17. Kapitel

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Plötzlich wurde es wieder heller und bevor ich mich an die neue Helligkeit gewöhnen konnte, hatte ich plötzlich wieder Boden unter den Füßen und taumelte relativ schnell nach vorne.
*Klatsch*
Die harte Rinde eines Baumes drückte in mein Gesicht. „Aua.", stöhnte ich schmerzerfüllt.
„Nicht im Ernst oder?", hörte ich Aldwyn fassungslos murmeln.
„Wow, ist das gerade wirklich passiert?", kommentierte Aydan amüsiert.
„Ist sie grad ernsthaft gegen einen Baum gerannt?", fragte Aaron lachend.
Ich trat einen Schritt zurück und rieb mir über mein Gesicht.
„Jetzt macht sie's Aiana nach oder was? Was habt ihr Mädchen nur immer für komische Probleme! Die eine wird von 'nem Wal überrollt, die anderen Zwei laufen gegen Bäume!", meinte Aydan belustigt.
Juli stöhnte genervt auf und gab Aydan einen kräftigen Schubs.
Normalerweise hätte Aydan das locker wegstecken können, aber er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet und stolperte nach hinten in einen Dornenbusch.
Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf. In seinem Hintern und Rücken steckten Dornen. Er presste die Lippen fest aufeinander und begann sich komisch zu verrenken, um die Dornen rauszuziehen.
Wir Anderen lachten ihn einfach aus, bis Juli, Aiana und ich uns bequemten und ihm halfen.
War es fies, dass ich mich freute, dass ihm mal so was peinliches passiert war?
Als wir endlich fertig waren, zeigte Aiana auf ein Schloss, dessen Türme zwischen den Bäumen weiter weg hervorragten. „Lasst uns losgehen. Meine Mutter wird sich freuen, euch mal wieder zu sehen."
Sie übernahm die Führung und wir folgten ihr.
Staunend betrachtete ich die Umgebung. Alle Pflanzen waren in satte Farben getaucht und die Blumen machten den Wald mit ihren schillernden Farben lebendig. Von überallher hörte man das fröhliche Gezwitscher der Vögel und das sanfte Rascheln der Baumkronen, wenn ein Windzug durch sie durch fuhr. Ein Eichhörnchen kreuzte unseren Weg. Es schien keine Angst zu haben, denn es blieb sogar nahe bei uns stehen und musterte uns neugierig, bevor es weiter jagte.
Alles hier war so natürlich und normal und trotzdem hatte es seinen ganz besonderen eigenen Zaubern und das nur weil wenige Dinge einfach liebevoller und lebendiger geschaffen worden waren, als in meiner Heimat.
„Ich bin fasziniert. Wie kann man ganze zehn Minuten mit offenem Mund staunen, ohne sich dumm vorzukommen?", meldete Juli sich zu Wort. Sie hatte sich zurückfallen lassen und lief jetzt neben mir her.
Ich lachte leise. „Es ist einfach wunderschön hier."
„So schön, dass du gleich mit einem Baum rumknutschen musst?", hakte Juli grinsend nach.
„Wenigstens wurde ich noch nicht von einem Wal flachgelegt!", feuerte ich zurück und formulierte meinen Satz absichtlich zweideutig.
Juli verzog das Gesicht. „Das ist ekelhaft."
„Und ich merk ihn mir!", mischte Aydan sich ein und grinste mich schief an.
Warte, warte! Hatte er mich gerade angegrinst?! Steht der Weltuntergang bevor?! Oder klebt irgendein Schild an mir mit „Bitte tritt mich!" drauf? Oder steckt ein Messer in meinem Rücken?
Vor uns tauchte ein mächtiges Schloss auf, was mich davon abhielt, weiter über Aydan zu grübeln.
Dieses Schloss war weitaus beeindruckender als das von Atlantis.
Es war größer und hatte vier Türme. Das ganze Schloss war aus schneeweißen Steinen gebaut worden und die Dächer dunkelgrün.
An den Mauern wuchsen Rosen und Efeu hoch und gaben dem Schloss etwas Verwildertes und Natürliches.
Zwischen Schloss und Schlossmauer befand sich ein riesiger Abstand, warum wurde mir erst klar, als ich durch das große majestätische Schlosstor trat: Ein gigantischer gepflegter Garten war rund um das Schloss angelegt.
Überall wuselten Gärtner herum und kümmerten sich hingebungsvoll um die verschiedenen Planzen. So eine riesige Vielfalt an Grünzeug hatte ich noch nie gesehen.
Von überallher hörte ich Bienen und Hummeln summen und verschiedene wunderschöne Schmetterlinge flatterten überall rum.
Aiana führte uns einen gepflasterten breiten weg entlang zum Schloss. Rechts und links vom Weg standen in gleichmäßigen Abständen einzelne Buchsbäume, die zu prachtvollen Figuren zurecht geschnitten worden waren.
Einer zeigte einen Schmetterling, wieder ein anderer war zu einem Herz geformt und ganz am Ende war ein Busch zu 5 Menschen geschnitten worden. Einer davon war Aiana, sie stand in der Mitte vorne. Hinter ihr erkannte man den König und die König, einfach deswegen weil sie Kronen trugen. Rechts von ihr stand ein junger Mann und links von ihr eine junge Frau.
Juli lehnte sich zu mir rüber. „Das ist Aianas Familie: Ihre Mutter Königin Ava, ihr Vater König Ronald und ihre beiden älteren Geschwister Kronprinzessin Flora und Prinz Gian.", erklärte sie.
Ich löste meinen Blick von der Busch-Königsfamilie und sah wieder nach vorne.
Wir waren vor dem Palasttor angekommen.
Die vier Wächter vor dem Tor verbeugten sich tief.
„Prinzessin Aiana, was für eine Freude Sie wiederzusehen! Wie war die Reise?", fragte einer der Wächter freundlich.
„Ohne irgendwelche nervigen Zwischenfälle. General, könnten Sie wohl einen Boten nach meiner Mutter schicken? Ich erwarte sie im großen Saal mit meinen fünf Begleitern hier.", erklärte Aiana höflich und zeigte auf uns.
Holy moly, was hatte sie denn am Kopf getroffen? War sie unbemerkt schon wieder gegen einen Baum gerannt, oder warum redete sie so geschwollen? Das war echt ungewohnt und definitiv gewöhnungsbedürftig!
„Natürlich, Eure Hoheit.", erwiderte der Wächter.
Die anderen Wächter strahlten sie breit an.
Kein Zweifel, diese Prinzessin wurde tatsächlich verehrt.
Aiana führte uns weiter ins Schloss.
Kaum dass wir die riesige Eingangshalle betreten hatten, wuselten schon zahlreiche Angestellte um Aiana herum.
„Eure Hoheit, wie war die Reise?"
„Kann ich Ihnen einen Tee bringen, Prinzessin Aiana?"
„Brauchen Sie etwas, Eure Hoheit?"
Sie alle redeten eifrig auf die Prinzessin ein, die freundlich lächelnd den Kopf schüttelte. „Ihr könnt euch wieder eurer Arbeit zu wenden, ich brauche nichts."
Enttäuscht gingen die Angestellten davon.
„Schwesterherz!", hörten wir plötzlich eine weibliche Stimme rufen.
Am anderen Ende des Saals führten zwei Treppen ins Obergeschoss. Am Geländer oben lehnte eine wunderschöne Frau, um die 25 Jahre alt. Ihr haselnussbraunes Haar war zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt und sie trug ein hellgrünes luftiges Sommerkleid, das ihr bis zu den Knien ging. In ihrem Gesicht war ein strahlendes Lachen und ihre grünen Augen funkelten warm.
Obwohl ihre Füße ihn locker 10-Zentimeter-Absatz-Schuhen steckten, stürmte sie die Treppe elegant und sicher hinunter.
Mich hätte es mit den Schuhen schon beim Anziehen auf die Fresse gehauen.
Überschwänglich nahm sie Aiana in die Arme. „Wie schön, dass du endlich wieder da bist."
Erst jetzt fiel mir ihre Größe auf. Selbst ohne die Schuhe wäre sie vermutlich noch größer als ich und in den Schuhen war sie locker 185cm, wenn nicht sogar größer.
„Ich freu mich auch dich zu sehen. Lou, das ist meine große Schwester Flora, Flora, das sind Louana und die Königskinder von Atlantis.", stellte Aiana uns vor.
Flora nickte uns freundlich zu. „Mutter erwartet dich und deine Freunde im Thronsaal, Aiana. Wenn du später Zeit hast, komm doch mal vorbei. James und Ben vermissen dich auch schon."
Damit ging die älteste Königstochter davon.
„Wer sind James und Ben?", fragte ich neugierig.
„James ist mein Schwäger und Ben, eigentlich Benedikt, ist mein Neffe.", erklärte Aiana knapp. „Los, kommt, meine Mutter wartet schon."
Wir folgten ihr die Gänge entlang, bis wir vor der Flügeltür eines großen Saales ankamen.
Der Thronsaal.
In ein wunderschönes olivgrünes Abendkleid gehüllt stand dort eine an die 45-jährige-Brünette, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Flora aufwies. Sie sah aus wie eine ältere Version von ihr. Die Frau hatte die gleiche natürliche Schönheit und Eleganz, wenn sie auch nicht die Größe von Flora hatte, sondern sogar kleiner als ich war. Das musste Königin Ava sein. Ihr fester Blick wanderte zu Aiana. „Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich von meiner Arbeit aufzuhalten, Aiana."

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