Das hinterherhechelnde Herz

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Er hatte schon immer etwas am Herzen gehabt.
Nichts Wildes, nur eine Rhytmusstörung. Man könne es hören, hatte er gesagt, und ihr erlaubt, ihr Ohr auf seine Brust zu legen und zu lauschen, wie sein Herz puckerte. Mal schneller, mal langsamer, dann wieder schneller und dann mal einen Schlag gar nicht.
Das lag wohl daran, dass er zu viel Sport getrieben hatte, schon seitdem er klein war. Man hatte ihn immer vom Fußballfeld zerren müssen, hatte er erzählt und gelacht. Und je älter er wurde, desto mehr Sportarten kamen dazu. Tennis, Leichtatlethik, Schwimmen, Radfahren. Aber Fußball war immer seine Leidenschaft gewesen, und jetzt, wo er siebzehn war, hatte er schon eine echte Chance auf einen Vertrag bei einer richtigen Mannschaft.
Niemand hätte es ahnen können - dass so viel Sport das Herz ein bisschen hinterherhecheln ließ. Aber kleine Rhythmusstörungen hatten ihn von nichts abhalten können. Und auch sie hatte sich nie Sorgen um ihren Freund gemacht, weil der Sport eben sein Leben war und er ansonsten auch ganz gut auf sich selbst aufpasste.
Nicht einmal beim Sport war es passiert. Einfach Zuhause, beim Lernen, vorm Laptop. Auf einmal war ihm schwindelig geworden. Er hatte das Blut in seinen Ohren rauschen hören und sein Körper zitterte wie Espenlaub.
Wie gut, dass sie dabei war - sie hatten zusammen Biologie lernen wollen. Sie rief sofort einen Krankenwagen, aber da war er schon bewusstlos. Sie blieb tough, für den Moment, für ihn.
Niemand hätte es ahnen können. Das so ein kleines hinterherhechelndes Herz einfach mal "Nein" sagen würde.
Eine Woche später. Er liegt im Krankenhaus. Er braucht dringend ein Spenderherz.
Sie sitzt neben ihm, hält seine Hand. Sie ist warm. Das hinterherhechelnde Herz tut noch seinen Job; es pumpt das Blut.
Es geht ihm gut, sagt er. In seiner Nase steckt ein Schlauch. Nur für die Sauerstoffzufuhr. Aber irgendwie sieht es trotzdem herzzerreißend aus, weil sie diesen Schlauch sonst nur aus Filmen kennt, in denen die Patienten meistens sterben.
Aber er wird nicht sterben. Das verspricht er ihr, und drückt ihre Hand. Sie lächelt. Vielleicht kann er ja irgendwann wieder joggen gehen, sagt sie. Sein Blick schweift ab. Ja, erwidert er, aber seine Gedanken sind woanders.
Sie drückt seine Hand erneut. Er blickt sie an. Die Augen fallen ihm fast zu, denn sie haben ihm Beruhigungsmittel gegeben. Er erwidert ihr Drücken.
Ein Herz ist schon eine große Sache, sagt sie, und schluckt. Was, wenn er sie nach der OP nicht mehr lieben würde, wenn die Liebe doch im Herz säße, nicht im Gehirn?
Er drückt ihre Hand. Fest. Und er blickt ihr tief und nachdrücklich in die Augen. Natürlich werde er sie noch lieben. Er werde sie immer lieben. Egal was passiert. Sein Herz sei ihm egal, das müsse nur das Blut pumpen. Das Echte, das, in dem seine Liebe gespeichert ist, das habe sowieso sie.
Sie lächelt, aber ihr Blick schweift ab. Sie macht sich Sorgen. Was, wenn etwas schiefgeht? Wenn er nicht mehr aus der Narkose erwacht? Wenn die Transplantation schiefgeht?
Drei Tage später ist die OP. Sie kann die ganze Nacht vorher nicht schlafen. Was, wenn die Ärzte morgen sagen, es habe Komplikationen gegeben? Er hätte es leider nicht geschafft? Die Narkose sei schief gelaufen, tut uns leid, aber er ist uns auf dem Operationstisch weggestorben.
