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„Wenn Sie jetzt erwarten, dass ich anfange zu heulen, muss ich Sie leider enttäuschen. Aber ich werde mich auch nicht freuen, denn das wäre unfair gegenüber dem früheren Ich von Tommen. Er war nicht immer so wie in den letzten Jahren"

Ich fragte mich wie ich reagieren würde, wenn ich erfahren würde, dass mein Bruder, den ich nicht mochte, ermordet wurde.

Leider musste ich mir zu gestehen, dass ich nichts anderes sagen würde, deshalb antwortete ich nur mit einem Nicken.

„Wo waren Sie eigentlich Vorgestern Abend?" Ich versuchte diese Frage möglichst beiläufig klingen zu lassen, während ich mich interessiert in dem Raum umsah. Es war eine Mischung aus altgriechisch und modern englisch.

Mein Gesprächspartner alias Mordverdächtiger stieß ein genervtes Schnauben aus. „Natürlich, Herr Detektiv, ich vergaß. Ich war im Haus meines Bruders und habe ihn umgebracht, da ich ihn nicht leiden kann. Nehmen Sie mich fest, ich bin schuldig und es tut mir ja so schrecklich leid" „Ich muss Sie das fragen" „Ah, natürlich Sie armer Kerl. Ich war auf einer Party mit ein paar Freunden" „Trinken Sie lieber Wein, oder Martini?" „Wein"

Nachdem er mir die Nummer seiner Freunde aufgeschrieben hatte, verabschiedete ich mich und fuhr zur Villa seines Bruders.

Heute hatte ich endgültig genug davon irgendwelche Leute zu befragen. Ich wollte mir noch einmal seinen Schreibtisch genauer ansehen und ein bisschen über meine Verdächtigen nachdenken. Irgendetwas musste ich einfach übersehen haben.

Das Vibrieren meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Hastig zog ich es aus meiner Manteltasche und stieß einen erleichterten Seufzer aus. Endlich. So schnell es mein Talent zuließ schrieb ich meinem Freund zurück und bedankte mich, etwas das eigentlich sehr selten vorkam.

Nun hatte ich meine Vermutung schwarz auf weiß, das traurige daran war, dass jedes Kleinkind irgendwie an Schlaftabletten kam.

Der Täter ist hier entlang gegangen, hatte die Flasche mit dem vergifteten Wein bei sich, in dem Wissen, selbst etwas anderes zu trinken. Er klingelt, Mr Clugerne öffnet ihm, also müssen sie sich kennen und verabredet haben.

Diese Tatsache spricht eher für den Bruder, denn wieso sollte er Mrs Smith hineinlassen, obwohl er weiß, dass sie ihn hasst. Aber sein Bruder mochte ihn auch nicht besonders. Entweder Tommen wusste nichts von den feindschaftlichen Gefühlen einer der beiden, oder es gibt noch eine dritte Person, von der ich noch nichts weiß.

Doch wer könnte das sein? In der Diele hingen keine Fotos, auch nicht im Gäste WC oder im Wohnzimmer.

Ich erklomm erneut die Wendeltreppe, die in den ersten Stock führt und steuerte auf sein Schlafzimmer zu.

Leise verfluchte ich die komplizierte Bauweise moderner Möbel, als ich eine gefühlte Ewigkeit brauchte, bis ich herausfand, wie ich die Schublade seines Nachtkästchens öffnen konnte.

Zuoberst lag ein Buch, welches mich nicht weiter interessierte, doch das was darunter lag umso mehr. Es waren zwei Fotos. Das erste zeigte eine junge Frau, fast noch ein Mädchen, das breit grinsend die Arme um den Hals eines Jungen mit braunen Haaren warf, neben den Beiden stand ein anderer Junge, welcher eine Grimasse zog, sich das Lachen aber kaum verkneifen konnte. Der Junge mit den braunen Haaren hatte nur Augen für das Mädchen und dieser Junge war Tommen. Vielleicht eine etwa fünf Jahre jüngere Version von ihm, aber er war es eindeutig.

Die Fotografin musste blonde Locken gehabt haben, die vereinzelt am Rand in das Bild wehten.

Das zweite Bild zeigte eine Schulklasse, vielleicht ein Jahr nach der ersten Aufnahme. Das anfangs so verliebte Paar stand nun möglichst weit voneinander entfernt. Das Mädchen hatte einen auffälligen Verband am Arm. Der grimassenschneidende Junge stand etwas abseits, als würde eine Person neben ihm fehlen und der Glanz in seinen Augen war verschwunden.

Die Stimmung in diesem Bild war sehr getrübt, als hätte man einen dunklen Schleier über die gesamte Klasse gelegt. Ein Mädchen mit blonden Locken konnte ich nicht sehen.

Auf der Rückseite des ersten Bildes stand in Schönschrift geschrieben: Lilli, Rosa, Chris und ich an einem wunderschönen Sommertag.

Der zweite Name ließ mich kurz stocken, dann rannte ich aus dem Haus hinaus und steuerte zum zweiten mal auf das Haus mit dem schönen Rosengarten zu.

Dieses Mal schenkte ich den gepflegten Blumen jedoch keine Beachtung und eilte den Pfad entlang.

Stürmisch klingelte ich und realisierte viel zu spät, dass ich gar nicht wusste, was ich überhaupt sagen sollte. Meine Euphorie schwand deutlich und ich umklammerte die beiden Fotos in meiner Hand.

Wie schon bei meinem letzten Besuch hörte ich die eiligen Schritte auf der Treppe. Die Tür wurde aufgerissen und die erwartungsvoll dreinblickenden Augen von Mrs Smith schauten mir entgegen.

Sie hatte offensichtlich nicht mit einem weiteren Besuch meinerseits gerechnet, denn ein verwunderter Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht.

Ich nickte ihr freundlich zu und zeigte ihr auch gleich die Fotos, die ich gefunden hatte. „Waren das Freunde ihrer Tochter?", ich versuchte irgendeine ungewöhnliche Reaktion in ihrem Gesicht auszumachen, doch die Maske davor war makellos.

Sie schaute die Bilder lange an, dann zeigte sie auf den Jungen mit den braunen Haaren „Das war ihr Freund, Chris. Er ist ein netter Junge, besucht mich immer noch manchmal, obwohl er schon längst nicht mehr hier lebt und sie mittlerweile schon über zwei Jahre tot ist. Auch er hat gesungen, hat aber die Begeisterung nach ihrem Verlust verloren so weit ich weiß", sie zeigte auf das Mädchen,

„Das ist Lilli, sie war ihre beste Freundin, doch sie habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Sie wurde eine berühmte Sängerin. Nachdem Rosa starb gewann sie den Plattenvertrag. Sie wohnt nicht weit von hier, ist aber kaum zu Hause", dann wurde ihre Stimme kalt,

„Und das ist Tommen, diese falsche Schlange. Schön um den Finger gewickelt hat er die Drei, hat ihnen vorgespielt ihr Freund zu sein. Rosa hat ihn sehr bewundert, obwohl sie kurz vor ihrem Tod oft daran gezweifelt hat, ob er wirklich ihr Freund war. Sie wusste nicht, dass er all diese schrecklichen Artikel über sie verbreitet hat, aber vielleicht hat sie es geahnt.

Ohne Lilli wäre er heute sicher nicht so gefragt, als Reporter, niemand würde ihn kennen. Als er dann bekannt wurde hat er sie fallen gelassen, wie eine heiße Kartoffel.

Das war wenige Tage nach Rosas Selbstmord", bei diesem Wort schluckte sie hart. Ich räusperte mich, um das unangenehme Schweigen zwischen uns zu brechen.

„Könnten Sie mir sagen wo Lilli und Chris jetzt wohnen, oder mir ihre Nummern aufschreiben?", sie nickte kurz und ging ins Haus, um Papier und Stift zu holen. Als sie mir den Zettel übergab erinnerte ich mich daran, dass sie noch nicht einmal wusste, dass Mr Clugerne ermordet wurde.

„Ach bevor ich es vergesse, wo waren Sie Vorgestern Nacht?" „Hier, wieso?" „Kann das jemand bestätigen?" „Nein, aber warum wollen Sie das überhaupt wissen?", ihre Stimme wurde nervös, angespannt. „Wann haben Sie Mr Clugerne zum letzten Mal gesehen?", ich fragte erbarmungslos weiter, wollte ihr auf die Frage keine Antwort geben, bis ich ihre hatte. „Keine Ahnung! Sagen Sie mir jetzt endlich was das soll!", ihre Stimme überschlug sich fast. „Tommen Clugerne wurde ermordet"

Nach diesen Worten drehte ich mich um und ging, trotzdem konnte ich ihre weit aufgerissenen Augen, den offenen Mund und das leichte glitzern von Triumph in ihren Augen direkt vor mir sehen, als würde sie nur einen Meter von mir entfernt im Türrahmen stehen.

Schwarzer RegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt