Der wilde Ritt endete erst, als sie ein Haupttor passierten. Erneut wurde Yara als Alaneos Bedienstete vorgestellt, wohingegen er und Lunos einwandfreie Papiere vorzuweisen hatten. Glücklicherweise hielt sie diesmal kein magiebesessener Wachmann auf. Ohne ein einziges Mal abzusteigen, trieb er sein Pferd wieder zu einem lockeren Trab an.
So ritten sie fast die halbe Nacht, bis in den Morgengrauen. Nur unterbrochen von einzelnen Schrittphasen, um den Pferden eine Verschnaufpause zu gönnen, die mit ihrem dichten Winterfell stark schwitzten.
Auch wenn Yara reiten konnte, tat ihr nach einem so langen Weg der Hintern weh, und dann auch noch ohne Sattel. Ihr Weg erstreckte sich über gefrorene Feldwege und weite Wiesen, bis diese allmählich Büschen und Bäumen wichen. Eine kleine Hütte tauchte im fahlen Morgenlicht vor ihnen auf.
In einem eingezäunten Bereich grasten zwei weitere Pferde, die die Neuankömmlige neugierig beobachteten. Die marode Tür wurde mit so viel Schwung geöffnet, dass Yara dachte, das ganze Gebilde würde einfach in sich zusammenklappen.
Alaneo half ihr vom Pferd, da ihre Beine jeden Moment einzuknicken drohten. Hätte sie nicht so geprahlt, wäre ihr jetzt sein besserwisserischer Blick erspart geblieben. Er nahm das Gepäck von dem Rücken des Tieres und übergab es an den Söldner, der ihnen mit großen Schritten entgegen kam. Alaneo holte ein paar Münzen aus seiner Hosentasche, doch der Junge schien nicht sonderlich interessiert an dem zu sein. Viel mehr betrachtete er Yara mit großen Augen. Alaneo verlagerte bewusst sein Gewicht und versperrte ihm somit die Sicht auf sie.
"Hier ist der vereinbarte Preis." Der Junge - nur wenig jünger als Yara selbst - nickte und führte das Pferd zu seinen Artgenossen. Lunos hatte bereits die Taschen auf die Stute geschnallt. Und ab da ging es zu Fuß weiter.
Die kleine Gruppe ruhte am Tag und reiste in der Nacht, um möglichen Gefahren entgegen zu wirken und sich der Wärme der Wintersonne auszuruhen. Am ersten Tag schlief Yara schlecht, obwohl Alaneo mit einem Schwert bewaffnet Wache schob. Sie rasteten an einer durch Bäume geschützten Stelle, ein paar Meilen entfernt von der Hütte, an der sie das zweite Pferd abgegeben hatten. Yara versuchte, an einen Baumstamm gelehnt und die Sonne genießend, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Es gelang ihr den ganzen Weg über nicht.
Sie hörte auf, die Tage und Nächte, die vergingen, zu zählen. Ihr Körper gewöhnte sich nur schwerlich an den neuen Schlafrhythmus, während die Vorräte zur Neige gingen. Alaneo wurde Stunde um Stunde beunruhigter. Es war ihr nicht verborgen geblieben, dass er sich fortschlich, wenn sie schliefen. Er hatte kein Wort mehr mit ihr gewechselt, jedoch immer dafür gesorgt, dass sie genug zu essen bekam und nie zu weit zurück fiel. Lunos hatte bereits zwei Mal versucht, sie abzuschütteln, indem er mit der Stute an seiner Seite das Tempo anzog, wenn sich Yara hin und wieder in die Vergangenheit ihres Reisewegs zurückzog. Der Junge schien immer genau zu ahnen, wann dies eintrat.
Irgendwann erreichten sie die ersten Gebirgsausläufe und Yaras Füße begannen aufgrund ihrer dünnen Sohlen auf steinigem Grund noch mehr als ohnehin schon zu schmerzen. Die Bäume wurden hier am Fuß der Gebirgskette immer dichter. Durch das Dach der Nadelbäume gelangte kaum Mondlicht, nur an einzelnen kahlen Stellen der Laubbäume konnten sie siuch orientieren.
Die Gruppe bemerkte das aufziehende Gewitter erst, als ein lautes Grollen ertönte. Vor leichtem Regen waren sie hier unter den Jahrhunderte alten Bäumen sicher, doch ein Blitzeinschlag könnte sie das Leben kosten.
Lunos lief los, das Pferd an seiner scheute als der erste Blitz die Dunkelheit durchdrang. Alaneo folgte seinem Bruder und trieb die Stute vorwärts. Yara rührte sich nicht. Sie war ein Kind der Natur und ihr fehlte das Gefühl reinen Regens auf ihrer Haut. Die Gefahren des Gewitters scherten sie nicht. Das dumpfe Geräusch der Hufe auf dem Waldboden verschwand in der Ferne. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie konnte sich nicht rühren. Es war, als riefe etwas nach ihr. Sie schloss die Augen und stolperte vorwärts.
DU LIEST GERADE
Nashra - Kristall Chroniken I
FantasyYara lebt auf der Straße, in einer Zeit, in der jede Art von Magie verachtet wird. Sie ist auf der Flucht vor sich selbst und ihrer Vergangenheit, als sie auf Alaneo und seinen kleinen Bruder trifft, die so gar nicht in diese schmutzige Seite der Ge...