19 | Auf frischer Tat

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Wir nähern uns dem Ende. Leider irgendwie.

Es fiel mir unglaublich schwer, nicht komplett auszurasten. Doch ich wollte Clara nicht am Telefon mit meiner Erkenntnis konfrontieren, dass sie mich gerade ganz offensichtlich belog. Stattdessen lief ich zum Auto zurück und presste das Iphone dabei so fest an mein Ohr, dass ich glaubte, dass es gleich platzte. Ich wollte Clara in die Augen schauen, wenn ich ihr sagte, dass ich sie bei ihrer Lüge auf frischer Tat erwischt hatte.

„Ich bin noch unterwegs.", antwortete ich so ungenau ich konnte, zog meinen Autoschlüssel wieder aus der Tasche meiner Jogginghose und schloss mein Auto auf. „Ich habe darüber nachgedacht, vielleicht noch vorbei zu kommen.", sagte ich beiläufig, um sie einmal mehr aus der Reserve zu locken, und schlug die Autotür zu.

„Du bist süß, aber ich gehe bald schlafen. Heute ist mit mir wirklich nichts mehr anzufangen, ich bin einfach zu kaputt.", belog sie mich weiter und ich presste meine Kiefer so fest aufeinander, dass meine Zähne knirschten.

„Hmm.", knurrte ich und startete den Wagen. „Macht ja nichts. Machen wir ein anderes Mal.", gelang es mir schließlich, meine Fassade aufrecht zu erhalten. „No te molestes, por favor.", bat sie mich zuckersüß, ihr nicht böse zu sein, und dachte vermutlich, dass ich ihr so noch weniger widerstehen konnte. „Está bien. Schlaf gut.", log ich und startete den Wagen. „Danke, du auch."

Als ich aufgelegt hatte, warf ich mein Iphone achtlos auf den Beifahrersitz. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich mich beruhigen sollte. Ich kämpfte mit mir selbst, Clara nicht ein weiteres Mal anzurufen und sie mit meinem Wissen zu konfrontieren. Es machte mich wahnsinnig nicht zu wissen, wo sie sich herumtrieb und warum sie mich anlog! Doch ich würde sie gleich morgen nach der Arbeit abfangen und zur Rede stellen! Ich würde auf gar keinen Fall warten, bis sie sich irgendwann wieder mit mir verabredete!

Trotzdem fickte diese gesamte Aktion die komplette Nacht meinen Kopf. Die Gewissheit, dass Clara mich belogen hatte und glaubte, damit einfach so durchzukommen, machte mich rasend vor Wut. Ich konnte kaum klare Gedanken fassen, bis ich mich irgendwann so oft hin und her gewälzt hatte, dass ich total übermüdet einschlief.

Als ich am nächsten Morgen meine Augen aufschlug, waren meine Wut und meine Enttäuschung augenblicklich wieder da und mein Kopf machte dort weiter, wo er vor dem Einschlafen aufgehört hatte. Auch mein Training am Vormittag auf nüchternen Magen brachte mich nicht runter. Ich hatte einfach vor lauter Wut keinen Bissen herunterbekommen. Vor lauter Zorn zog sich mein Magen krampfhaft zusammen. Das machte mich jedoch nur noch viel wütender. Es war einfach nicht gewöhnlich für mich, dass eine Frau es schaffte, derartigen Einfluss auf mich auszuüben und solche körperlichen Reaktionen bei mir auszulösen. Bereits heute Nachmittag würde das Ganze ein Ende haben! Ich würde Clara zur Rede stellen, koste es, was es wolle. Ich wollte ihr in die Augen schauen und sehen, wie sich ihr Blick bei meiner Konfrontation veränderte. Ich wollte sie stottern hören, wollte hören, wie sie verzweifelt versuchte, sich mir zu erklären. Ob es wirklich eine Erklärung für ihre Lüge gab? Ich war mir sicher, dass es keine gab. Für eine Lüge gab es nie eine Erklärung, geschweige denn eine Entschuldigung!

Ich wusste, dass Clara heute wieder im Krankenhaus arbeitete. Ihre Schicht würde bald enden und ich hatte mir fest vorgenommen, dort zu sein und vor dem Gebäude auf sie zu warten.

Ungeduldig schaute ich auf meine Uhr, als ich mit dem Wagen vor dem großen Gebäude hielt. Ich war extra eine halbe Stunde vor Schichtende hergekommen, damit Clara mir nicht entwischte. Eine ganze Weile beobachtete ich die großen Flügeltüren des Eingangs. Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass auch ihre heutige Schicht im Krankenhaus eine Lüge sein konnte. Vielleicht war sie auch jetzt nicht dort, wo sie vorgab zu sein, und vielleicht war sie es nie gewesen!

Meine Gedanken rasten. Ich wollte nicht glauben, dass Clara mich von Anfang an hintergangen und belogen hatte, aber die Indizien sprachen einfach dafür. Wieso war sie nicht ehrlich zu mir? Natürlich reagierte ich oft über und war ziemlich impulsiv, wenn mir Dinge nicht passten, doch ich erwartete trotzdem, dass sie ehrlich und aufrichtig mit mir war. Ich war es schließlich auch, respektierte und achtete sie. Dass sie mich angelogen hatte, zeigte mir, dass sie das andersrum nicht tat.

