7. Kapitel

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Ich schlug das Buch zu und gähnte. Morgen war auch noch ein Tag und ich musste erst mal verarbeiten, was ich gelesen hatte.

...

Am nächsten Morgen stand ich früh auf und aß beim Hinausgehen einen Apfel. Ich war viel zu früh dran, aber im Haus rumzulungern, würde mich langweilen und so konnte ich bei der kühlen Morgentemperatur klare Gedanken fassen. Aus irgendeinem Grund stellte ich nicht infrage, dass das, was dieser Andrea Costa schrieb, wahr war. Sollten mich solche Vorstellungen nicht verängstigten? Oder zumindest beunruhigen? Ich sollte das Buch in die Ecke pfeffern und bei dem Gedanken an Andreas Fantasien den Kopf schütteln, doch ich tat es nicht. Und das verunsicherte mich. War ich verrückt, weil ich Andreas Vermutungen für möglich hielt? Seufzend drückte ich die Türen zum Schulgebäude auf und lief zu meinem Spind. Als ich ihn öffnete, fiel mein Blick sofort auf die zahlreichen Fotos, die auf der Innenseite meiner Spind-Tür klebten. In der Mitte befand sich ein großes Foto von Emma und mir. Es war noch nicht so alt und es war höchstens zwei Wochen vor Emmas „Entführung" entstanden. Emmas dünnes blondes Haar fiel ihr glatt ein Stück bis über die Schultern und ihre hellblauen Augen funkelten frech. Sie war ein bisschen braungebrannt, aber Emma war hier in Amalfi noch eine von den Blassesten gewesen, völlig egal wie lang sie auch in der Sonne lag. Ein paar Sommersprossen tanzten um ihre Nase und sie lachte offen. Und neben diesem engelsgleichen Mädchen stand ich. Die Todesfee in menschlicher Gestalt mit langen schwarzen Haaren und funkelten grünen Augen und einem schiefen Grinsen im Gesicht. Unter dem Foto war noch ein Foto von Leonie und mir. Es war schon älter, schon älter als ein Jahr, aber ich wusste es nicht genau. Es war ebenfalls im Sommer geschossen worden. Im Sommer wurden Leonies Haare immer von Natur aus orange-rot, so ein witziges Pumuckl-Rot. Ihre großen Reh-Augen leuchteten warm und sie lächelte leicht. Ihre Haare waren kürzer als Emmas, sie reichten nur knapp über die Schultern. Ihre große dünne Gestalt von knappen 185cm ragte neben meiner Person auf. Ich war locker 10 Zentimeter kleiner als sie. Wir machten mittlerweile nur noch wenig zusammen, sie musste lernen und ich lebte ein unbeschwertes Leben. Mein Blick wanderte wieder zu Emmas Gesicht zurück. Irgendwie waren wir immer auf derselben Wellenlänge gewesen. Wir hatten dieselben Hobbys, denselben Musikgeschmack, denselben Humor, dieselben Gedanken gehabt. Tanzen, reiten, singen. Das alles hatten wir immer nur zusammen gemacht. Schwimmen, lernen, neue Choreographien erfinden und einstudieren, spazieren gehen, Gassi gehen. Diese Liste könnte ich noch unendlich weiter fortsetzen. Emma war wie mein Zwilling gewesen, wir hatten uns ohne Worte verständigen können, sie war diejenige an meiner Seite gewesen, durch schwere und durch schöne Zeiten. Emma hatte mich beschützt, mich aufgeheitert, mich gestützt und gedeckt, egal was gewesen war. Für so eine Freundschaft konnte ich nur dankbar sein. Und gerade wegen dieser Verbindung glaubte..., wusste ich, dass Emma noch lebte. Ich würde es fühlen, wenn es anders wäre. Seufzend schloss ich die Spind-Tür und ging in die Aula, wo ich mich an einen abseitsliegenden Tisch setzte und das Buch von Costa aufschlug.

Ich habe nie verstanden, warum diese Wasser-Elementaner alles wussten, was hier am Lande von sich ging. Aber wie dumm war ich, anzunehmen, dass diese Kreaturen nur im Wasser leben könnten. Vermutlich können sie zwischen ihrem Aussehen wechseln, denn ich vermute, dass sie ein menschliches Erscheinungsbild besitzen. Und letztendlich erscheint mir das auch logisch. Denn die Elementaner sind im Grunde nur ein Stamm, der aus den Menschen entstanden ist. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und uns ist, dass ihre Vorfahren von den Elementen beschenkt wurden und deswegen die Gaben in sich trugen, während unsere Vorfahren leer ausgingen. Darum sei du nur sehr vorsichtig. Jeder könnte ein Spion des Wassers sein und dann bist du morgen bereits tot.

Ich sog scharf Luft ein. Das ergab Sinn. Es musste jemand sein, der entweder gute Kontakte hatte oder aber eine äußerst gute Beobachtungsgabe hatte. Oder beides. Holy, das konnte echt schlimm enden, wenn ich nicht aufpasste. Ich sah mich um. Bis jetzt war noch keiner da, aber in einer guten Viertelstunde würden die ersten Schüler eintrudeln. Hastig senkte ich meinen Blick zurück auf das Buch.

Ich werde dich jetzt mit ein bisschen Wissen über die Elemente versorgen. Feuer und Wasser gelten als die gefährlicheren Elemente, aber das sind sie mit Sicherheit nicht. Das Element Luft ist um Längen gefährlicher. Ein Luft-Elementar kann dich in einer Sekunde umbringen, indem er dir die Luft aus den Lungen saugt, dich mit einem Windstoß zu Fall bringt oder ähnliches. Der einzige Grund, warum Luft-Elementaner oft als ungefährlich eingestuft werden, ist, dass sie normalerweise sehr friedliche Wesen sind. Sie haben ein sanftes und träumerisches Gemüt. Feuer-Elementaner jedoch haben ein Temperament und ein Selbstbewusstsein, das dir zum Verhängnis werden kann. Und Wasser-Elementaner sind einfach nur sture und auch ein bisschen nachtragende Wesen. Die Erd-Elementaner sind meiner Meinung nach am wenigsten gefährlich. Sie sind warme, freundliche Wesen mit einem ruhigen und feinfühligen Gemüt. Sie sind aber sehr schlau und wenn du sie für dumm verkaufst, können sie sehr ungemütlich werden. Ich habe diese Beschreibungen in einem Buch gelesen und ich kann es mir durchaus gut vorstellen. So oder so solltest du einen Elementaner, von egal welcher Sorte auf keinen Fall unterschätzen.

Plötzlich hörte ich eine Stimme. „Cryptickeeper, was machst du denn schon so früh hier?" Erschrocken darüber, jemanden nach mir rufen zu hören, klappte ich das Buch zu und legte meinen Arm so darüber, dass man den Titel nicht lesen konnte.
Ich sah auf. Es war einer der Drillinge. „Ähm... Ruhe. Hier hat man sehr viel Ruhe. Bei mir daheim ist es in der Früh etwas hektisch.", log ich und zwang mich zu einem Lächeln.
Der Drilling runzelte die Stirn. „Und was liest du so?", fragte er neugierig.
Bevor ich ihn aufhalten konnte, hatte er sich schon mein Buch geschnappt.
Alarmiert versuchte ich ihm das Buch zu entreißen. Doch er war schneller und las den Buchtitel. Er ersarrte. Ich nutzte die Gelegenheit, schnappte mir das Buch und riss es an meine Brust.
Der Drilling sah mich entgeistert an. „Warum liest du sowas?", fragte er. Irgendwas schien ihn zu beunruhigen.
„Was geht dich das an?!", erwiderte ich schnippisch.
„Louana. Hör auf, den Fall lösen zu wollen. Deine Schwester und deine Freundin sind weg. Den Fall aufdecken zu wollen, ist keine gute Idee.", redete der Drilling auf mich ein.
„Ich will wissen, was mit ihnen passiert ist. Ich will ihnen helfen!", fuhr ich den Typen an.
„Manchmal will man nicht alles wissen. Und selbst wenn du alles wissen würdest. Wie soll ein durchschnittlicher Mensch wie du gegen Meereswesen bestehen?", harkte der Drilling abfällig nach. „
Kümmer dich um deinen eigenen Dreck!", fauchte ich. „Fang am besten bei deinem Leben an, Drilling!"
Der Typ seufzte. „Ich bin Aydan, Louana.", verbesserte er mich. Aydan trat einen Schritt an mich heran. „Brech deine Recherchen ab. Das wird sonst kein gutes Ende nehmen. Glaub mir."
Ich sah in seine tiefblau-türkisen Augen, die mich eindringlich musterten. Warum war er so verdammt groß?! 190cm waren definitiv zu groß! „Aydan!", rief eine Stimme vom Gang. Aydan wandte sich von mir ab und ich konnte seine zwei Brüder auf ihn warten sehen. Aldwyn und Aaron sahen beunruhigt zwischen mir und Aydan hin und her. „Also brichst du deine Nachforschungen ab?", fragte Aydan leise nochmal nach. In seinen Worten lag eine unausgesprochene Drohung, die ich nicht deuten konnte.
„Nein.", antwortete ich stur.
Ein freudloses Lachen entwich Aydan. Über seine Schulter sah er mich ironisch an. „Dann wünsch ich dir noch ein erfülltes Leben, Cryptickeeper."
Damit ging er zu seinen Brüdern. Ich beobachtete ihn, wie er bei seinen Brüdern ankam und sie hastig aus der Aula zog. Aydan hinterließ eine Kälte und eine Angst, die ich nicht zuschreiben konnte. Aydan hatte viele Freunde und wenn ich Pech hatte, würde er vielleicht einen getarnten Wassermenschen aus Versehen informieren. In nächster Zeit musste ich auf jeden Fall den Strand meiden. Mein Gefühl sagte mir, dass ich gerade mein Schicksal besiegelt hatte. Aber mein Kopf weigerte sich, das hinzunehmen. Wassermenschen waren auch nicht unbesiegbar. Und ich würde herausfinden, wie ich mich ihnen widersetzen konnte. Damit Aydans bescheuerter Wasserfreund, falls er einen Freund hatte, der ein Wassermensch war, mich nicht überraschen konnte. Ihr kriegt mich nicht, Wasser-Elementaner!

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