16. Kapitel

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Es war dunkel im Wald. Selbst die Schatten der hohen Tannen warfen gruselige Gestalten auf den Boden. Nur den halbrunde Mond thronte am Himmel und beobachtete seine Schützlinge. Nicht nur mir fiel es trotz Erfahrung schwer durchs Gestrüpp zu reiten, neben mir hörte ich hin und wieder einen überraschten Laut, wenn Jades Pferd über eine der massiven Wurzeln sprang, die den ganzen Boden bewucherten. Ich horchte auf. Da war doch was...
"Hast du das auch gehört?", fragte Jade leise.
Ich nickte, weil ich komplett vergaß, dass es dunkel war und Jade keine Chance hatte mich zu sehen. Bei dieser Erkenntnis kicherte ich und setzte ein "Ja aber es ist bestimmt nur ein wildes Tier" hinzu.
"Nur? Was ist, wenn uns gleich ein Bär in seine Krallen bekommt?"
Jade gab einen undefinierbaren Laut von sich, der das Brummen eines Bären darstellen sollte, sich jedoch mehr wie eine beleidigte Katze anhörte.
Erst als das Geräusch näher kam, wurde mir mulmig zu mute und als dann auch noch Lichter hinter uns zu sehen waren, konnte ich meine Angst nicht mehr bändigen. Das rätselhafte Geräusch wurde nun deutlich als Hufeklappern. Wir wurden verfolgt!
Ich gab Jade ein Zeichen und sie wechselte genau wie ich von Trapp auf Gallop. Doch in dem Moment blieb ihr Pferd an einer Wurzel hängen. Ein Zucken ging durch den Körper des panischen Tieres und die zierliche Jade konnte sich nicht mehr im Sattel halten. Sie landete ein paar Meter weiter im Gebüsch. Aus dem Mund der kleinen kam ein schmerzliches Stönen. Die Stute versuchte währenddessen vergeblich ihren Fuß zu befreien, doch nichts half. Ich musste umdrehen. Als ich mein Pferd wendete und mit vollem Tempo zurückritt, sah ich mit Schrecken in die Gesichter unserer Verfolger. Die königliche Garde. An der Spitze der Hauptmann, der auch für Anns Folter zuständig gewesen war. Ich hasste ihn von diesem Moment an nur noch mehr. Die Männer waren mittlerweile schon so nah bei uns, dass das Licht ihrer Fackeln auch unseren Standpunkt erhellte und ich in Jades mit Schmerz verzogenes Gesicht blicken konnte. Ihre Augen waren unnatürlich geweitet und ihre Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst. Und plötzlich ging alles ganz schnell. Ich hastete zu ihr rüber, um ihr auf zu helfen, aber der Hauptmann war schneller als ich und packte das verletzte Mädchen unsanft an der Schulter. Er grinste, als er ihren Schmerzensschrei hörte und in mir zog sich mit jeder Träne, die aus Jades Augen trat, alles zusammen. Ich war so wütend, jedoch hatte ich keine Chance mich zu wehren. Wir waren unbewaffnet. Als ich den Hauptmann sein Schwert zücken sah, griff ich wahllos nach einem Stock und rannte ihm entgegen. Die Wahrscheinlichkeit für mich zu gewinnen lag gegen Null, jedoch trat ich mutig wie bei David-gegen-Goliath auf, denn es gab keine andere Möglichkeit als zu kämpfen. Der Hauptmann hatte andere Pläne als ich, grinste mir zu und wandt sich mit seinem Schwert gegen die verletzte Jade und nicht im Duell gegen mich. Er kämpfte mit unfairen Mitteln.
"Ich dachte alle Soldaten wären Ehrenmänner", schrie ich wutendbrand.
"Ehrenmänner dass ich nicht lache. Es geht hier schon längst nicht mehr um Ehre kleines. Hast du nicht bemerkt, wie dreckig die Kämpfe zu dieser Zeit zugehen? Du müsstest das doch wissen so als Königstochter"
Seine Klinge lag direkt an Jades Kehle. In diesem Moment vergaß ich zu atmen. Das Messer fuhr federleicht wie bei einem Stück Butter üner Jades zarte Haut. Ihre Augen wurden leer und ihr Mund öffnete sich zu ein paar letzten Worten, die nie ausgesprochen wurden. Wie in Zeitlupe kam aus meinem Mund ein verzweifelter Schrei, doch es war zu spät.

