Alaneo störte Yara nicht. Nachdem sie die zu rettenden Kleidungsstücke gereinigt und bestmöglich über dem erkalteten Kamin aufgehangen hatte, begab sie sich nach unten. Es war bereits später Vormittag und im Gastraum hatten sich wieder einige Menschen zum Mittagessen zusammengefunden. Niemand schenkte ihr Beachtung, als sie wieder in die Küche schlich. Vielleicht ließen sich ja aus Aryas ein paar Informationen entlocken.
Allerdings hielten sich nur die Köchen und ihr Lehrling dort auf. Zögernd verschwand sie wieder, in Gedanken an ihr weiteres Vorgehen. Sie hatte fest damit gerechnet, den attraktiven Kellner ausquetschen zu können.
Letztendlich fand sie Lunos in einem Gemeinschaftsraum mit einem Haufen Gleichaltriger. Erst hatte sie noch Hoffnung, dort seinen größeren Bruder zu treffen, ergriff aber dann doch lieber schnell die Flucht. Mit Kindern war sie noch nie richtig warm geworden.
Auf dem Flur lief sie fast Aryas in die Arme. Stolpernd zog sie sich zurück, lächelte aber. Nicht dass bei ihm auch noch ihre Gabe ihre volle Wirkung entfaltete.
"Hast du gerade zu tun?", kam Yara direkt auf den Punkt. Auf seinem Gesicht breitete sich verdutztes Lächeln aus.
"Zufälligerweise hast du Glück. Im Moment hab ich frei." Übertrieben selbstsicher hakte Yara sich bei ihm unter. "Wir können in mein Zimmer gehen", schlug Aryas unschuldig vor. Er wusste ja nicht, dass er ihr damit einen weiteren Anreiz gegeben hatte, nachzuhaken. Lächelnd stimmte sie ihm zu, wissend, dass Lunos sie durch einen Türspalt genau beobachtete. Sollte er es doch Alan petzen, sie tat nichts Verbotenes.
Aryas' Zimmer unterschied sich nicht von dem, das sie mit ihrem Reisegefährten bewohnte. Bis auf dass es im Keller lag und er sich mit den anderen Angestellten ein Bad teilen musste. Yara hätte nicht gedacht, dass hinter dem Gasthaus mit dem fremden Namen so ein System an Bediensteten stand.
"Ich suche mir nur für den Winter in der Stadt einen festen Wohnsitz. Den Rest des Jahres reise ich durchs ganze Land." Sein Tonfall duldete keine Nachfrage. Verwundert betrachtete sie ihn. Sein Grinsen wirkte verschlagen, seitdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, mit einem völlig Fremden zu gehen? Ihr Unterbewusstsein hielt mit dem Argument dagegen, dass sie Alan auch wie ein Schoßhund ins Ungewisse gefolgt war. Aber ihr Bauchgefühl riet ihr zu Abstand von Aryas.
"Kennst du Alan?" Sie begann vorsichtig, seine Grenzen auszutesten. Immer die Tür als Fluchtmöglichkeit im Blick. Es war seltsam für sie, wie sich eine Person innerhalb so weniger Minuten wandeln konnte.
"So vertraut seid ihr also schon?", entgegnete er zynisch. Erst als er es aussprach, fiel ihr auf, dass sie Alaneo bereits mit einer viel zu vertraut wirkenden Abkürzung genannt hatte. Kopfschüttelnd wich sie zurück, was ihn nur noch mehr anzustacheln schien.
"Das ist seine Masche, weißt du? Leichten Mädchen große Versprechen machen und sobald sie sich auf ihn einlassen, lässt er sie fallen wie eine heiße Kartoffel. Und ich hab gedacht, du wärst anders. Dabei willst du nur über mich an ihn herankommen." Entrüstet über seine Beleidigung und seine Schuldzuweisung baute sie sich vor ihm auf. Er überragte sie nur um wenige Zentimeter.
"Ich versuche schon lange, die Mädchen vor ihm zu retten, aber nie hört mir jemand zu. Er hat das gleiche meiner Schwester angetan. Du erinnerst mich an sie, Yara." Mit verzogenen Mundwinkeln griff er nach ihren Händen, ein unterschwelliges Funkeln in den Augen. Dann geschah es.
Erst war es, als stieße sie vor eine Wand. Dann gab diese mentale Mauer unter ihrer unkontrollierten Kraft nach.
Sie sah einen kleinen blonden Jungen, der sie an Lunos erinnerte. Genauso arrogant. Allerdings war der Junge das ältere Geschwisterteil. Er trug eine kleine Gestalt, halb so alt wie er selbst. Ein dunkelhaariger Junge lief ihnen verloren hinterher. Stockend erkannte sie die grauen Augen. Das Mädchen in Aryas' Armen rührte sich nicht, und Yara wurde eng ums Herz wurde.
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Nashra - Kristall Chroniken I
FantasyYara lebt auf der Straße, in einer Zeit, in der jede Art von Magie verachtet wird. Sie ist auf der Flucht vor sich selbst und ihrer Vergangenheit, als sie auf Alaneo und seinen kleinen Bruder trifft, die so gar nicht in diese schmutzige Seite der Ge...