Und wieder stand ich im überfüllten Schlosshof. Wieder standen die Menschen dicht aneinander und in ihren Gesichtern spiegelte sich die Finsternis dieses Augenblicks wieder. Diesmal war mein Platz nicht in der ersten Reihe bei meiner Mutter und Bennett, stattdessen war ich in ein dunkelblaues Leinenkleid gehüllt, um möglichst wenige Blicke auf mich zu ziehen und stand abseits. Mein Blick schweifte über die Menschenmasse. Jade hatte mir vermutlich nicht so schnell folgen können, doch ich war mir sicher, dass sie mit einigen Bürgern als Verstärkung nicht weit weg sein konnte. Ich folgte den nach vorne gerichteten Blicken und sah etwas, was mein Herz in tausend Splitter zerspringen ließ. Lichthofen, mein bester Freund, stand mit nacktem Oberkörper und angeketteten Armen auf einem Podest, der oberste Hauptmann der Garde des Königs hinter ihm mit einer Peitsche bewaffnet. Rechts neben ihnen thronte der König. Ich hatte ihn kein Stück vermisst. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Kiefer mahlten angespannt aufeinander. Ich hatte es satt, Angst um meine Freunde, meine Familie und mein Volk zu haben. Heute würde ich es beenden und zwar genau jetzt. Der König nickte dem Hauptmann zu. Er holte mit der Peitsche aus. Die Menschen zuckten schon zusammen, weil sie auf den bevorstehenden Knall warteten, den der Peitschenhieb auf Lichthofens Haut anrichten würde. Sie wussten, dass es ihnen nicht gestattet war zu gehen, bevor der Hinzurichtende nicht seinen letzten Atemzug getan hatte. Sie mussten warten bis das Pochen unter seiner Brust nachgelassen hatte und sein Herz verstummt war, doch soweit würde es heute nicht kommen. Ich bahnte meinen Weg durch die Menschmenge. Einige erkannten mich und stießen einen erschrockenen Laut von sich, andere hielten mich einfach nur für verrückt. Vielleicht war ich auch verrückt. Ich wusste ganz genau, dass der König mich dieses mal umbringen würde, wenn er mich zu fassen bekam. Trotzdem lief ich planlos auf ihn zu. Ich hatte nur eine Chance, deshalb musste ich sie wie eine Bombe einschlagen lassen.
Ruckartig ließ der König seinen Kopf herumschnellen, als ich in sein Blickfeld trat. Anstatt ihn anzuschreien oder zu beleidigen, schenkte ich ihm ein Lächeln. Ein ehrlich gemeintes Lächeln, dass sich so unbesorgt anfühlte wie das eines Kindes. Ich hatte keine Ahnung, wieso ich das tat. Anscheinend war es eine natürliche Eingebung meiner Seele. Die blauen Augen des Königs blickten direkt in meine. Zwei Ozeane trafen aufeinander, doch anstatt mit Tsunamis gegeneinander zu kämpfen, kamen Wellen der Zuneigung auf. Eine kristallklare Träne löste sich aus dem Augenwinkel des Königs und plötzlich war es, als würde er eine Maske ablegen. Er bedeutete mit einer Geste dem Hauptmann die Peitsche abzulegen und Lichthofen los zu ketten. Von hinten hörte man überraschte Schreie. Panisch drehte ich mich um und sah mein Volk. Meine Krieger, die gekommen waren um mich zu verteidigen. An ihrer Spitze war Jade. Sie ritt auf einem weißen Pferd voran. Ich wand mich wieder zum König. Seine Maske hatte wieder gewonnen. Voller Wut schrie er auf.
"Tötet die Eindringlinge"
Die Krieger seiner Garde machten sich zum Kampf bereit und stürmten auf meine Verteidiger zu.
Ich hörte das Klappern der Schwerter, als sie aufeinander trafen, doch ich musste mich auf den König fixieren, denn er war das Herz seiner Kämpfer.
Jemand musste seine Maske zerstören. Also setzte ich alles auf eine Karte und versuchte die Kälte in seinem Herzen mit meinem Feuer der Liebe zu besiegen.
"Vater", ich ging ein paar Schritte auf ihn zu. Jedes Wort wäre zuviel also breitete ich meine Arme aus. Die Mauer zwischen uns zerfiel, er nahm mein Angebot an und stürzte sich in meine Arme. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sehr ich ihn vermisst hatte...wie sehr ich sein altes ich, sein wahres ich vermisst hatte... Der böse, skrupellose König war nur das Ergebnis von gebrochenen Herzen, Verrat und dem miesesten Lügner von allen, der Zeit. Ich hielt meinen Vater fest in meinen Armen. Seine Tränen beklecksten meine Kleidung wie Farbe und sein Atem hauchte mir neues Leben ein. Er ließ mich wieder jung fühlen. Je jünger man blieb desto näher war man seinen Wurzeln.
"Es tut mir leid", flüsterte er mir ins Ohr, woraufhin ich behutsam über seinen Rücken strich . Bevor ich überzeugt war, dass alles gut würde, löste mein Vater sich aus der Umarmung. Um uns herum hatte der Kampf aufgehört. Unsere Liebe verbreitete sich wie die Wellen eines Steins, den man ins Wasser warf. Ich sah mich um, doch Jade war nirgends zu sehen, Lichthofen aber nickte mir dankbar zu. Auf einmal nahm ich einen gequälten Schrei wahr. Mein Kopf schnellte herum und meine Augen fanden wonach sie suchten. Mein Vater hatte sich sein Schwert in den Bauch gestoßen. Er wollte sich umbringen. Ich machte Anstalten ihm zu helfen und das Schwert zu entfernen, doch er wies mich ab.
"Nicht", hauchte er, bevor ihn alle Kraft verließ. Tief in unseren Herzen wussten wir beide, dass hier kein Platz mehr für ihn war,deshalb tat ich nichts, um ihm zu helfen, sondern legte seinen Kopf auf meinen Schoß, als der Körper meines Vaters zu Boden sackte und hielt ihn bis zum letzten Atemzug. Jetzt waren es meine Tränen, die wie glänzende Kristalle seine Haut zierte und aus meinem Mund kam kein "Auf Wiedersehen" sondern ein endgültiges "Lebewohl".
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Be my princess
RomancePrinzessin Selina soll mit dem französischen Prinzen Rafael verheiratet werden. Nur widerwillig kann sie der Heirat zustimmen. Bei der ersten Begegnung merkt sie, dass ihr zukünftiger Gatte ganz nett und gutherzig ist, jedoch geht ihr seine Schweste...