Ich schreckte hoch. Mein erster Blick galt Jades kastinienbraunen Augen. Sie war über mich gebeugt und blickte mir besorgt entgegen.
"Alles gut mit dir? Du hast im Schlaf geschrien..."
Als ich mich wieder an meinen Traum erinnerte, konnte ich die angesammelten Tränen in meinen Augen nicht mehr stoppen. Kristallklare Tropfen kullerten meine Wangen hinab auf den mit Blättern bedeckten Waldboden. Im Gegensatz zu meinem Traum, hatten wir es gestern Abend ohne Komplikationen geschafft, uns ein bequemes und vorallem verstecktes Plätzchen zwischen zwei riesigen Bäumen zu suchen, die uns und den Pferden Sichtschutz boten.
"Hey alles ist gut. Es war nur ein Traum",flüsterte Jade sanft.
Sie beugte sich noch ein Stückchen weiter über mein Gesicht und küsste die Tränen weg.
Ich griff nach ihren Händen und hielt sie so fest wie ich konnte, ohne ihr wehzutun.
"Willst du mir erzählen, was in deinem Traum passiert ist?"
Jades Stimme klang ein bisschen zittrig. Vermutlich aus Angst um mich. Angst um mich... Wie froh ich war, dass ich den jemand gefunden hatte, der sich um mich kümmert, mir beistand und vorallem mich liebte und das für immer. Ich streckte meine Arme nach Jade aus. Sie legte ihren Kopf auf meine Schulter und kuschelte sich an mich. Meine Hände streichelten durch ihr braunes Haar, das wie Seide über meine Finger gleitete.
"Weißt du, was meine größte Angst ist?", fragte ich mit tränenerstickter Stimme, anstatt ihr von meinem Traum zu erzählen.
Ich spürte an meiner Schulter, wie sie den Kopf schüttelte. Jade löste sich sanft aus meiner Umarmung, um mir in die Augen zu schauen.
"Ich hab am meisten Angst davor, dass du oder ich... dass einer von uns gezwungen ist, ohne den anderen weiterzuleben"
Ihre bärenbraunen Augen glänzten. Im Dunkeln konnte ich schwer sagen, ob es aus Zuneigung war oder ob Jade genau wie ich mit den Tränen kämpfte. Der Traum hatte mir buchstäblich die Augen geöffnet. Meine Furcht galt nicht mehr wie die so vieler dem Tod, stattdessen war das schlimmste, was ich mir vorstellen konnte, von Jade getrennt zu sein.
"Ich hab keine Angst davor zu sterben und auch keine Angst zu leben, solange du bei mir bist. Die lange Reise, die sich Leben nennt, möchte ich mit dir erfahren. Ich will alles mit dir teilen, morgens neben dir aufwachen und abends mit dir einschlafen. Du bist meine beste Freundin und mein Partner zugleich. Und wenn das hier", ich blickte tief in ihre Augen, "wenn das hier das Letzte ist, was ich sehe, dann sollst du wissen, dass es mehr als genug für mich ist, denn alles, was du bist, ist alles, was ich jemals brauchen werde"
Jade zeichnete mit ihrem Daumen meine Lippen nach. Einzelne Tränen tropften ihre Wangen hinab und diesmal war ich mir sicher, dass es Tränen der Freude waren.
Jade antwortete nichts. Sie drückte nur ihre Lippen sanft auf meine, weil sie genau wusste, dass kein Wort unsere Liebe beschreiben konnte. Wir  hatten uns hoffnungslos und doch voller Hoffnung ineinander verliebt.

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