Er hatte Angst davor, dass durch den Sauerstoffmangel während der OP sein Gehirn Schäden nimmt. Dass er zurückbleibt, geistig, oder körperlich. Wenn er sterbe, hatte er gesagt, sei das nicht schlimm. Denn dann würde er ja erst einschlafen und eben nicht mehr aufwachen. Aber als Krüppel? Als Belastung für sie? Seine einzige Angst sei, dass er sein Leben nicht mehr so mit ihr verbringen könne, wie er es sich erträumt hatte.
Das wäre kein Problem für sie, hatte sie erwidert. Liebe überwindet alle Hindernisse. Und sie meinte es ernst. Sie liebte ihn, und Liebe bedeutet, bedingungslos und treu und für immer. Egal was kommt. Und wenn er behindert wird? Egal. Dann wische sie ihm eben immer die Spucke aus dem Mundwinkel. Hauptsache Leben, Hauptsache Liebe.
Am Nachmittag dann die Nachricht. Die OP ist gut gelaufen, zwar kompliziert, aber gut. Er brauche jetzt erstmal Ruhe. Eine Herztransplantation sei keine Kleinigkeit. Eher eine Riesigkeit, denkt sie und lacht. Es wird alles gut! Er ist gesund. Er kann leben. Sie können sich lieben.
Als sie ihn besuchen darf, liegt er natürlich auf der Intensivstation. Alles piept und die Monitore blinken. Sie muss sich einen Mundschutz anziehen. Er trägt eine Sauerstoffmaske.
Aber er lebt.
Sein Herz schlägt.
Er atmet.
Er ist ziemlich benebelt von dem Schmerzmittel, das er bekommt, aber irgendwie ist er auch süß. So high. Komplett ehrlich sagt er ihr alle zwei Minuten, wie sehr er sie liebt und wie süß und hübsch sie sei. Sie lächelt und streicht ihm über die Wange.
Der Arzt kommt, und erklärt, wie die OP verlaufen ist. Was sie gemacht haben. Was jetzt passieren wird.
Ihr wird ein bisschen schlecht. Und heiß. Gelb-schwarze Punkte tanzen am Rande ihres Sichtfelds. Ich kippe gleich um oder ich breche ins Waschbecken, denkt sie. Das ist komisch. Eigentlich kann sie solche Fakten ab, aber wenn es um ihn geht, ist sie empfindlich. Aber sich bloß nichts anmerken lassen. Sonst macht er sich Sorgen, und das ist das letzte, was er gebrauchen kann.
Der Arzt verabschiedet sich, und so auch ihre Übelkeit. Sie lächelt schwach, aber ihr fällt ein, dass er das hinter dem Mundschutz gar nicht sehen kann. Sie winkt und reckt den Daumen. Er grinst.
Jetzt schlägt mein Herz wirklich nur für dich, sagt er. Denn vor der OP habe er sich gesagt: Das alles ziehst du nur für sie durch. Für sie leben, für sie lieben.
Zwei Wochen später. Er darf schon erste Schritte machen. Sie kommt ihn jeden Tag besuchen im Krankenhaus und kümmert sich. Es helfe ihm, sagt er, es mache ihn glücklicher. Und solange sie etwas für ihn tun kann, ist sie froh.
Sie kümmert sich gerne. Er ist ihr Ein und Alles, sie würde die Welt ausrauben, um ihm glücklich zu machen, ihn zu heilen. Sie bringt ihm einen Teddybären mit, mit ihrem Parfüm besprüht, damit er nachts etwas hat, das ihn an sie erinnert.
Sie trägt sein Armband, das er im Krankenhaus nicht tragen darf. Jeden Abend berührt sie es und flüstert leise ein Gebet für ihn, dass es ihm bald wieder gut gehe. Sie liebt ihn, über alles.
Es hilft. Die Transplantation schlägt an. Das Herz wird akzeptiert, und wie. Es liebt sie sogar noch mehr als das alte, sagt er und lacht. Sie lacht auch. Er hält ihre Hand. Diese Zeit zeigt ihnen, wie sehr sie aneinander hängen. Wie sehr sie sich lieben, und dass sie ihr Leben gemeinsam verbringen wollen.
Als sie zehn Jahre später heiraten, haben sie beide ein kleines Herz eingraviert auf der Innenseite ihrer Eheringe, und es hat eine ganz besondere Bedeutung.
Er kann sogar wieder joggen.

(Fandom) One Shots/Imagines (German and English)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt