2 Wochen später
Der Wind strich sanft durch mein Haar. Der raue Sand unter meinen nackten Füßen war noch warm. Die Sonne stand tief und lieferte einen atemberaubenden Sonnenuntergang über dem Meer. Doch ich nahm das gar nicht richtig wahr. Fieberhaft suchte ich die Wellen des Meeres nach einer Person ab. Irgendwas. Doch da war nichts. Ich schluckte. Sie waren tot. Warum sah ich das nicht ein? Meine Schuld. Alles meine Schuld. Nur wegen meiner Neugier, waren die zwei jetzt tot. Nur weil ich unbedingt an den Strand hatte gehen wollen. Nur weil ich die Gefahr unterschätzt hatte. Schluckend senkte ich den Blick auf meine Füße. Niemand sah mich. Ich durfte meinen Schmerz zeigen, denn niemand sah ihn. Keiner war am Strand. 2 Wochen. Seit 2 Wochen kam niemand mehr an den Strand. Noch nicht einmal in die Nähe des Strands. Seit Estelles und Emmas Tod. Tod, nicht Verschwinden, wie ich es mir einzureden versuchte. Mein Handy vibrierte. Meine Mom. Ich wusste, dass sie es war. Sie machte sich Sorgen um mich. Sie verstand nicht, dass mich diese Fürsorglichkeit traurig machte. Ich hätte diese Fürsorglichkeit vor zwei Wochen gebraucht. Sie hätte mich aufhalten müssen. Aber nach wie vor war es nicht ihre Schuld. Es war meine Schuld. Schweigend beobachtete ich die untergehende Sonne. Ich wusste nicht, wie lange ich das tat. „Du solltest nicht hier sein." hörte ich eine männliche Stimme hinter mir. Ich antwortete nicht. Seit 2 Wochen hatte ich nicht mehr geantwortet. Nicht mehr geredet. Ich hörte den Sand schaben, als er näher kam. „Deine Eltern machen sich Sorgen."
Ich drehte mich vom Sonnenuntergang weg und wandte mich ihm zu. Innerlich erschrak ich, als ich einen der Waterson-Drillinge erkannte. Doch äußerlich zeigte ich nichts. Seit zwei Wochen zeigte ich keine Gefühle.
Er machte einen Schritt auf mich zu. „Warum bist du hier?" fragte er ruhig.
Ich zuckte mit den Achseln.
Der Drilling seufzte ungeduldig. „Jetzt komm schon. Deine Eltern machen sich Sorgen."
Ich reagierte nicht. „Du kannst nicht einfach jeden Abend hier runter gehen. Es ist gefährlich."
Das erste Mal seit zwei Wochen öffnete ich den Mund. „Ich weiß." presste ich hervor.
Der Drilling sah mich spöttisch an. „Ach, du kannst also doch sprechen?"
Ich schwieg.
Er verdrehte genervt die Augen. „Warum bist du so stur? Deine Eltern sitzen daheim rum und machen sich Sorgen!"
„Wenn sie sich Sorgen machen würden, würden sie kommen, um mich zu holen." warf ich scharf ein. Er hob die Augenbrauen. „Sie haben Angst. Ansonsten würden sie dich holen."
„Ach ja? Meine Eltern haben mehr Angst um sich als um mich. Und sie haben Recht dazu. Ich habe alles verbockt." erwiderte ich ruhig. Der Drilling sah mich mitleidig an. „Du bist halt noch ein Kind-"
„Ich bin 17!" unterbrach ich ihn aufgebracht.
Er hob abwehrend die Hände vor den Körper. „Ist ja gut. Ich bin nur hier, um dich zu holen, weil deine Eltern besorgt sind. Ich muss mich nicht auch noch mit dir unterhalten." Vermutlich hätte mich das treffen sollen, aber das tat es nicht. Ich reagierte einfach nicht. „Na dann danke, Aaron, Aydan oder Aldwyn. Verpiss dich einfach und sag meinen Eltern, dass mir ihre Meinung so scheißegal ist, wie ich ihnen."
Ich drehte mich wieder weg. Es hatte gut getan, Dampf abzulassen.
„Aydan. Und wenn du nicht freiwillig hoch kommst, trag ich dich eben hoch." drohte der Drilling ungeduldig. Ich reagierte nicht. Seufzend machte Aydan einen Schritt auf mich zu, packte mich an der Hüfte und warf mich über seine Schulter. Erschrocken quiekte ich auf und hämmerte mit den Fäusten gegen seinen Rücken. „Lass mich runter, du Arsch. Was bildest du dir eigentlich ein?!" schrie ich wütend.
Mit federnden Schritten lief Aydan auf das Dorf zu. „Du kitzelst mich." kommentierte er spöttisch.
