Der Brief

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Am nächsten Morgen, sehe ich nur mit angewidertem Gesicht in den Spiegel. Meine Augen sind verschwollen und ich habe dunkle Augenringe. Blass bin ich dazu und man kann sagen, dass ich furchtbar aussehe. Fluchend mache ich mich dran, wenigstens meine Schönheit ein bisschen zu retten, bin aber am ende total unzufrieden. Besser geht's halt nicht. Viel zu spät, verlasse ich mein völlig zerstörtes Zimmer und rausche, ohne nach links und rechts zu schauen, direkt in meine Klasse. Frau Rudolf schaut überrascht auf, doch ich ignoriere ihren besorgten Blick, als ich Paddy entdecke. Er sitzt am gleichen Platz, neben mir, wieder die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und hat den Kopf gesenkt. Ekel steigt in mir auf, trotzdem lasse ich mich neben ihm fallen, rücke aber ganz an den Rand. Ich beginne wieder zu zeichnen, aber diesmal ist es ein neues Motiv. Ein Herz, dass in der Mitte nur noch durch Fäden zusammengehalten wird und überall Blutet. So sieht mein Herz auch aus, denke ich und schon brennen meine Augen. Ich werde nicht heulen! Ich bin keine Memme, wie der da neben mir! Da spüre ich plötzlich Paddy's Hand an meinem Oberschenkel und zische leise:"Pfoten weg, Memme! "Doch er läßt sich nicht beirren und plötzlich habe ich einen Zettel in der Hand. Er zieht seine Hand vorsichtig zurück und ich kann nicht verhindern, dass mir eine Gänsehaut über den Rücken kriecht. Ich höre auf zu zeichnen und lese, was er geschrieben hat. Da steht in einer unregelmäßigen, zittrigen Schrift:

Liebe Ruby

Ich habe nicht genau verstanden, warum du gestern so ausgetickt bist, nur so viel konnte ich verstehen. Wenn du wieder einmal verzweifelt warst und nicht weiter wusstest, hast du meine Musik gehört, oder dir Bilder angeschaut von mir und daran gedacht, wie gut ich den Tod meiner Mama und den Schlaganfall von Mapa überstanden habe. Das hat dir Mut gemacht und du konntest wieder Hoffnung schöpfen. Ich sage nur so vor viel: Vielleicht sollte ich doch lieber Schauspieler werden, anstatt Sänger. Den Tod meiner Mutter habe ich als kleines Kind gar nicht so richtig verstanden, nur dass ich sie jetzt nicht mehr sehen kann, aber sie trotzdem da ist und auf mich aufpasst. Aber den Schlaganfall von Mapa hat mich und meine ganze Familie fertig gemacht. Und wenn wir lächeln, ist es manchmal, aber eher selten richtig. Wir lächeln für dich, für die Fans, aber nach dem Foto Termin weinen wir oft, weil wir keine Kraft mehr haben, weil wir denken, dass es aussichtslos ist. Und unsere Hilflosigkeit hat das Jugendamt brutal ausgenutzt und mich von meinem Vater, der jetzt Hilfe und Unterstützung braucht, getrennt. Vielleicht verstehst du jetzt, warum ich so getobt habe. Nicht, weil ich es gewohnt war, von meiner Familie betüdelt zu werden, sondern, weil ich meinem Vater hier nicht helfen kann.

Bitte rede wieder mit mir. Du bist eigentlich nett und die einzige, die mich Ansatzweise verstehen kann. Ich brauche jemanden wie dich.

Paddy (Michael)

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich angefangen habe, zu weinen, aber da hebt Paddy die Hand und fängt eine meiner Tränen auf. Auch er weint, das sehe ich zwar nicht, aber ich spüre es. Ohne auf die anderen zu achten, werfe ich mich gegen seine Brust und schlinge die Arme um seinen schmalen Körper. Auch er umarmt mich und drückt mich ganz fest an sich, während er flüstert:"Danke. " Dann löst er sich etwas von mir und zieht sich, vor allen Schülern, die Kapuze herunter. Als ich seine Tränen sehe, lächle ich und flüstere:"Es tut mir so leid. Du warst für mich immer der starke und jetzt bist du genauso schwach wie ich. " Da höre ich spitze Schreie und Keuchende Laute und wir drehen uns um. Alle Schüler starren uns an und ich antworte schulternzuckend:"Noch nie Paddy Kelly gesehen? "

Das Internat Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt