Kapitel 23

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Pov.: Tim

>>Und was wenn es mir nur besser geht, wenn ich weiß das ich dir egal bin? Was dann Tim?<< diese Worte von ihm spuken mir immer noch im Kopf herum, schon längst habe ich ihn in den Arm genommen, um ihn irgendwie zu trösten. Was kann dem armen Jungen nur passiert sein, dass er sowas sagt. Stegi ist mir längst nicht mehr egal. Vielleicht würde ich uns, wenn ich  nüchtern wäre, noch nicht als enge Freunde betrachten, obwohl es mir so vorkommt als würde ich ihn schon ewig kennen. Wie kann man nur wollen das man jemanden egal ist. Wir kommen doch so gut miteinander aus... Ich verstehe ihn nicht.

Stegi ist einerseits sehr offen und ehrlich, mit den simpelsten Worten und Sätzen gibt er mir zu verstehen was er meint, wenn er mir etwas zu erklären oder schildern versucht. Seine Mimik und Gestik lassen keinen Zweifel zu, dass er immer die Wahrheit sagt und dass er genauso fühlt wie er manche Dinge betont. Und manchmal, ja manchmal da ist er ein Rätsel für sich, ich habe keine Ahnung was er mir sagen, oder nicht sagen will. Stegi ist ein offenes Buch, nur manche Seiten sind in einer Sprache geschrieben die ich nicht verstehe.

Langsam richtet  er sich auf, er versucht mit der linken Hand etwas aus der Hosentasche zu ziehen, was im Sitzen nicht ganz so einfach scheint. Endlich hat er gefunden wonach er gesucht hat, er zeigt mir seine geschlossene Hand und öffnet sie langsam. Eine kleine Perle liegt mittig auf seiner Handfläche. Am Dienstag nach der Schule habe ich bereits beobachtet wie er eine von der linken in seine rechten Hosentasche steckte. >>Möchtest du wissen warum ich die in letzter Zeit immer bei mir habe?<< ich sehe ihm gespannt in die von den Tränen noch glitzernden Augen und nicke leicht. Stegi hat wirklich schöne Augen, hier draußen in der Nacht wirken sie so dunkel wie die Nadeln eines Tannenbaums, wobei seine Iris auch tagsüber dunkler scheint als die der meisten Grünäugigen. Er hat nicht diese giftig grünen Augen die einen gefühlt durchbohren wenn man hinein sieht, sie wirken stattdessen eher vertraut, warmherzig und aufrichtig. Diese drei Adjektive beschreiben eigentlich sein ganzes Wesen.

Stegi wendet seinen Blick von mir ab und sieht stattdessen in den Vorgarten, welchen die 65 jährige Untermieterin mit Herz und Seele pflegt. Ein  gepflasterer Weg führt vom üppigen kleinen Gartentor am Gehweg direkt bis vor die Haustür, links und rechts von dem Weg und an der Hauswand sind verschiedene Blumen gepflanzt, welche wegen der Dunkelheit ihre Blüten geschlossen haben. Auf der rechten Seite des Gartens ist ein Baum, auf der linken Seite zwei. Soweit ich das erkennen kann sind es Obstbäume unter denen ein kleiner eiserner  Gartentisch mit drei dazu passenden Stühlen steht. Der niedrige holzgartenzaun ist auch von Blumen umgeben und auf der rechten Seite befindet sich ein großes Gemüsebeet.

