Die restlichen Stunden Unterricht zogen sich genauso zäh wie die vorherigen dahin. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schülern, stürme ich nicht wie ein Bekloppter nach Schulschluss aus dem Gebäude, sondern schlendere gemütlich, als einer der letzten aus dem Klassenzimmer. In Ruhe gehe steige ich in den zweiten Stock, um rauszufinden welches der Schließfächer mir zugeteilt wurde.
Den Schlüssel hat mir unser Klassenleiter Herr Ramm in der 5. Stunde mitgebracht. In dieser Stunde stellte mir Izzi meine restlichen Klassenkameraden vor. Also... Nummer 161...161, wo steckst du denn? Na endlich! Ein leuchtend gelbes, inmitten von 50 anderen knallig bunten. Wie lange ich wohl brauchen werde um mir den Platzt einigermaßen zu merken? Ich schließe auf. Natürlich leer.
Das Schulgebäude war so gut wie leer nur ein paar Schüler, welche die Ganztagschule besuchen müssen gammeln in der Aula herum. Die Armen, weil ihre Eltern wahrscheinlich noch arbeiten, müssen sie hier ihre eigentliche Freizeit verbringen. Gelassen mache ich mich auf den Weg zu den Bushaltestellen, diese sind bei Weitem nicht so überfüllt wie an meiner alten Schule. Was womöglich auch daran liegen könnte, dass die meisten Busse nicht mal eine Minute warten dürfen, damit sie überall pünktlich ab- und anfahren. Dort angekommen sehe ich auf den Schildern nach welche Nummer der Bus hat, welcher mich in mein neues Zuhause bringt. Ich überfliege die Namen der unterschiedlichen Haltestellen aber leider springt mir keiner davon ins Auge. Offensichtlich habe ich vergessen wie das Kaff von meinem Bruder heißt.
Frustriert ziehe ich mein Handy aus meiner Hosentasche und wähle die Nummer von Jack. Es klingelt... Einmal.... Zweimal... Dreimal... Mailbox, ich lege auf. Dann rufe ich meine Mama an, sie wird sicher ran gehen, zu groß ist ihre Sorge um mich, dass es irgendein Notfall sein könnte. Wie erwartet nimmt sie schon nach dem zweiten Mal piepen ab. >>Stegi? Was gibt's?<< >>Hallo Mama ... ähm ich wollte dich was fragen<< Aus dem Augenwinkel sehe ich Tim und Co. die Haltestelle betreten, sie stehen jetzt ein paar Meter entfernt von mir. >>Stegi, was ist los? Wieso rufst du mich an, ich habe leider nicht sehr viel Zeit.<< Stimmt, sie arbeitet diesen Monat Ganztags. >>Ähm hehe, es könnte sein, dass ich ernsthaft vergessen habe wie der Ort heißt, in den ich muss.<< erkläre ich ihr peinlich berührt, ich höre sie am anderen Ende auflachen und werde das Gefühl nicht los das Tim und die anderen mitgehört haben. >>Du musst nach Wiesberg.<< >>Perfekt, danke!<< bevor wir uns verabschieden, erinnert sie mich noch daran, dass ich heute einen Termin beim Psychologen habe.
Als ob ich das jemals vergessen hätte. Verdrängt? - Ja vielleicht, aber nicht vergessen. Nicht weil ich mich so darauf freue, aber ich bin mir durchaus im Klaren das ich immer noch darauf angewiesen bin. Einmal die Woche muss ich ihn besuchen und auch wenn ich häufig ungern hin gehe, einfach weil ich in der Zeit andere Dinge machen könnte, fühle ich mich danach gut. Ich bin in professionellen Händen, er hört mir zu, interessiert sich für mein Leben. Klar das ist sein Job und er wird dafür bezahlt, aber auch abgesehen von den therapeutischen Ratschlägen und der Traumata Behandlung - er freut sich mit mir über meine Erfolge und macht mir Mut wenn etwas nicht so klappt wie ich will. Es fühlt sich an als würde ich mit einem guten Freund reden - nur in erwachsen. Auch wenn ich seit ein paar Monaten Bedenken habe. >>Mama? Was wenn ich jemand den Platz weg nehme, vielleicht ist jemand anderes auf seine Hilfe als Psychologe viel stärker angewiesen als ich?<< >>Stegi, mein Schatz, mach dir da kein Kopf, ich bin mir sicher, falls Herr Neumann einen Aufnahmestopp haben sollte, er an sehr kompetente und liebevolle Kollegen weiter verweist.<< >>Hmm.. Wahrscheinlich hast du recht.<< Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie bei dem Schlagwort "Psychologe" der Gesichtsausdruck meiner neuen Mitschüler innerhalb einer Sekunde umschwingt. Eine Mischung aus Erschrockenheit und Besorgnis oder... Mitleid? Liegt in jedem einzelnen Gesicht. Das sie das an meinem ersten Tag erfahren war nicht geplant. Ich meine es war eigentlich gar nicht geplant dass sie es überhaupt jemals erfahren. Schnell drehe ich mich mit den Rücken weg von ihnen. Wir verabschieden uns mit einem "hab dich lieb", ich lege auf und gucke erneut auf den Fahrplan.
>>Wiesberg also..<< murmle ich so leise das es keiner hören kann. Och nee, noch eine halbe Stunde warten. Obwohl wir erst vor 15 Minuten aus hatten ist die Bushaltestelle mittlerweile so gut wie leer. Unmotiviert lasse ich mich auf den gepflasterten Boden sinken und ziehe mein Handy mitsamt Kopfhörer aus meiner Jackentasche. Dann krame ich meinen Block und einen Kugelschreiber aus meinem Rucksack. Mit dem Rücken lehne ich am Zaun des Sportplatz, ich habe meine Beine so halb an gezogen um sie als Unterlage zum Schreiben zu benutzen. In dieser Position starte ich eine Playlist mit harmonischen Melodien, ohne Gesang, ohne Schnick schnack. Damit kann ich am Besten meine Gedanken, Gefühle und prägende Erlebnisse der letzten Woche in Worte fassen.
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-Glücksbohnen- (Stexpert)
FanfictionStegi findet an seiner neuen Schule schnell die besten Freunde, die er sich nur vorstellen kann. Leider lässt ihm seine Vergangenheit keine Ruhe und er bangt darum seine neuen Freunde genau wie sein neues Leben zu verlieren. Auszug: PoV.: Tim >>Und...