9. Kapitel

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Mein Herz setzte in dem Moment, als unsere Lippen sich trafen, aus, nur um einige Sekunden später mit voller Kraft gegen meine Brust zu trommeln. Jades Mund fühlte sich auf meinem weich und wie ein Gegenstück zu meinem an. Ich wollte spüren, wie sie ihre offenen Lippen auf meine presste und sie langsam schloss. Dafür waren sie gemacht, um beisammen zu sein. Kleine Hände tasteten sich von meinem Hals über meine Brust bishin zu meiner Taille. Ein überraschtes Seufzen kam über meine Lippen.
"Mein neues Lieblingsgeräusch", murmelte Jade an meinen Mund.
Ich schmunzelte und löste mich vorsichtig von Jade. Nach Luft ringend saßen wir für eine Weile nebeneinander und versuchten das Geschehene zu verdauen. Es war falsch. Es war falsch als Frau eine andere Frau zu küssen. Es war generell falsch jemand anderen als seinen zukünftigen Mann zu küssen, aber warum fühlte es sich so richtig an?
Jade griff langsam nach meiner Hand, doch ich stand ruckartig auf und stürmte aus meinem Zimmer.
"Warte Selina", hörte ich Jade rufen, doch ich machte keine Anstalten mich umzudrehen.

Ich flüchtete durch die mit Stuck und Marmor verzierten Flure an den einzigen Ort, an dem ich ungestört war. Der große Kirschblütenbaum. Doch als ich die schweren Schlosstüren öffnete, rannte ich in eine große, weiche Gestalt hinein. Ich plummste auf den Boden und verbrachte erstmal ein paar Sekunden damit meinen Ellenbogen, den ich an dem großen Türstopper in Form eines Gargoyles gestoßen hatte, zu reiben. Autsch!
Mein Blick wanderte an meinem Peiniger herauf. Schmale mit graugestreiften Hosen bekleidete Beine und ein knallgelbes Hemd, das über einem rundem Bauch spannte, dazu eine geblümte Krawatte. Es gab nur eine Person, die solche Modesünden schön fand. Lichthofen. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Er streckte mir eine Hand hin und zog mich vorsichtig zurück auf die Beine.

"Hast du dir wehgetan,Selina?", fragte er besorgt.
Nein, meinem Ellenbogen ging es einigermaßen gut, aber mein Herz und mein Verstand stritten sich so heftig wie noch nie. Alles hatte sich in den letzten Tagen angestaut und dieser blöde Gargoyle brachte das Fass zum überlaufen. Lichthofen sah die Tränen, die sich in meine Augen bahnten und schlang seine starken Arme um mich. Schon als Kind war er es gewesen, der mich am besten beruhigen konnte, wenn ich noch nicht ins Bett gehen wollte oder wenn ich mein Lieblingsspielzeug verloren hatte. Seine Schultern hatten immer alle meine Tränen geschluckt und seine tröstenden Worte meine Zweifel bekämpft.
"Erzähl es mir, wenn du bereit dazu bist", hörte ich Lichthofens Stimme an meinem Ohr vibrieren. Er hatte recht. Ich musste meinen Gefühlsdrachen, der much langsam von innen verbrennen ließ, irgendwie aus mir herauskriegen, auch wenn das so unmöglich schien, wie die Exestenz von Drachen generell.

"Können wir wo anders hingehen?", fragte ich mit zitternder Stimme.
Ich spürte wie Lichthofen nickte und mich sanft in Richtung Bibliothek schob. Als die dunkle Eichentür hinter uns ins Schloss fiel, konnte ich wieder einigermaßen beruhigt aufatmen. Die Bibliothek war vermutlich mein liebster Ort hier im Schloss, gleich nach dem Kirschblütenbaum. Einen unbeschreiblichen Geruch von Büchern und alten Eichenregalen atmete ich in meine Lungen und damit waren die Tränen fürs erste versiegt. Lichthofen sah mich abwartend an. Er wusste genau, dass er mich nicht zu sehr bedrängen durfte, jedoch auch nicht desinteressiert wirken konnte. Wär Er nicht der Berater meines Vaters geworfen, würde ich ihn als guten Psychologen einschätzen. Also setzte ich alles auf meinen privaten Seelendoktor und ließ die Wörter wie einen Tsunami aus mir herausprudeln...

"...jetzt mal langsam", stoppte Lichthofen meinen Redeschwall, "dass du mit der ganzen Heiratssache nicht wirklich einverstanden warst, konnte ich mir die ganze Zeit schon denken. Dazu kommt noch der Streit mit dem König, den ich äußerst berechtigt finde und... Und was war mit Jade? Ich fürchte ich hab dich nicht richtig verstanden"
Ich schluckte und setzte alles auf eine Karte.
"Naja es stimmt nicht ganz. Ich bin nicht mehr ganz abgeneigt, denn Rafael ist zu einem sehr gutem Freund geworden, aber da gibt es noch jemand anderen...", ich druckste verzweifelt. Wenn Lichthofen mich für meine Gefühle verurteilen würde, könnte ich es ihm nicht übel nehmen, andererseits war er wahrscheinlich der einzige, der mich auch nur ansatzweise verstehen könnte.
" Kann ich sie was fragen? "
" Aber natürlich Selina, dafür bin ich hier"
In meinem Inneren rechnete ich schon felsenfest mit schlimmen Folgen, als ich das folgende aussprach.
"Hatten sie jemals Gefühle für jemanden, für den sie nichts hätten fühlen sollen? Ich meine hatten sie jemals eine Beziehung mit der nicht nur ihre Familie, sondern auch die ganze Gesellschaft unzufrieden war?"
Sein Blick verkrampfte sich und ich war mir sicher, dass er zumindest eine Vorstellung davon hatte, was ich versuchte zu beschreiben.
" Fühlt diese Person genauso wie du?", fragte er und seine Augen sahen keinesfalls verurteilend und anklagend aus.
" Ich denke schon", antwortete ich ehrlich.
"Du musst mir nicht sagen wer es ist, aber wenn du es nicht tust, musst du damit rechnen, dass ich schlimmeres...", setzte er an, doch ich fiel ihm ins Wort und sprach den Namen aus, der seit Tagen in meinem Kopf spukte.
"Jade"
Lichthofens Reaktion war kein Stück überraschend. Außerdem schien er nicht im geringsten angeekelt oder ähnliches zu sein.
"Sag was, bitte", ich wollte wissen, was er von allem hielt.
"Du warst immer schon deiner Zeit voraus, das hab ich schon gemerkt, als du zum ersten Mal ein Buch in die Hand genommen hast und lesen lernen wolltest. Eins der wenigen Mädchen, die ich kenne, die sich von der Gesellschaft distanzieren und machen, was sie wirklich interessiert. Deine Liebe ist zwar ungewöhnlich, aber das heißt nicht, dass sie schwach und unangemessen ist"
Ich schenkte seinen Worten für einige Sekunden Glauben, doch dann kam mir etwas anderes in den Sinn...
"Und was ist mit meinem Volk und dem König? Die Situation ist
sowieso schon angespannt und dann noch einen Skandal oben drauf setzten? Er wird mich auf ewig hassen...", flüsterte ich bitter, aber es war die Wahrheit. Für ihn war ich dann nichts weiter als eine erbärmliche Schande.
"Du bist ein riesiges Angstmuseum", belächelte Lichthofen meine Worte.

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