7. Kapitel

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Auf den Stufen der Wendeltreppe die hinauf in den dritten Stock führten, in dem sich mein Zimmer befand, bildeten sich kleine Wasserrinnsale, als Jade, Rafael und ich in unserer nassen Kleidung versuchten die Treppe möglichst unbemerkt hochzueilen. Unsere Mission hatten wir erfolgreich abgehakt. Jetzt wünschte sich jeder von uns nur noch in ein warmes Bett. Es würde mich nicht wundern, wenn wir morgen früh beim Frühstück niesend und schiefend säßen. Aber das war die Aktion wert gewesen...

Gerade als ich die letzte Stufe unter meinen Füßen spürte, kam mir eine kleine Gestalt entgegen. Ein kleiner Junge um die drei Jahre alt, in blauen Kniebundhosen und einem weißen Hemd. Seine Lippen formten das gleiche Lächeln wie meine und unsere Herzen schlugen in der gleichen Tonlage. Mein kleiner Bruder Bennett. Seine kleinen Augen wurden groß, als er uns drei durchnässte Königskinder die Treppe hochkommen sah. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Wir mussten aussehen, als kämen wir aus einem Wirbelsturm mit Windstärke zehn.

"Wo kommst du denn her?", fragte Bennett mit seiner hohen, heiseren Kinderstimme. Für seine drei Jahre konnte er ziemlich gut sprechen. Er hatte sich viel von meinem Vater angeguckt und versuchte oft genauso förmliche Worte zu finden wie er.

"Wir waren kurz draußen", antwortete ich lächelnd.
Mein kleiner Bruder erwiderte mein Lächeln und sagte:"Aber das nächste Mal müsst ihr mich mitnehmen, wenn ihr draußen spielt... äh ich meine wenn ihr gedenkt eure Zeit draußen zu verbringen"
Auch Jade und Rafael mussten über seine Wortwahl schmunzeln.
"Natürlich aber heute ist es zu spät zum Spielen und außerdem müsstest du schon lange im Bett sein", antwortete ich, "aber du kannst Ann ja fragen ob sie dir eine Gutenachtgeschichte vorliest"
Nach Ann rufend machte sich Bennett schnell auf den Weg in sein Zimmer.
Ich war so froh ihn zu haben, denn selbst an dunklen Tagen konnte er mich zum strahlen bringen.

Wenig später saßen Jade und ich in unseren Nachthemden auf meinem Bett und unterhielten uns über die Geschehnisse.

"Was fandest du schlimmer die Menschen leiden zu sehen oder der Gedanke daran, dass es immer schon so war und du nie geholfen hast?", fragte ich Jade mit brüchiger Stimme.
"Ich weiß es nicht", antwortete sie ehrlich, "aber mach dir keine Vorwürfe deswegen. Du wusstest es nicht besser und die hast noch genug Zeit um alles wieder gut zu machen..."
"Ich hoffe du hast recht"
Wie aus dem Nichts spürte ich Jades zarte Hand auf meiner.
"Ich glaube an dich", flüsterte sie bevor sie in die Nacht verschwand.

Die Nacht umhüllte mich dunkel und kalt, als ich auf einer Parkbank auf Rafael wartete.
Ich faltete den Zettel auf, den er mir zukommen lassen hatte. Das Papier fühlte sich rau unter meinen Fingerspitzen an.

Treff mich um Mitternacht auf der Bank unter dem Rosenbogen
~Rafael

Ich war gespannt darauf, was er mir zu sagen hatte... Plötzlich hörte ich ein kleines Knacken im Gebüsch und Schritte, die den Kiesweg entlang eilten. Aus der Dunkelheit trat eine großen Gestalt hervor. Rafael.

"Wartest du schon lange?", fragte er besorgt.
"Es ist alles gut"
Es war so süß, wie er sich immer Sorgen machte. Die Kälte ließ mich erschaudern, woraufhin Rafael seine Arme um mich legte. Sie waren warm und weich. Die perfekte Mischung aus Muskeln und weicher Haut. Wir mussten aussehen, wie im Märchen. Ein Pärchen in der Nacht sitzend auf einer verschnörkelten Bank von roten Rosen umrahmt. Trotz all der schönen Gefühle, die ich täglich durch unseren Besuch aus Frankreich empfand, schoss mir immer wieder der Gedanke warum die zwei eigentlich hier waren durch den Kopf.

"Rafael"
"Mmmh"
"Fühlst du dich genauso schuldig wie ich?"
"Meinst du, wegen den Menschen in der Stadt?"

Ich nickte nur stumm. Wie konnte das Leiden dieser Menschen sechzehn Jahre lang einfach an mir vorbeiziehen, ohne dass ich etwas davon bemerkt hatte. Hatte Rafael davon gewusst und wie ging er damit um?

"Um ehrlich zu sein fühle ich mich nicht schuldig. Ich weiß, dass muss sich jetzt herzlos anhören, aber gerade du solltest es eigentlich verstehen. Auf wie viele Sachen mussten wir verzichten, nur weil wir die Thronfolger sind? Wie viele Träume müssen wir deshalb wegwerfen? "

Er hatte recht. Ich wusste leider nur allzu gut, was er meinte. Keineswegs konnte man mich oder ihn als undankbar bezeichnen. Wir lebten im Luxus, aber die wichtigsten Dinge im Leben hatten wir nie besessen. Es gab einfach keine Zeit und Chance, wenn man in unserer Haut steckte, Freunde zu finden, sich zu verlieben oder irgendwelche Abenteuer zu erleben. Meisten war nicht ein mal genug Platz für einen kurzen Witz vorhanden.

"Ich weiß was du meinst...", sprach ich meinen Gedanken laut aus.
"Kannst du dich noch daran erinnern, dass wir bei unserem ersten Date kochen waren?"
"Klar das ist erst ein paar Wochen her"
"Kommt mir vor wie eine Ewigkeit", flüsterte er lächelnd und verteilte einen ferderleichten Kuss auf meiner Stirn.
"Was ich sagen wollte ist...mein Traum war Jahrzehnte lang ein Koch zu werden. Ich bin jeden Tag in die große Schlossküche gegangen und hab von unseren Köchen alles gelernt. Keine Ahnung ob du es wusstest, aber ich hatte einen älteren Bruder. Léo. Eigentlich war er der Thronfolger, doch er... ", Rafael stockte. Seine Stimme war dünn und brüchig,
"er ist schwer krank geworden und hat es nicht mehr geschafft. Mein geliebter Bruder war auf einmal nicht mehr bei mir und meine Träume, die einzige Sache, an der ich mich festhalten konnte, war futsch, da ich der neue Kronprinz war und alles darauf gesetzt wurde mich auszubilden. Es war die schwerste Zeit in meinem Leben"

Meine Hand suchte seine und drückte sie vorsichtig. Ich hatte Mitleid mit ihm und doch keimte tief in mir Bewunderung auf. Ich glaube, ich hätte nicht so einfach von 'wildes, spielendes Kind' auf 'ich muss einmal der perfekte König sein' umschalten können. Ich wollte ihn fragen, ob er manchmal, darüber nachdachte, was aus ihm geworden wäre, wenn sein Bruder noch da wäre..., doch ich wollte nicht, dass er traurig wurde. Lieber hielt ich seine Hand als Zeichen, dass ich jetzt da war, dass ich ihn verstand und er nichts mehr allein durchstehen musste.

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