Ich stöhnte frustriert auf und beschloss einfach, mich so schwer wie möglich zu machen.
Aydan lachte nur. „Das hilft dir nichts, Fliegengewicht."
Empört schnappte ich nach Luft, hielt aber die Klappe.
Den Rest des Wegs schwiegen wir beide. Kurze Zeit später hörte ich ein Gartentor quietschen und bemerkte, dass wir daheim angekommen waren. „Dem Himmel sei Dank! Lou!" rief die vertraute Stimme von Mariella erleichtert.
Mit einem Ruck ließ Aydan mich runter.
Im nächsten Moment schlossen sich zierliche Arme um mich. „Warum machst du das immer? Ich bin gerade erst nach Hause gekommen und wollte dich holen." flüsterte Mariella gelöst.
Schnell löste sie sich von mir. „Danke, Aydan. Ich schäme mich für meine Eltern, weil sie zu feige sind, ihre eigene Tochter zu holen.", wandte sie sich kopfschüttelnd an Aydan.
Ich drehte mich wieder zu Aydan, während Mariella sich neben mich stellte. „Keine Ursache."
Seine türkisenen Augen glitten kurz über mein Gesicht. „Warum geht sie eigentlich immer zum Strand? Ist sie so leichtsinnig?" fragte er leicht verächtlich, als stände ich nicht vor ihm.
Plötzlich wich jede Freundlichkeit aus der Stimme meiner Schwester. „Sie hat an dem Tag ihre Schwester und ihre beste Freundin verloren. Sowas ist hart." erwiderte sie kalt.
„Estelle war deine Zwillingsschwester, wenn ich mich nicht irre. Du tust sowas nicht, obwohl dir das Ganze näher gehen sollte als ihr." warf Aydan ungläubig ein.
Im Augenwinkel sah ich wie Mariellas Augen wütend funkelten. „Erstens: Sprich nicht, als wäre sie nicht hier. Zweitens: Ich wüsste nicht was dich das angeht. Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Ich war schon immer Einzelgängerin und Estelle war mir nie besonders nah. Lou dagegen ist ein absoluter Familienmensch und liebt jeden aus unserer Familie. Und wenn ich einen dieser verdammten Meeresviecher in die Hände bekomme, wird er für das bezahlen, was er Lou angetan hat! Komm, Lou." forderte sie mich auf und wandte sich zum Haus.
Ich zögerte.
„Lou!", rief Mariella ungeduldig und ging ein paar Schritte in Richtung Haus.
„Ich komme gleich.", meinte ich ruhig.
Mariella zuckte zusammen. Dass ich sprach, überraschte sie. Doch dann zuckte Mariella mit den Achseln und lief mit raschen Schritten ins Haus.
Aydan sah ihr stirnrunzelnd nach.
„Danke. Du hast meine Eltern vermutlich vor ihrem Tod bewahrt.", begann ich das Gespräch sarkastisch.
Aydans Blick blieb ausdruckslos. „Hm." brummte er nur. „Meinte deine Schwester das ernst?" fragte er nachdenklich.
„Was?" fragte ich verständnislos nach.
„Dass sie sich an den Meertypen rächen würde, wenn sie es könnte."
Ich zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Klar. Sie ist zwar kein Familienmensch, aber sie würde trotzdem alles für uns tun." antwortete ich.
„Die Meermänner sind gefährlich, Louana. Halt dich fern vom Strand, okay?", redete er mir eindringlich ein.
Es war ungewohnt für mich, bei meinem ganzen Namen genannt zu werden. „Warum? Ganz offensichtlich haben sie das Interesse an mir verloren." erwiderte ich hartnäckig.
Aydan überlegte kurz. „Mag sein, aber der Ort ist trotzdem gefährlich für kleine verstörte Mädchen wie dich.", hielt er hart dagegen.
„Wie bitte?!" fuhr ich ihn wütend an. „Ich wünschte, diese Typen würden einen deiner Brüder mitnehmen, dann würdest du sehen, wie es mir geht! Diese Typen zerstörten Familien und töten unschuldige Leute! Sie sind nicht besser als wilde Löwen!", meinte ich aufgebracht.
Aydan kniff die Augen zusammen. „Schlaf schlecht, Waterson!" fauchte ich, bevor ich mich auf dem Absatz umdrehte und zum Haus stürmte. Dieser Typ war ein riesengroßes Arschloch!
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Atlantis - Stadt des Wassers
Fantasy„Von Feuer, Wasser, Erd' und Luft beschenkt, doch die rasende Zeit drängt; Kampf zwischen zwei der Mächte, sie muss entscheiden das Gefechte; Doch wenn das Licht zuerst erlischt, das Blute der Völker sich vermischt, Und für die Schatten Macht...