Als sie jetzt pünktlich aus dem Hausgebäude ins Freie trat, war ich seltsam erleichtert. Es kam mir beinah etwas verrückt vor, dass ich erleichtert darüber war, dass sie wirklich hier war und ich sie nicht ein weiteres Mal bei einer Lüge ertappt hatte.

Obwohl ich so wahnsinnig wütend auf sie war, fiel mir auf, wie gut sie heute aussah. Sie trug eine cognacfarbene Lederjacke, dazu einen bunten Schal, eine enge Jeans und gefährlich hohe Stiefeletten. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie stärker geschminkt war als sonst. Ich beobachtete irritiert, wie sie ihren Pferdeschwanz öffnete und sich durch ihre Haare fuhr. Dann schaute sie sich kurz um. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gesagt, sie hatte sich für mich hübsch gemacht!

Als sie jetzt auf die Straße zulief und sich umschaute, fiel mein Blick unwillkürlich auf ihren runden Arsch in dieser viel zu engen Jeans. Ich konnte nicht glauben, dass ich sie trotz meiner Wut noch immer heiß fand! Ich schob die Gedanken bei Seite und konzentrierte mich darauf, weshalb ich hergekommen war.

Ich wollte gerade aus dem Auto steigen, als ein dunkler, protziger Audi auf der gegenüberliegenden Straßenseite anrollte. Ich sah sofort, dass der dunkelhaarige Typ am Steuer Clara mit seinem Blick fixierte, während er langsam die Straße entlang in ihre Richtung fuhr. Mein Blick glitt zu Clara zurück, die gerade etwas in ihr Smartphone tippte und diesem schmierigen Typen überhaupt nicht bemerkte. Ich schaute wieder auf die andere Straßenseite.

Ich schätzte den Typ auf etwa Mitte Vierzig, konnte mich jedoch auch täuschen. Schließlich saß er in seinem Wagen und ich konnte ihn nicht komplett sehen.

Jetzt ließ er plötzlich das Fenster auf der Fahrerseite herunter. Als Clara die Straße erreichte, sprach er sie an. Mein Blut fing augenblicklich an zu kochen. Gerade, als ich aus dem Wagen springen wollte, vibrierte mein Iphone. Ich warf einen Blick auf das Display. Clara hatte mir gerade eine Nachricht geschickt. Plötzlich war ich hin- und hergerissen. Einerseits konnte ich meinen Blick nicht von dieser seltsamen Szene abwenden, andererseits wollte ich wissen, was sie geschrieben hatte. Hatte sie mich vielleicht bereits gesehen?

Ich entschied mich dagegen, ihre Nachricht zu lesen, und legte meine Hand an den Türgriff. Was wollte dieser Vogel von meiner Freundin? Das Blut rauschte durch meine Ohren und meine Finger verkrampften sich um den Türgriff, als Clara diesem Bastard ernsthaft ein Lächeln schenkte und auf seinen Wagen zulief. Erst jetzt verstand ich, dass er ganz offenbar für sie kein Fremder war. Er schien hier auf sie gewartet zu haben und sie ging zielstrebig um seinen Wagen herum. Meine Finger waren inzwischen kalt und schweißnass. Ohne weiter zu zögern, zog ich den Schlüssel aus dem Zündschloss und öffnete die Fahrertür.

Clara stieg währenddessen ernsthaft zu diesem schmierigen Wichser ins Auto! Mein Mund blieb offen stehen, als sie die Tür hinter sich schloss und er sich zu ihr herüber beugte. Er küsste ihre Wange und sie wandte sich von ihm ab. Vor lauter Wut war ich nicht sicher, wie ich den seltsamen Blick in ihren Augen deuten sollte, doch ich würde jetzt sofort herausfinden, was hier los war.

Ich stieg aus dem Auto und warf die Tür absichtlich so laut zu, wie ich konnte, doch weder Clara noch ihr seltsamer Begleiter schienen mich zu bemerken. Automatisch spannte sich meine Körpermuskulatur an. Doch als ich mich endlich in Bewegung setzte, fuhr dieser Bastard los. Clara bemerkte mich überhaupt nicht. Noch, bevor ich den Wagen erreichte, bog dieser Typ in eine Seitenstraße ab.

Ich stand mit vor Wut geballten Fäusten am Straßenrand und starrte dem Audi mit offenem Mund hinterher. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie genau der Typ aussah, mit dem ich sie in diesem Restaurant gesehen hatte. War er das gewesen? Traf sie sich bereits ein zweites oder sogar ein drittes Mal mit ihm? Mit ihrem vermeintlichen Cousin? Ich konnte nicht fassen, dass sie mich ein weiteres Mal hinterging!

Erst jetzt schaltete mein Gehirn sich wieder ein und ich lief eilig zu meinem Wagen zurück. Ich musste ihnen folgen! Ich musste herausfinden, was Clara hinter meinem Rücken mit mir abzog!

I KNEW SHE WAS TROUBLEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt