Kapitel 15 - Glücksbohnen

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PoV.: Stegi

Als ich Zuhause ankomme, ist mein Bruder schon daheim, wir kochen zusammen und ich erzähle ihm von meinem heutigen Schultag, meinen bisherigen Blamagen und bringe uns beide damit zum Lachen. Danach regt sich Jack über seinen unmöglichen Chef auf, welcher ihm seinen Urlaub während der Faschingszeit einfach nicht genehmigen will auf. Um halb vier fährt er mich zu meinem Termin bei Herr Neumann, Gott sei dank hat er nicht nur in der Nähe meines ehemaligen Wohnortes, sondern auch in Enterringen, ein Ort nicht weit von Wiesberg entfernt, eine Praxis. Somit wurden nur die Wochentage meiner Sitzungen geändert und ich musste nicht zu einem neuen Therapeuten wechseln. Obwohl Enterringen etwa zwanzig Minuten von Wiesberg entfernt liegt und es auch in näherer Umgebung Praxen gibt zu denen ich gehen könnte, wollte ich um keinen Preis einen anderen Therapeuten. Mit Herr Neumann bin ich schon warm geworden, er weiß wie ich ticke, versteht meine manchmal schlecht gerechtfertigten Entscheidungen und hilft mir noch immer sehr.

Jetzt sitzt er vor mir und liest sich meinen Bericht der vergangen Woche durch, ich soll jeden Tag oder mindestens einmal die Woche ein paar Gedanken aufschreiben egal ob es positiv oder negativ war. Theoretisch soll ich jeden meiner Tagträume dokumentieren, praktisch ist das absolut nicht umsetzbar, deshalb haben wir uns darauf geeinigt das ich nur die aufschreiben soll, welche mich auch später noch beschäftigen. Ein Beispiel von heute: Als ich mich in Tims Augen verloren hatte war das ein sehr schönes Gefühl mir wurde warm und ich fühlte mich in seinen Armen sicher vor all den negativen Vorurteilen, ich hatte das Gefühl das jegliche Art der Beleidigung an mir abprallen würde. Ein Gegenteil: Im Bus als ich etwas aus meiner Vergangenheit erzählte, hatte ich das Gefühl wieder an Ort und Stelle zu sein, als ich den leblosen Körper meines Freundes in den Armen hielt und ich um ihn weinte, während um uns herum die Schüsse fielen. Bis mich Freddie aus meinem Tagtraum rettete. Diese Gefühle soll ich mit dem nötigen Zusammenhang (sodass Herr Neumann es versteht) plus Ort und Zeit notieren. Diese Art von Therapie mache ich jetzt seit 9 Monaten, jede Woche sammelt er meine Berichte ein, liest sie sich durch und heftet sie ab, wenn er etwas nicht versteht fragt er nach und macht sich Notizen auf einer Kopie. Die Originalen sowie die Kopien behält er.

Er nickt und legt meinen Bericht von heute beiseite. >>So Stegi, ich möchte mit dir etwas Neues ausprobieren. Kennst du die Geschichte der Glücksbohnen?<< ich verneinte. Dann fing er an zu erzählen: Es gab mal einen Bauer, er steckte sich jeden Morgen eine handvoll Bohnen in die linke Hosentasche. Und immer wenn er an diesem Tag etwas Schönes erlebte ließ er eine Bohne in seine rechte Tasche wandern. Am Anfang waren es meist nur wenige, aber mit der Zeit merkte er das er nicht eine Gehaltserhöhung braucht um dieses Gefühl des „glücklich seins" zu bekommen. Er freute sich wenn ihm die Kassiererin einen schönen Tag wünschte oder ein nettes Gespräch mit den Nachbarn geführt hatte. Jedes Mal ließ er eine der Bohnen wandern, am Abend leerte er seine rechte Hosentasche aus und erinnerte sich bei jeder Bohne an die schönen Momente des Tages zurück.<< Ich nickte bedacht, es war so eine typische Geschichte bei der die Pointe dem Zuhörer bei bringen soll, die schönen Momente schätzen zu lernen. >>Stegi ich möchte das du das auch einmal versuchst<<  >> Ich soll jetzt jeden Tag mit Bohnen in den Hosentaschen durch die Gegend laufen?<< frage ich nur wenig begeistert, als ob ich mich am Abend an alle Momente noch erinnern könnte. Ich bin oft gut gelaunt, aber das merk ich mir doch nicht. >>Es müssen keinen Bohnen sein.<< Er öffnet eine Schublade seines Schreibtisches und holt eine kleine Schachtel heraus und stellt sie vor mir hin. Er nickt mir zu und ich öffne sie. >>Bitte lass es uns eine Woche versuchen. Du sammelst die aus deiner rechten Hosentasche in einer Tüte und zeigst mir diese Tüte dann nächste Woche. In Ordnung?<< Ich begutachte die kleinen weißen Plastik Perlen, es sind diese klassischen Perlen die eigentlich an einer Schnur als Kette getragen werden, sogar die dafür vorgesehenen Löcher kann man beim genauen hinsehen erkennen. Danach frägt er mich noch die üblichen Fragen, auf welche ich (mittlerweile) selbstverständlich ehrlich antworte.

Zuhause angekommen merke ich dass ich in nicht nur in der Klassengruppe hinzugefügt wurde, sondern auch dass Izzi mir geschrieben hatte. Wir werden morgen in Sport zum schwimmen in das Hallenbad neben der Schule gehen. Toll, jetzt kann ich mich nicht einmal vor dem Schwimmen drücken, indem sagen würde ich hätte nichts davon gewusst. Dann werden sie wohl oder übel schon morgen meine Narben zu Gesicht bekommen. Wobei ich sowieso nicht vorhatte ein großes Geheimnis aus den weißen feinen Linien auf meinen Unterarmen zu machen. Spätestens im Sommer bei kurzer Kleidung wären sie aufgefallen.

-Glücksbohnen- (Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt