Juli sah mich belustigt an. „Na, was wohl. Dein Training."
„Aber was zur Hölle ist das?!", fragte ich entsetzt und zeigte auf den bedrohlichen Wasserstrudel, der in der Mitte des Raumes unkontrolliert herumwirbelte.
Juli zuckte mit den Achseln. „Ein normaler Wasserstrudel. Deine Aufgabe ist es, ihn zu bändigen, was ziemlich einfach sein sollte, wenn du das Wassergen in dir trägst."
Zweifelnd sah ich sie an. „Ja, genau, ganz einfach..." Mir entwich ein nervöses Lachen. „Irgendwelche Ratschläge bevor ich in meinen Tod laufe?"
Juli runzelte die Stirn. „Das ist ein normaler Wasserstrudel. Kein Mordinstrument. Damit kannst du niemanden umbringen."
Ich lachte freudlos auf. „Ich mache Fehler, die sonst keiner macht, also..."
Aaron grinste spöttisch. „Wieso glaube ich dir das sogar."
Juli verdrehte genervt die Augen und sah ihren Bruder gereizt an. Dann wandte sie sich wieder an mich. „Es ist eigentlich ganz einfach. Du streckst die Arme aus. Dann stellst du dir vor, du wärst der Wasserstrudel. Das kann am Anfang ein bisschen verwirrend sein, weil du die Strömung des Wasserstrudels auch spürst. Aber wenn du den Wasserstrudel fühlst, kannst du ihn beliebig steuern. Versuch's einfach mal.", forderte sie mich aufmunternd auf.
Ich atmete tief durch und streckte die Arme aus. Wie zur Hölle stellte man sich einen Wasserstrudel vor?! Okay, was hatte Juli gesagt? Ich sollte mich in den Wasserstrudel hineinversetzen. Okay... Ich bin Wasser. Welliges unruhiges Wasser. Viel Wasser. Das Wasser dreht sich im Uhrzeigersinn. Das Wasser ist dunkelblau. Ähm...
„Du denkst zu viel.", meldete sich Aaron zu Wort.
„Ich soll mir ja schließlich vorstellen, ich wäre der Wasserstrudel oder nicht?!", zischte ich bissig.
„Jap. Aber dabei geht es mehr um das Gefühl. Das Gefühl den Körper zu verlassen und etwas anderes einzunehmen. In unserem Fall: Das Wasser. Vielleicht sollten wir leichter anfangen.", überlegte Aaron. „Du musst deinen Kopf leer bekommen. Konzentrier dich auf deine Atmung. Atme gleichmäßig und ruhig."
Ich tat, was er sagte.
Nach kurzer Zeit hörte ich erneut seine Stimme. „Okay. Jetzt heb deine Arme und stell dir vor, du bist das Wasser. Aufgewühlt und wild. Du musst die Emotionen des Wassers quasi in deine eigenen umwandeln."
Ich atmete tief durch und gehorchte.
Und tatsächlich: Es klappte.
Ein plötzliches Gefühl der Stärke überrollte mich, ich fühlte plötzlich tatsächlich die Wildheit des Wasser. Wie es im Kreis herumwirbelte.
Vorsichtig richtete ich meinen Blick auf den Wasserstrudel und bewegte meine Hände ein wenig nach rechts. Der Wasserstrudel schien meinen Händen wie ein Spiegelbild zu folgen.
Juli quiekte auf. „Du hast es geschafft! Super gemacht!"
Ein glückliches Strahlen breitete sich auf meinem Gesicht aus.
Ich senkte die Hände und das Gefühl verschwand. Der Wasserstrudel löste sich auf.
Jubelnd fiel ich Aaron und Juli gleichzeitig um den Hals. „Ich hab's geschafft!!"
Als ich mich von ihnen löste, sah Juli ihren Bruder anerkennend an. „Gar nicht so schlecht, Bruderherz. Du hast es tatsächlich geschafft, dass Lou sich in den Wasserstrudel reinversetzen konnte."
Aaron grinste breit. „Bei ihr war es einfacher, als bei Jo. Die hat ewig gebraucht, allein um sich auf ihre Atmung zu konzentrieren."
Neugierig sah ich sie an. „Wie ist sie denn so?"
Juli sah mich an. „Jo? Ich schätze, sie ist fast wie wir, nur ein bisschen vernünftiger und ruhiger. Nicht ganz so viel Temperament. Aber sie ist sehr lieb. Ich freu mich schon, wenn das Volk sie endlich kennenlernen darf."
Verwundert sah ich sie an. „Wie kennenlernen? Ich meine, sie ist die Prinzessin, jeder kennt sie doch."
Juli schüttelte den Kopf. „Hier in Atlantis ist es schon immer Brauch, dass die Königskinder bis zu ihrem 16. Geburtstag von der Öffentlichkeit verborgen werden. Dadurch können sie auf normale Schulen gehen und das Volk auf einer anderen Ebene kennenlernen. Quasi als gehörten sie selbst dazu. Wenn du später einmal das Volk regieren willst, ist das gar nicht so schlecht. Jo ist 15, in ein paar Monaten wird auch sie dem Volk vorgestellt. Bei uns ist das schon fast 2 Jahre her.", erklärte Juli.
„Wow, das ist echt schlau.", meinte ich beeindruckt. „Wer von euch wird eigentlich regieren? Oder müsst ihr alle zusammen regieren?", fragte ich interessiert.
Juli schüttelte den Kopf. „In jedem Königreich regiert das älteste Königskind egal ob Frau oder Mann. Nur in seltenen Fällen, dürfen zwei regieren, wie in Tornair, die Stadt der Luft. Dort war man sich nicht mehr sicher, wer zuerst geboren wurde, deswegen regieren die Zwillinge zusammen, wobei Rose sich eher um die Außenpolitik und Livia sich mehr um die Innenpolitik kümmert. Vermutlich weil Rose gerne in Kriegen verhandelt und Livia dem Volk sehr nahe steht.", erzählte Juli. „Bei uns vier bin ich die Älteste, deswegen werde ich Königin sobald mein Vater nicht mehr regieren kann oder will." Sie seufzte. „So lang dürfte das nicht mehr dauern. Ich glaube, dass mein Vater mir sofort an meinem 18. Geburtstag die Krone überreichen wird."
„Und warum?", fragte ich verwirrt.
Als Juli jetzt zu mir sah, glänzten ihre Augen verräterisch. Sie schien verzweifelt mit den Tränen zu kämpfen. „Mama geht es nicht so gut. Im Moment kämpft sie gegen den Tod. Sollte sie sterben, wird mein Vater sich nicht mehr in der Lage fühlen, ein Königreich zu führen.", flüsterte sie.
Als ich sie so sah, bekam ich Mitleid. Ich hatte auch eine zeitlang geglaubt, Estelle wäre tot und es war kein schönes Gefühl, ein Familienmitglied zu verlieren.
Zögerlich nahm ich sie in den Arm.
Auch Aaron seufzte tief und umarmte seine Schwester von hinten. „Aydan, Aldwyn und ich werden dir helfen, Juli. Du musst das nicht alleine machen."
Eine Weile standen wir so da.
Doch plötzlich hörten wir näher kommende Schritte und die Tür wurde schwungvoll aufgerissen.
Ein Mädchen mit braunen Augen und kurzem braunen lockigem Haar kam herein. Sie schien fast so groß wie ich zu sein.
Aaron, Juli und ich sprangen schnell auseinander.
„Hey, Jo.", grüßte Juli das Mädchen freundlich.
Also das war die Prinzessin? Wow, sie sah ihren Geschwistern nicht mal annähernd ähnlich.
„Hey, Schwesterherz. Hallo, Aaron." Ihr Blick wanderte zu mir. „Hallo, Lou."
„Hi.", erwiderte ich zurückhaltend:
„Papa hat gesagt, ich soll euch holen.", erklärte Jo.
Juli runzelte die Stirn. „Warum das denn?"
Jo seufzte. „Prinzessin Aiana von Florentina ist hier. Sie will Lou sehen." Ihr Blick wanderte zu mir. „Sie glaubt, du könntest das in den Prophezeiungen beschriebene Mädchen sein. Das Mädchen, das alle Elemente beherrscht."
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Atlantis - Stadt des Wassers
Fantasy„Von Feuer, Wasser, Erd' und Luft beschenkt, doch die rasende Zeit drängt; Kampf zwischen zwei der Mächte, sie muss entscheiden das Gefechte; Doch wenn das Licht zuerst erlischt, das Blute der Völker sich vermischt, Und für die Schatten Macht...