Seitdem ich Stegi in meine Arme genommen habe, sind wir keinen Millimeter mehr voneinander gewichen, er legt seinen Kopf auf meine Schulter. Weil wir fast gleich groß sind ist das eine erstaunlich bequeme Position, für uns beide. Zuvor hatten sich nur völlig betrunkene Mädchen, welche ihr ganzes Leben total überdramatisieren an mich gelehnt und weil bisher alle viel kleiner als Stegi waren, wurde es immer ungemütlich. Mit Stegi ist das anderes, mit ihm könnte ich die ganze Nacht so sitzen bleiben. Unsere Körpermaße sind perfekt für das romantische aneinander kuscheln gemacht. Ja, ich habe gerade das Wort romantisch im Zusammenhang mit perfekt, kuscheln und Stegi verwendet. Leise fängt er an zu erzählen >>Also, du hast ja vielleicht schon mitbekommen dass ich Therapiestunden habe und Herr Neumann, also mein Therapeut, hat mir da so ne Geschichte erzählt. Von so Glücksbohnen...." und so erzählt mir Stegi die Geschichte. Sein Therapeut möchte jetzt, dass Stegi das auch mal versucht, nur eben mit Perlen statt mit Bohnen. Während Stegi redete ist er kein Zentimeter von meiner Seite gewichen, ich hab ja gesagt das ist bequem. >>Naja und Herr Neumann hat mir jetzt als "Hausaufgabe" gegeben das ich das mal ausprobieren soll, damit ich sehe über wie viele Dinge am Tag man sich freuen kann.<< Ist es noch zu früh um zu fragen warum er zu einem Therapeuten geht? Wahrscheinlich ja. Immerhin möchte ich ihn auch nicht drängen, wenn er sich bereit fühlt wird er sich vielleicht irgendwann mir anvertrauen. To be honest, ich habe jetzt schon Angst um ihn. Bedenkt man die Narben an seinen Unterarmen kann man wohl davon ausgehen das er depressiv war. Oder ist er es noch immer? Warum sonst sollte er noch immer zu Therapie müssen? Aber... >>Tim?<< >>Ja?<< seitdem er mit seiner Geschichte geendet hat, habe ich kein Wort mehr gesagt. >>Herr Neumann ist nicht nur mein Therapeut... Er ist mein Psychologe.<< Das dachte ich mir schon, Kleiner. >>Bitte denke nichts Falsches von mir... Ich bin kein Psychopath oder so.<< seine Stimme zittert, schnell senkt er seinen Kopf und starrt auf den Boden. Vorsichtig schiebe ich ihn von mir und drehe ihn an den Schulter zu mir, dass er mich ansehen muss. >>Stegi... Das würde ich niemals denken. Wirklich, ich will das du weißt, das ich es ernst meine.<< ich nehme seine kalten Hände in meine und drücke einmal kurz zu. >>Dass du in psychologischer Behandlung bist bedeutet nicht dass du ein Psychopath bist. Du bist in Behandlung um deinen Kopf und Geist gesund zu halten. Und das ist mutig! Sehr wenige Menschen gehen zu einem Psychologen, obwohl sie das eigentlich sollten und noch weniger geben es ehrlich zu. Aber man sollte sich dafür nicht schämen. Du solltest das nicht. Du bist stark. Du hast dich mir gerade anvertraut, ohne genau zu wissen wie ich darauf reagiere, das ist heftig. Du hast mir die Geschichte der Glücksbohnen erzählt und mich damit fasziniert dass du versucht daran zu arbeiten jeden Tag das positive im Leben zu sehen. Du bist kein Psychopath, das würde ich niemals glauben und ich hoffe du siehst das genauso. Es sollten sich mehr Leute ein Beispiel an dir nehmen. Ich weiß es wirklich zu schätzen dass du mir das anvertraut hast und ich werde es selbstverständlich niemanden weiter erzählen. Das verspreche ich dir.<< überwältigt von meinem Redeschwall sieht er mich mit großen Augen an. Die Sekunden verstreichen bis Stegi sich wieder gefangen hat, doch als das geschah umarmte er mich stürmisch und nuschelt in meine Halsbeuge. >>Danke Timmi, danke danke.... Du bist der Beste, so liebe Sachen hat mir noch nie jemand gesagt. Nie hat mich jemand mutig oder stark genannt. Danke Timmi. Dass du das von mir denkst macht mich unfassbar glücklich.<< beruhigend streiche ich ihm über den Rücken. Das wurde ihm noch nie gesagt? Ist das nicht auch die Aufgabe eines Psychologen? Einem Mut zu sprechen? Aufbauende Worte sagen? Egal ob Herr Neumann es ihm schon einmal gesagt hat, oder nicht. Stegi hat es definitiv zu selten gehört, sonst würde er anders reagieren. Stegi löst die Umarmung wieder und lächelt mich liebevoll an. >>Möchtest du meine positiven Momente von heute wissen?<< >>Liebend gerne.<< Stegi greift in seine rechte Hosentasche und leerte sie aus. Es liegen insgesamt 12 Perlen auf seiner Handfläche.

-Glücksbohnen- (Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt