10. Kapitel

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Nun saß ich hier allein auf meinem Bett, das ich gestern noch mit Jade geteilt hatte, und dachte über alles Geschehene nach. Ich konnte ja nicht wissen, dass die Abreise von Jade und Rafael nur der Anfang eines Desaster sein würde. In dem Moment als Jade vor mir gestanden hatte, kamen mir Lichthofens Worte wieder ins Gedächtnis, aber anstatt meine Liebe zu gestehen, hatte ich es sogar vermasselt ihr in die Augen zu sehen. Liebe war der Grund für nassgeweinte Kissen und halbfertige, traurige Gedichte, die ich zu dutzend in mein Notizbuch schrieb.

Ein neue Verstand, eine neue Seele

Ein Ort an dem ich mich nicht quäle,

Wenn ich in deine Augen sehe

Und weiß, dass kein Mensch je meine Liebe verstehe

Frische Luft und neuer Wind

Damit wir wieder sehen wie ein Kind,

Das Leid und Hass nicht versteht und unausweichlich Fragen nicht umgeht

Erst dann wenn die Mauern um die Herzen anfangen zu brechen

Kann ich dir mich versprechen

... Und das war nur eine meine tausend Schnulzen. Ich brauchte dringend frische Luft und andere Bilder als nur das Schloss und seine Insassen vor meinen Augen. Selbst der edelste Palast konnte zum Gefängnis werden.

Eine knappe Stunde später erreichte ich mit meinem Pferd die kleine Stadt nahe des Schloss. Die Straßen und Häuser waren zwar nicht mehr vom Unwetter zerfetzt und überflutet, jedoch konnte mir keiner erzählen, dass der Zustand den Mindesterwartungen entsprach oder gar schön war. Die Farbe bröckelte von den Fassaden und ein kleiner Abwasserkanal, ich wollte gar nicht wissen, was darin schwamm, erstreckte sich über mein gesamtes Blickfeld. Menschen in zerrissenen, dreckigen Kleidern überquerten die Straße und auch abgemagerte Tiere schienen hier zu Hause zu sein. Überreste von Werbeplakaten und Postern hingen an Masten und Baumstämmen. Sie ließen erahnen, dass es mal eine bessere Zeit gegeben hatte, doch das war längst Geschichte. Ich stieg aus dem Sattel. Zum Glück hatte ich etwas zu Essen eingepackt. Die Menschen, die hier leben mussten, hatten es nötiger als ich. Ich verbrachte die ganze Zeit bis der Himmel sich rot färbte und die Abenddämmerung einsetzte damit, Wunden zu verbinden, bei jeder Arbeit zu helfen, bei der Hilfe nötig war, Brot an alle, die ich sah zu verteilen oder auch einfach nur auf ein paar Worte und ein Lächeln stehen zu bleiben. Mir war immer noch nicht klar, warum ich hier war und mich für die Menschen einsetzte. Ich bezweifelte, dass es reine Nächstenliebe war, denn dafür waren die Schuldgefühle in meinem Herzen zu groß.

Mit meinen Gedanken noch bei den armen Menschen kam ich wieder am Schloss an. Gerade nachdem ich meinem tierischem Begleiter ein Leckerli hingegeben hatte und ich die Tür vom Pferdestall zumachen wollte, sah ich einen kleinen Schatten auf mich zukommen. Bennett.
"Keine Angst diesmal sag ich ihnen nichts. Ich hatte keine Ahnung, dass Papa so ausrasten würde...", meinte er mit seinem berühmten Kulleraugenblick, der jedes Herz weich werden ließ. Früher hatte er ihn oft bei unserem Koch angewandt, wenn Bennett 'aus Versehen' ein paar Pralinen mitgehen lassen hatte. "Verzeihst du mir? Ich wollte das alles nicht und schon gar nicht, dass Jade und Rafael gehen müssen..."
Warte mal... Was hatte mein kleiner Bruder mit der ganzen Sache zu tun? Er hatte doch nicht etwa...?
"Bennett, hast du davon erzählt, dass Jade, Rafael und ich neulich in der Stadt waren und den Leuten geholfen haben?"
Die Augen meines Bruders wurden groß und erste Tränen bahnten ihren Weg über seine Wangen.
"Ja... Das versuch ich doch die ganze Zeit zu sagen... Es war nicht mit Absicht. Ich fand es nur so komisch, als ihr mir vom Regen durchnässt auf der Treppe entgegen gekommen seit und dann ist es mir einfach so aus dem Mund gerutscht und Mama und Papa haben sich wohl den Rest zusammen gereimt...", Bennett redete ohne Punkt und Komma, nur kleine Schluchzer unterbrachen gleichmäßig seinen Redeschwall.
Ich streckte meine Arme aus und zog ihn zu mir. Er konnte nichts dafür. Er war noch ein Kind.
" Bist du mir böse? ", fragte er mit bebender Stimme.
"Es ist alles gut", flüsterte ich obwohl ich mir sicher war, dass wir von gut noch weit entfernt waren.

Selbst das Abendessen steigerte meine Laune nicht, denn als ich den Speisesaal betrat, fiel mir sofort auf, dass mein Vater nicht anwesend war.
Ich warf meiner Mutter und Lichthofen fragende Blicke zu. Niemand sagte was, bis Mutter such räusperte, um die unangenehme Stille zu durchbrechen.
"Dein Vater weigert sich mit die zu Essen und du bist auch nicht mehr bei ihm im Büro willkommen. Erst wenn die Hochzeit vorbei ist und Prinz Rafael dich wieder zu Vernunft gebracht hat, möchte er dich wiedersehen"
Das konnte er doch nicht machen. Kein Vater würde seiner Tochter sowas antun. Oder doch? Nur weil er nicht verstand oder nicht verstehen wollte, dass er sich mit seiner egoistischen Regierung nicht beliebt machen würde, sollten alle dafür gequält werden. Apropos egoistische Regierung... Da fiel mir ein heute in der Stadt hatte ich mit ein paar Leuten über neue Ideen und Veränderungen nachgegrübelt. Eine Möglichkeit hatte für mich durchaus Potential: Ein Parlament mit Abgeordneten Bürgern, die dem König und später auch mir zur Seite stehen würden. Denn wenn man sich in diesem erdrückenden Palast einschloss, konnte man gewiss nicht ahnen, was auf freien Straßen los war. Der Luxus hier schien für den König die Armut des ganzen Landes abzudecken. Das musste schleunigst geändert werden.
Als das Abendessen zu Ende war und fast alle den Saal verließen, blieben nur ich und Lichthofen zurück. Auf den Tellern türmte sich noch immer ein Berg von Essen, weil niemand in dieser angespannten Lage auch nur einen Happen verdrückt hatte.
"Ich war wieder in der Stadt", brachte ich hervor.
"Warum überrascht mich das nicht", kicherte Lichthofen. Es war komisch die Geräusche eines erwachsenen Mannes mit 'kichern' zu umschreiben, aber bei Lichthofen passte es, wie die Faust aufs Auge.
"Selina, ich weiß wie es dort aussieht ich...", er stockte, "was ich sagen will ist, dass ich dir helfe, bei was auch immer du vorhast"
Erleichterung schoss in mir hoch. Alles schien einfacher, solange man einen treuen Freund an seiner Seite hatte. Ein Freund, der selbst einen möglichen Königssturz mit dir durchführen würde. Wie lieb ich Lichthofen doch hatte.
"Danke. Heute im Dorf hab ich mit ein paar Einwohnern geredet und was hältst du von einem Parlament mit Abgeordneten aus dem Volk, die dem Adel zur Seite stehen?"
"Oh... Das ist eine große Sache, aber du könntest Recht haben. Die meisten Problem können wir so lösen"
"Und was machen wir mit dem Problem, das sich König nennt?"
Es war mir einfach so rausgerutscht. Und wär außer uns jemand anderes im Raum gewesen, hätte ich es von der ersten Sekunde an bereut. Doch vor Lichthofen brauchte ich keine Angst zu haben. Ich war mir ziemlich sicher, dass er meine Meinung teilte. Nur warum ihn mein Vater nicht längst gefeuert hatte, war mir ein Rätsel. Wahrscheinlich weil sie sich schon seit Ewigkeiten kannten oder vielleicht gerade weil Lichthofen einer anderen Meinung war als er, denn so konnte er das perfekte Mittelmaß finden.
"Selina, er ist immerhin noch dein Vater", sagte Lichthofen mahnend aber noch lange nicht tadelnd.
"Ich weiß und wahrscheinlich ist genau das ein Problem. Er gehört zu meiner Familie, was es schwer macht ihn zu hassen. Wenn ich ihn hassen würde, wäre es bei weitem einfacher, mich gegen ihn zu stellen"
Ich stützte meinen Kopf verzweifelt in meinen Händen ab. Um uns herum fingen die Dienstmädchen an das dreckige Geschirr abzuräumen, um es in der Küche spülen zu lassen. Ich wünschte jemand könnte auch meine Gedanken mal kräftig abwaschen. Ich konnte mir zwar schon denken, dass mich Lichthofen erneut mit einer Weisheit belehren würde, jedoch hatte ich trotzdem kein Stück damit gerechnet.
"Ein Soldat kämpft nicht, weil er hasst, was vor ihm steht, sondern weil er liebt, was hinter ihm steht."

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