Die nächsten Wochen verbrachte ich damit mich jeden Tag aus dem Schloss zu schleichen und meinem zukünftigem Volk einen Besuch abzustatten. Am Anfang war ich so unauffällig wie möglich, doch mittlerweile war es mir egal, wenn jemand von meinen Vorhaben wusste. Sie sollten froh sein, dass wenigstens einer über die mit goldenen Wasserspeiern geschmückten Balkone hinweg auf die dunklen Straßen sah. Wenn ich im Schloss war, schmiedete ich mit Lichthofen Pläne für den Königssturz. Langsam hatte die Sache Gestalt angenommen: viele Bürger waren eingeweiht und bereit, uns zu helfen, sogar einige der Soldaten hier im Schloss hatten einen Verdacht geschöpft und sich uns angeschlossen. Lichthofen hatte seine Zeit damit verbracht alle Geheimgänge im Schloss ausfindig zu machen und ungelogen einen ganzen Stapel mit Plänen zu zeichnen. Meine Gefühle und mein Verstand kämpften mit jedem weiteren Schritt darum, ob ich das wirklich durchziehen konnte. Tief in meinem Inneren hoffte ich natürlich, dass sich alle Probleme auf wundersame Weise selber in Luft auflösen würden, doch dann hatte der König eine Entscheidung getroffen, die meine Zweifel vertrieb.
Als ich es erfuhr saß ich in meinem Zimmer und starrte an die Decke. Eine meiner neuen Angewohnheiten, an die Decke starren und Jade vermissen. Es waren nicht mehr kleine Wellen in denen sie mir fehlte, sondern Tsunamis in meinen Augen. Plötzlich kam Lichthofen ohne zu klopfen in meine Zimmer. Er war für seine Verhältnisse, normalerweise brachte ihn kaum etwas aus der Ruhe, sehr aufgebracht."In drei Wochen"
Ich verstand nur Bahnhof.
"Wie bitte?"
Lichthofen haute kräftig auf den Schreibtisch. Ich zuckte zusammen.
"In drei Wochen will er ihn hinrichten lassen"Ich spürte, dass ich so aus Lichthofen nichts herausbekommen konnte, also holte ich eine Flasche Whiskey, die ich heimlich in meinem Kleiderschrank versteckt hatte, heraus. Nachdem Jade nicht mehr bei mir war und mein eigener Vater mich abgrundtief hasste, brauchte ich ja irgendein Mittel, um abzuschalten. Ich redete mir wenigstens ein, dass die Schmerzen, die ihren Ursprung in meinem Herzen fanden, aufhörten, wenn die Chemikalien sich mit meinem Blut vermischten. Ich gab mir keine Mühe, ein Glas zu suchen, und gab Lichthofen gleich die ganze Flasche. Dankbar nahm er ein paar Schlucke.
"Erzähl nochmal. Was ist los?"
Er schluckte schwer und seine Augen füllten sich mit einer Mischung aus Wut und Trauer.
"Dein Va...der König hat angedroht einen Mann öffentlich hinrichten zu lassen, weil er für seine kranke Mutter Medizin aus einer Apotheke geklaut hat"Nein. Er ging eindeutig zu weit. Wenn er mal seinen grimmigen Blick nach draußen gelenkt hätte, wüsste er, dass sein gesamtes Volk arm, krank und hungrig war. Man konnte keinen, für den Versuch zu überleben, verurteilen.
"Das kann er nicht machen. Es gab schon seit Ewigkeiten keine öffentliche Hinrichtung mehr und außerdem ist er nur sauer auf mich. Warum lässt er es an anderen aus?"
Meine Stimme brach, als ich probierte meine Tränen wegzuhalten. Tränen der Wut.
"Selina, er ist nicht blöd. Er merkt den Umbruch im Land. Er hat zumindest eine Ahnung was vorgeht..."
"Und deshalb versucht er sich Respekt zu verschaffen, damit keiner es wagt sich gegen ihn aufzulehnen", unterbrach ich Lichthofen, "ich geh jetzt zu ihm und sag ihm, was ich davon halte... Er soll mich bestrafen und niemand anderen"Meine Füße trugen mich schon wütendbrand zur Tür, als Lichthofen mich gerade noch am Handgelenk festhielt.
"Stop! Du kannst nicht zu ihm gehen. Wir brauchen dich. Die Menschen, dein Volk braucht dich. Du bist das Gesicht unserer Revolution"
"Du hast Recht. Es macht mich nur so wütend"
"Ich weiß... Aber du bist nicht allein Selina", flüsterte Lichthofen.
Seine Stimme war eine der beruhigensten Dinge die ich kannte. Ich legte meine Arme um ihn und er erwiderte meine Umarmung für ein paar Minuten . In diesem Moment hätte ich schwören können, dass unsere Seelen flüsterten 'Du hast einen Freund in mir '."Lichthofen?"
"Mmmh?"
"Warum hilfst du mir eigentlich?", sprach ich die Frage aus, die mir seid einigen Tagen immer wieder durch den Kopf schoss.
Lichthofen löste sich vorsichtig von mir, nur um mir in die Augen zu blicken mit so einem 'Eigentlich rede ich nicht darüber, aber...' - Blick."Es ist zum einen, weil wir die gleiche politische Einstellung haben... Und wegen meinen Eltern"
Ich sah ihn fragend an.
"Meine Mutter war adeligen, doch mein Vater war ein einfacher Arbeiter in einem Stahlwerk. Sie haben sich in einander verliebt und mich bekommen. Die Familie meiner Mutter war überhaupt nicht begeistert davon und eine Hochzeit kam für sie erst gar nicht in Frage. Für sie war mein Vater ein Untergestellter, eine Schande. Sie haben dafür gesorgt, dass meine Eltern sich nie wieder sahen und dass mein Vater... dass er starb"
Ich traute mich nicht weiter nachzufragen. Auch fand ich keine Worte, um mein Mitleid auszusprechen. Deshalb wischte ich einfach die Tränen weg, die sich unter Lichthofens Augen gesammelt hatten und er hielt mich in seinen Armen. Ich tat so als wäre ich stark, dabei wurde ich schwächer mit jedem Atemzug. Lichthofen kannte mich. Er wusste ganz genau, was in mir vorging. Er war es, der sanfte Worte in meine Ohren flüsterte, dabei hätte ich diejenige sein sollen, die ihn tröstete.

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Be my princess
RomancePrinzessin Selina soll mit dem französischen Prinzen Rafael verheiratet werden. Nur widerwillig kann sie der Heirat zustimmen. Bei der ersten Begegnung merkt sie, dass ihr zukünftiger Gatte ganz nett und gutherzig ist, jedoch geht ihr seine Schweste...