Gitarrennacht

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Am Abend ist endlich alles wieder in Ordnung. Virginia wurde noch am selben Tag rausgeschmissen, Paddy hat unter saftigen Flüchen alles noch einmal neu aufgeschrieben und ich habe auf seinem Bett gelegen und mit meinen Sorgen gekämpft.
Jetzt liegen wir beide eng aneinander gekuschelt im Bett und unterhalten uns leise. "Ich glaube, ich werde dich sehr vermissen, kleine Rebellin. ", sagt Paddy leise und freudig klopft mein Herz. "Ich dich auch. Ich dich auch. ", antworte ich und merke, wie mich die Müdigkeit überrollt. Ich spüre nur noch, wie Paddy mir einen Kuss auf die Stirn gibt und dann tauche ins Land der Träume.

In der Nacht wache ich auf, weil ich mich irgendwie alleine fühle. Schlaftrunken taste ich über das Bett und stelle fest, dass Paddy tatsächlich nicht neben mir liegt. Ich lausche, aber es ist alles ruhig. "Paddy? ", flüstere ich. Keine Antwort. Also setze ich mich auf und mache das Licht an. Wo kann er denn sein? Barfuß tapse ich zur Tür und öffne diese. Außer vereinzelten Schnarchern ist alles ruhig. Also husche ich den Gang entlang, die Treppe hoch, als ich leises Gitarren Klimpern höre. Ein Lächeln huscht mir übers Gesicht. Das hätte ich mir ja gleich denken können! Also Folge ich der Melodie und sehe, dass unter der einen Tür Licht durchscheint. Ich drücke langsam die Klinke hinunter und die Tür öffnet sich lautlos. Da sitzt Paddy, den Rücken zu mir, tief über die Gitarre gebeugt und spielt hochkonzentriert eine wunderschöne Melodie. Ich schließe schnell die Tür hinter mir und stelle mich hinter ihn. Dann beobachte ich, wie er immer wieder stoppt und noch einmal von vorne anfängt. Seine Finger scheinen nur so über die Saiten zu fliegen und begeistert wiege ich mich im Takt mit. Als er endet, kann ich nicht anders und schlinge die Arme um ihn. Er fährt erschrocken zusammen, erkennt mich aber und lacht leise. "Was machst du hier? "
"Ich bin aufgewacht und habe gemerkt, dass du nicht mehr bei mir bist. Da wollte ich dich finden. ", antworte ich und lehne mich an seinen Rücken. Dann aber gehe ich einmal um ihn herum und nehme auf dem kleinen Schlagzeug Hocker Platz. Paddy's Haare sind offen und völlig zerzaust, seine Augen strahlen und überhaupt sieht er mehr denn je umwerfend aus. Ich muss ihn wohl ziemlich dumm angestarrt haben, denn er zwinkert mir zu und fragt leise:"Was fasziniert dich gerade so an mir? "
Sofort wende ich den Blick ab und werde feuerrot. Auch er wird verlegen und wendet sich wieder seinen Noten zu. "Ich brauche, da noch eine Zeile...vielleicht nach der ersten Strophe. ", murmelt er vor sich hin und neugierig sehe ich ihn an. "Das Lied heißt 'Key to my heart'. Und ich bin nicht zufrieden damit. ", erklärt er mir und ich greife nach den Zetteln, ohne zu wissen was ich machen wollte. Ich las mir die erste Zeile durch, seufzte und gab sie ihm zurück. "Du weißt ja, Englisch ist nicht mein Fach. " Er grinst und murmelt irgendwas von:"Vielleicht auch ganz gut! " Verwirrt denke ich darüber nach, aber langsam kommt meine Müdigkeit wieder. "Paddy, lass uns ins Bett gehen. Ich bin furchtbar müde und du musst auch schlafen. Außerdem", ich versuche meine aufsteigende Röte zu verbergen:"will ich bei dir einschlafen..." Paddy seufzt, nickt aber. Vorsichtig legt er die Gitarre zurück an ihren Platz und steht auf. An seiner Grimasse erkenne ich, dass sein Fuß immer noch schmerzt und hebe tadelnd die Augenbrauen.

Nach einer Viertelstunde sind wir zurück in 'unserem' Zimmer und zufrieden kuschel ich mich an den Kerl, den ich so in mein Herz geschlossen habe. Nie hätte ich gedacht, hier Freunde zu finden. Entweder kamen Emos oder Streber hierher. Paddy oder eher Michael hat mich von Anfang an irgendwie beschäftigt und ich dankbar dafür. Sonst würde ich wahrscheinlich immer noch in meinen schwarzen Pullis herumhängen und meine Zeichnungen machen. Apropos!
Ich drehe mich zu ihm zu, sodass ich fast mit der Nase an seine stoße und Blicke in zwei wache Augen. Sofort werde ich nervös. Was macht der unverschämt gut aussehende, wahnsinnig gut riechende Typ nur mit mir! Aber ich hole zittrig Luft und frage flüsternd:"Du wolltest doch mal wissen, warum ich hier bin, ne?" Paddy nickt überrascht und setzt sich halb hin, zieht mich an sich und fragt leise:"Möchtest du mir das wirklich erzählen? Du musst nicht! " Doch ich nicke entschlossen und hole tief Luft.

Ich erzähle, dass meine Kindheit schon immer von Alkohol und Drogen geprägt war, aber es war immer in Maßen gewesen. Meine Mutter hatte sogar einen Entzug gemacht, aber als ihr Vater gestorben war, begann sie wieder sich zu betäuben. Mama's Vater war der einzige Mensch, auf den sie gehört hatte und als er überraschend verstarb, war ihre einzige Stütze weg. Mein Vater fand das nicht weiter schlimm, da er eh immer besoffen war. Aber als meine Mutter einmal vor mir zu fixen begann, bin ich das erste mal abgehauen. Das War vor fünf Jahren. Da War ich 10 und wusste nicht, wie ich da draußen klar kommen sollte. In dem Jahr bin ich fast wöchentlich abgehauen, immer mit der Angst, wenn ich wiederkomme, steht der Krankenwagen vor dem Haus. Geschlagen haben mich meine Eltern nie. Im Gegenteil, sie verhätschelten mich nach allen Regeln der Kunst. Wir waren reich gewesen und ich hatte tausende Freunde. Aber das Geld wurde weniger und ich schämte mich vor meinen Freunden. Es wurden immer weniger, bis ich ganz alleine war. Meine Eltern dröhnten sich immer weiter zu und irgendwann zog ich die Reißleine, indem ich zum Jugendamt ging und bettelte, da weg zu kommen. Erst glaubten sie mir nicht, doch dann kamen zwei Leute mit, sahen das Ausmaß und zwei Wochen später hockte ich im Auto und fuhr hierher. Meine Eltern waren nicht sauer, im Gegenteil, sie waren froh, dass ich jetzt eine besseres Leben habe und haben mir geschworen, dass sie mich besuchen kommen würden. Beide starben nach zwei Jahren an einer Überdosis.

Paddy hatte mir still zugehört und jetzt legte er beide Arme um mich, da meine Tränen wieder zu laufen begannen. "Ich habe meine Eltern trotz ihrer Fehler geliebt! ", flüstere ich und kuschele mich enger an ihn. "Verstehst du jetzt, dass ich mit niemandem etwas zu tun haben wollte? Ich hatte so eine Angst, wieder enttäuscht zu werden und außerdem fühlte ich mich über dem ihrem Niveau hier. Hier kommen nur Streber oder Depressive hin und ich bin beides nicht! " Meine Stimme wird etwas lauter, da mich das immer noch ärgert. "Und dann kamst du. Bist einfach in mein Leben geschneit, ohne mich zu fragen. Und jetzt hast du auch noch meine Tür zu meinem Herzen aufgebrochen, auch ohne mich zu fragen! Du bist ein ganz schlimmer!", schimpfe ich lächelnd und Paddy grinst schelmisch.

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