einige Schritte zurück. Die ersten Wölfe stürzen auf ihn zu, verbeißen sich in seinen Armen, Beinen, versuchen ihn zu Boden zu werfen. Mit unbändiger Kraft kämpft der Mann gegen die Bestien an, schleudert sie von sich weg, trifft sie am Kopf oder tritt sie gegen die Rippen. Doch vergeblich. Es sind zu viele. Der Einsiedler kommt gegen diese Unzahl von Tieren nicht an. Langsam gehen ihm die Kräfte aus. Er kauert sich immer mehr in seiner Position zusammen, steht mit dem Rücken zu einem Felsen.

Aus dem Nichts kommt ein braunes Etwas durch die Luft geflogen. Es trifft einen Der Wölfe am Schädel, woraufhin der sich verwirrt umdreht. Weitere Geschosse sausen unmittelbar dem ersten folgend auf das Rudel zu. Die Wölfe wissen nicht, woher sie kommen. Sie heulen. Bei näherer Betrachtung erkennt der in die Ecke gedrängte Kerl, dass es Tannenzapfen sind. Unmengen dieser länglichen Wurfobjekte schnellen jetzt durch die Gegend und schlagen immer mehr der winselnden Kreaturen in die Flucht, bis die Lichtung schließlich wieder leer ist. Bis auf den Einsiedler, der verwirrt zurückbleibt. 

Das Paket - Ein AdventskalenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt