Kapitel 11

5.9K 168 42
                                    

Irgendwie kam es doch dazu, dass ich eingeschlafen bin. Hätte ich nicht erwartet, sonst bin ich immer die ganze Nacht wach.

Ich schaute auf mein Handy. 12:29 Uhr. Habe ich wirklich so viel geschlafen? Ich drehe mich zu Diliyan. Er schläft immer noch. Die Sonne strahlt ihm ins Gesicht. Eigentlich müsste es schon lange regnen und wolkenüberzogend sein, da wir schon Mitte Oktober haben.
Am ersten Oktober habe ich geheiratet und es sind nicht mal zwei Wochen vergangen, aufeinmal passieren mir so viele Sachen! Ich fühle mich gefesselt, so als ob ich mich nicht befreien könnte. Ich bereue es echt, dass ich nicht abgehauen bin, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte, dann wäre es niemals zu diesen Sachen gekommen.

Was wohl meine Eltern und Bilal machen? Ich will wieder zu denen fahren. Ich will wieder das Haus wie damals beleben-

Meine Gedanken wurden unterbrochen. Mein Vater ruft mich an. Um Diliyan nicht zu wecken lief ich schnell ins Flur.

"Chawani Babo?"  "Slav Nora."

[Wie geht's, Papa] [Hallo Nora], sagten wir gleichzeitig. Wir fingen an zu lachen. Das war schon immer so. Er konnte nie warten, bis die andere Person am Ende der Leitung anfängt zu sprechen.

"Ich wollte mich erkundigen. Wie geht es dir nach der Entlassung? Bist du wieder ganz Gesund? Hast du dort die Nacht verbracht?", überhäufte er mich mit Fragen.

"Are Babo." [Ja Papa] "Ich bin wieder Kerngesund. Mein Schienbein tut noch etwas weh, aber es wird schon wieder. Ich bin Gestern wieder nach Hause gegangen."

"Und wieso? Du meintest doch, dass du die Nacht dort verbringst?"

Was soll ich ihn denn jetzt sagen?

"Die Betten waren sehr unbequem und ich wollte Diliyan nicht alleine lassen.", Notlüge.

"Du scheinst Diliyan zu... mögen?", sicher mag ich ihn, ist ja nicht so, dass ich von ihn tagtäglich beleidigt werde.

"Mhm, sehr.", wieso muss ich immer meine Familie anlügen? Was hindert mich daran?

"Sehr schön.", ich konnte heraus hören, wie er sich freute. Ich lächelte. Ich liebe es meine Eltern glücklich zu sehen. Wer nicht?

"Babo.", ich weiß nicht was mich dazu gebracht hat ihn drauf anzusprechen. "Babo, wieso hast du zugestimmt? Deine einzige Tochter, Bab' die Einzige.", als diese Wörter mein Mund verlassen haben, kamen schon die ersten Tränen hoch. Ich werde immer so emotional, wenn ich wieder daran zurück denke.

Ich will, dass er indirekt weiß, dass es mir beschissen geht. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so gedemütigt gefühlt. Hier wird nicht nach mir geschaut. Selbst wenn ich hier auf der Stelle mir was brechen würde, würden alle anderen sagen, dass es mir gerecht schied.

"Nora, wovon sprichst du?"

"Warum hast du mir das angetan?", endlich war es raus. Das alles frisst mich auf. Ich will das alles nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

Bevor mein Vater mich weinen hört, legte ich schnell auf. Ich legte meine Hand vor dem Mund, um mein schluchzen zu minimieren. Ich will nicht, dass Diliyan mich so sieht. So schwach.

Schnell eilte ich ins Bad. In letzter Zeit ist das hier mein Ort, wo ich mich verstecken oder ausheulen kann, geworden. Mit wem soll ich über meine Gefühle sprechen? Mit Shirin und Nurcan sicher nicht, die weiteren Geschwister kommen nicht mal in Frage und Bilal? Der würde jeden Einzelnen töten, der mir nur ein Schritt zu nahe kommt. Ich kann meine Sachen niemanden anvertrauen.

Mein Vater ruft wieder an. Ich ignoriere ihn. Ich kann jetzt nicht mit ihm sprechen. Er würde Verdacht schöpfen. Ich kann das Niemanden antun. Ich will nicht, dass andere wegen mir in Schwierigkeiten geraten. Er wird dann direkt wissen, dass Diliyan nicht gut zu mir ist und Bilal Bescheid geben. Und Bilal würde durchdrehen.

CHANCEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt