Ein schöner Tag

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Am nächsten Morgen könnte ich laut los heulen, als ich keinen Paddy neben mir bemerke. Sofort verspüre ich eine riesige Sehnsucht nach seiner Wärme. Fast springe ich mit beiden Beinen gleichzeitig aus dem Bett und Sprinte barfuß zu Paddy rüber.

"Hallo, Schlafmütze. Aufwachen. ", flüstere ich und zwinge mich, ihn nicht wach zu küssen. Stattdessen schnippe ich ihm gegen die Stirn. Ein Brummen ertönt, dann öffnet sich blinzelnd ein Auge. Ich kichere und ein lächeln erscheint auf seinem müden Gesicht. "Morgen. ", nuschelt er und setzt sich dann gähnend auf, während ich mir schon ein paar neue Kleider aussuche. "Hahahahaha! Was ist das denn? ", kreische ich dann lachend und halte einen Schottenrock hoch. Paddy lacht ebenfalls los, antwortet aber ganz ernst:"Das ist mein Schottenrock. Ja, auch Jungs tragen Röcke. Das ist in Schottland Tradition. " Bei der Vorstellung lache ich noch mehr. Dann frage ich, ob ich den anziehen darf. Er nickt und zusammen mit einem bauchfreien Top von mir ziehe ich mich schnell um. Er nickt begeistert, als ich wieder aus dem Bad trete, aber als ich in mein Zimmer gehen will, um mich zu schminken springt er auf und hält meine Hände fest. "Nein. Nein, bitte nicht. Ungeschminkt siehst du noch viel schöner aus. Natürlichkeit ist tausend mal besser als Schminkfresse. " Ich lache unsicher, aber das liegt nicht nur an dem Kompliment. Ich schaue auf unsere Hände, und anstatt sie von meinen zu lösen, verschränkt er sie ineinander. Oh gott Herz Bitte! Ich hebe den Kopf, der glüht und fixiere Paddy's Augen. "Schau mich bitte nicht so an! ", flucht er da leise und lässt mich los, dreht sich weg und beginnt sich umzuziehen. Was war das denn jetzt? Ich schaue auf seinen nackten Rücken ohne zu verstehen. Er merkt es und dreht sich wieder zu mir um. Jetzt ist auf seinem Gesicht ein verlegenes lächeln und er murmelt:"Tut mir leid. Ich möchte hier nur schnell raus. " Ich bejahe sofort. Als wieder angezogen ist, gehen wir runter zum frühstücken. Die Mädchen rufen uns ein Hallo zu, wir winken zurück. Von Virginia ist nichts zu sehen, worüber ich echt froh bin. Ich helfe Paddy mit den Krücken und er meckert über den störenden Gips. Das Frühstück vergeht ruhig und danach überlegen wir, ob wir zum Unterricht gehen sollen. Aber Frau Rudolf, die gerade die Treppe hinunter kommt, nimmt uns die Frage ab. "Nix da! Ihr geht in den Unterricht! Wehe, wenn ich euch nicht sehe! " Wir nicken ergeben und holen unsere Schultaschen. Wir betreten die Klasse als erste und setzen uns auf unsere Plätze. "Das ist das erste mal, dass ich hier als allererstes bin. ", staune ich und Paddy lacht. Langsam füllt sich die Klasse, jedes Mädchen sagt Paddy zittrig Hallo und er lächelt jedes freundlich an.

"Ruby, fühlst du dich heute bereit, dem Matheunterricht beizuwohnen?" Ich schaue Herrn Schwarz breit lächelnd an und nicke. Er strahlt freudig und fragt:"Okay, was ist die 11 mal 11? In Wurzel Bitte. " Ich grinse noch breiter und antworte:"Da muss ich echt überlegen. 11 mal 11... ich glaube das ist Wurzel121. " Herr Schwarz dreht sich zufrieden weg und stellt den anderen aus der Klasse fragen. Paddy boxt mir sanft gegen das Bein und ich richte meinen Blick auf ihn. Ein breites grinsen leuchtet mir entgegen und er fragt:"Was soll das? Bist du jetzt ein Mathegenie oder was? Das mag ich aber gar nicht!" Ich grinse ebenfalls und tätschel ihm beruhigend den Oberschenkel, während ich flöte:"Nix Mathegenie! Ich bin einfach schlau. " Anscheinend muss die Klasse unser Gespräch belauscht haben oder wir haben einfach zu laut gesprochen, denn alle beginnen herzhaft zu lachen. Empört stemme ich die Hände in die Hüfte, protestiere aber ebenfalls lachend:"Hallo? Ist doch so! Ich bin schlau! " Auf meine Antwort wird noch mehr gekichert und gespielt beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust, ziehe einen Schmollmund und rutsche tiefer in den Stuhl. "So eine Frechheit! ", gebe ich noch von mir, was die Klasse vollendends aus dem Konzept bringt. Selbst Herr Schwarz lacht Tränen und auch ich kann meine Fassade nicht lange halten und breche dann auch in Gelächter aus. Paddy wischt sich neben mir immer wieder die Tränen von den Wangen, aber der Lachanfall hat ihn immer noch im Griff. Es dauert mehr als zehn Minuten, bis sich die Kinder wieder beruhigt haben und der Unterricht wird fortgeführt.

Hier mal kurz Paddy's Sicht:

Als ich mich endlich wieder im Griff habe und der Lehrer wieder uns mit Formeln zu textet, beobachte ich Ruby von der Seite und eine Sache fällt mir auf. Wie war das, als ich am Fenster stand und sie angezischt kam? Und als ich in die Klasse kam und mich neben sie setzen musste? Sie war immer nur in Schwarz angezogen und hat ein böses Gesicht gemacht. Hat mit niemandem geredet, nur ihre Zeichnungen gemacht und mit den Lehrern gestritten. Und wie ist das jetzt? Sie trägt bunte Sachen, zwar von mir, aber egal. Sie lacht, sie macht im Unterricht einigermaßen mit und redet mit den Kindern hier. Aber ich merke immer ein paar Züge an ihr, dass doch etwas nicht ganz mit ihr stimmt. Es sind Sekunden, wo ein Schatten über ihr Gesicht huscht. Irgendwann werde ich sie mal darauf ansprechen. Aber nicht heute, wo sie so gut drauf ist.

Mein Blick geht zu ihrem, beziehungsweise meinem Rock. Nie hätte ich gedacht, dass ein Schottenrock so sexy aussehen kann. Ihr Körper ist komplett perfekt. Kein Gramm zu viel. Ihre Haare sind ebenfalls Hüftlang und wenn man sie von hinten sieht, könnte es auch ich sein, meint Johnny. Habe ich so perfekte Beine? Für ein paar Fans bestimmt. Aber in Wirklichkeit bestimmt nicht. Klar, ich finde mich selber jetzt nicht unbedingt hässlich, aber so wie Ruby, die Stunden vor dem Spiegel verbringen könnte und ihr Spiegelbild anhimmeln könnte, bin ich auf keinen Fall. Ich achte zwar auf meine Haut und Haare, aber es gibt Dinge, die sind mir einfach dreimal so wichtig. Nämlich die Musik. Hoffentlich kriegt Herr de Limo das bald geregelt und ich darf wieder hier raus und zu meinem Vater. Der braucht mich doch! 
"...dass sein? " Ich reiße erschrocken die Augen auf und habe Herr Schwarz vor mir, der sich verzweifelt die Haare rauft. Im Hintergrund erklingen die ersten Lacher, während Ruby mich eher mitleidig ansieht. Ich ziehe die Mundwinkel unsicher nach oben. Mit einem genervten Stöhnen dreht sich der Lehrer weg und dann klingelt es auch endlich zum Unterrichts Ende.

"Was war denn los? ", fragt mich Ruby neugierig, als wir draußen stehen. Oh Gott, wenn ich ihr das erzähle, kann ich ihr nie wieder in die Augen sehen! Mir schießt das Blut in Wangen und Ohren, deswegen winke ich einfach nur ab und versuche das Thema zu wechseln. "Thomas hat vorhin etwas von einer Bibliothek geredet. Gibt es hier echt eine? " Ruby zuckt gelangweilt die Schultern und antwortet:"Ja klar, aber ich war noch nie da. " "Können wir da hin? ", frage ich und mache Hundeaugen. Wieder zuckt sie die Schultern und ich ziehe sie hinter mir her, die Treppe hoch und wir fragen, wo die Bücherei ist. Frau Rudolf schaut mehr als überrascht und stellt als Gegenfrage:"Was wollt ihr da? Vor allem, was willst du da Ruby? "
"Ich will da ja auch nicht hin, aber Paddy bettelt und ja...", erwidert sie lustlos und lachend erklärt sie uns, wo sie ist.

"Warst du schon mal hier? ", frage ich, als wir die nächste Treppe in Anspruch nehmen. Etwas verlegen schüttelt Ruby den hübschen Kopf und erklärt mir, dass sie bevor ich gekommen war, außer zum Frühstückssaal noch in keinem öffentlichen Raum war. "Es gibt hier übrigens auch ein Musikzimmer. "
Ich bleibe auf dem Flur stocksteif stehen und frage dann mit plötzlich zitternden Händen:"Wo! Ich will da jetzt sofort hin! " Sie zuckt vor meiner etwas groben Stimme zusammen und erklärt, dass man da vorher fragen muss und die Musiklehrerin heute nicht im Haus ist. Frustriert balle ich die Hände zu Fäusten. Fuck man! Ich habe gestern Nacht ein neues Lied geschrieben und würde es so gerne mal spielen. Aber ich nehme mir vor, morgen unbedingt zu fragen und so erreichen wir die besagte Bibliothek.

"Wow! ", entfleucht es Ruby und mit offenen Mund sieht sie sich um. Und nicht nur sie! Natürlich sind hier nicht so viele Bücher, wie in der Bibliothek von Irland, aber das hier ist auch schon ganz ordentlich! Andächtig laufe ich an einer Bücherreihe lang und lese die Namen der Bücher. Bei Harry Potter bleibe ich stehen und nehme den ersten teil in die Hand. "Willst du den Schinken lesen? ", fragt mich Ruby mit hochgezogener Augenbraue und sieht alles andere als begeistert aus.

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