9. Kapitel

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"Wir müssen uns gegenseitig warm halten", sprach Alaneo das aus, was Yara befürchtet hatte. Lunos band Decken vom Sattel des Pferdes und verteilte sie. Dann kuschelte er sich eingemummelt an die Flanke der Stute, Bryan legte sich wortlos an seine Seite. Diese Szene erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit dem Jungen. Yaras Haut kribbelte, als ihr bewusst wurde, was diese klare Seitenaufteilung bedeutete. Alaneo legte vorsichtig einen Arm um ihre Schultern. Zitternd drückte sie sich an ihn. Das mit dem Abstand halten war eindeutig nicht auszuhalten.

Als er sich von ihr löste, lag eine Decke um ihre Schultern. Nacheinander setzten sie sich. Alaneo hob einladend seine Decke an, doch das war ihr für den Anfang zu viel. Mit dem Rücken zu ihm lehnte sie sich an das Pferd.

"Wie heißt sie?", fragte Yara mit klappernden Zähnen. Um den Schlaf der anderen zuliebe, bemühte sie sich, die Kälte auszublenden.

"Palladia. In einer der alten Sprachen bedeutet es 'einziges Glück'." Sie hörte das leichte Lächeln seiner Stimme.

"Ist sie wirklich euer einziges Glück? Du hast doch deinen Bruder." Trotz der Kälte sehnte sich ihr Körper nach Erholung. Halb im Schlaf bemerkte sie, wie es plötzlich wärmer und bequemer wurde. Alaneos Stimme glitt wie ein Windhauch über sie.

"Teilst du dein Glück, verdoppelt es sich."

Rasende Kopfschmerzen und schreckliche Bilder weckten Yara. Keuchend versuchte sie Ordung in ihre Gedanken zu bringen. Es fühlte sich an, als fließe Feuer durch ihre Adern, während ihre Gabe erwachte.

Eine jüngere Version Alaneos kniete neben einer zusammengesunkenen Gestalt. Das Mädchen kam Yara bekannt vor, doch sie konnte nicht sagen woher. Leise trat sie näher, obwohl sie wusste, dass die Kinder sie in der Erinnerung nicht hören konnten.

Tränen rannen über die Wangen des Kindes, das so gar nichts mit dem Erwachsenen Mann von heute gemeinsam hatte. Immer wieder entschuldigte er sich flüsternd. Ein weiterer Junge tauchte wutentbrannt auf und plötzlich wusste Yara wieder, wie es weiterging. Sie hatte das Folgende bereits aus Aryas' Sicht erlebt.

Mühselig kämpfte sie ihren Geist zurück in ihren eigene Körper. Diese Vergangenheit ging sie nichts an.

Ihr Herz polterte gegen ihre Rippen. Alaneo hinter ihr schien nicht bemerkt zu haben, dass sie ungewollt in seiner Vergangenheit geschnüffelt hatte. Anhand seines unregelmäßigen Atems in ihrem Nacken spürte sie, dass er nicht mehr schlief. Yara kam nicht hinterher.

Der Wächter, Aryas, die Höhle. Bei allen spürte sie jetzt die magische Aura, die sie vorher unbewusst verdrängt hatte. Wenn sie genau nachspürt, pulsierte sogar die Präsenz hinter ihr vor Magie.

"Was bist du?" Alaneo verspannte sich.

"Dasselbe, was du jetzt bist." Danach sprachen die nicht mehr miteinander.

Drei lange Tage vergingen in Schweigen. Selbst Lunos und Bryan wagten nicht, die angespannte Atmosphäre zu durchbrechen. In der Nacht fror Yara erbärmlich, aber ihr Stolz war noch nicht gebrochen. Was dachte sich Alaneo dabei? Dann hatten sie sich gerade wieder gut verstanden und schon machte er mit einem Satz alles zunichte.

Zusätzlich konnte sie ihm nach ihrem Sprung nicht mehr in die Augen, weil sie sich zu sehr schämte, sein Vertrauen derart missbraucht zu haben.

In der Nacht schlief sie wieder abseits, so wie zu Beginn ihrer Reise. Die Kälte machte ihr kaum etwas aus, allerdings bemerkte sie kurz vor dem Einschlafen immer Alaneos forschenden Blick zu ihr. Dann versank alles in umfassender Schwärze, die nach dem Erwachen nur langsam schwand. Yara konnte diese seltsame Tatsache nicht länger ignorieren und beschloss, nach dem Erreichen ihres Ziels all ihren Mut zusammenzunehmen und mit Alaneo darüber zu reden.

Nashra - Kristall Chroniken IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt