Yara kam mühsam zu sich, ihr Kopf fühlte sich seltsam leicht und losgelöst von allen Sorgen an. Bruchstückhaft kamen die Erinnerungen zurück, während sie blinzelnd in die Sonne blickte. Sobald ihr Körper es zuließ, stand sie schwerfällig auf, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Sie war lange bewusstlos gewesen, nahezu den halben Tag. Nashra und Alan mussten sich schreckliche Sorgen machen und sie selbst fürchtete sich ebenfalls vor ihrem Schicksal. Entweder hatte jemand sie verraten oder die Jäger im Gasthaus waren doch nicht so blöd, wie Yara angenommen hatte.
Auch wenn ihre Erinnerung vollständig zurückgekehrt war, so fehlte ihr noch ein wichtiger Teil, wie sie panisch feststellte. Ihr Band zu Nashra schien gekappt zu sein, oder zumindest so dumpf, dass sie nur eingeschränkt am Ende zupfen könnte. Sie spürte eine Antwort, doch so schwach, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb. Gezwungenermaßen von ihrem Seelengefährten getrennt zu sein, war etwas ganz anderes, als wenn dieser sie aussperrte. In diesem Fall konnte man wenigstens den Zustand des anderen ermitteln. Nashra musste sie für schwer verwundet halten, wenn er nicht die Wirkungen dieses Betäubungsmittels kannte.
Erneut konzentrierte sie sich mit aller Macht, tobte und schrie in ihrem Innern, in der Hoffnung, ein bisschen von ihrem Lebensfunken würde zu Nashra vordringen.
Das Quietschen der öffnenden Türe störte ihre Konzentration und leichter Schwindel ergriff sie, weshalb sie rücklings ins Bett fiel. Blinzelnd kämpfte sie gegen die schwarzen Flecken an. In diesem Zustand hatte sie keine Chance, sich an den Jägern vorbeizuschleichen. Auch Kämpfen stellte in ihrem vollkommen untrainierten Zustand keine Option da.
"Dass du mich so an der Nase herumgeführt hast, hat mich wahrlich enttäuscht, meine Hübsche. Es war eine Überraschung, deine Beschreibung zu erhalten und dich so dicht, aber unerreichbar, vor der Nase zu haben." Der General bedachte sie mit einem ehrlich traurigen Blick, während sie sich langsam aufrichtete. "Unter einer mit Monstern kooperierenden Schwerverbrecherin habe ich mir etwas anderes vorgestellt." Darin sah Yara ihre Chance. Früher hätte sie alles stillschweigend über sich ergehen lassen, doch nun hatte sie ihre Worte als Waffe zu nutzen gelernt.
"Drachen sind keine Monster", beschwichtigte sie ihn in einem gutmütigen Tonfall. Sofort war sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher.
"Scheinbar räuchern sie einem auch das Hirn weg. Man braucht sich diese Tötungsmaschinen nur einmal anzusehen", ging er sofort auf die Diskussion ein.
"Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Hälfter Euerer Männer noch nicht einen einzigen Drachen zu Gesicht bekommen hat." Sie ließ eine Pause für möglichen Widerspruch, der nicht kam. "Drachen töten nicht willkürlich wie Menschen es tun. Sie leben zurückgezogen in ihren Verstecken in den Tiefen der Natur und bekommen vermutlich den ersten Menschen zu Gesicht, der sie augenblicklich zur Strecke bringt", fuhr sie bitter fort. Es zeigte Wirkung.
"Wir müssen los. Das Oberhaupt wünscht dich zu sehen", erwiderte er steif. Der General besaß scheinbar wirklich ein Herz, denn er grübelte den gesamten Weg über ihre Worte.
Er verabschiedete sich vor einem großen Portal vor dem zwei Männer mit Schwertern an den Hüften standen. So schmächtig wie die beiden waren, konnten sie nicht einmal als Machtdemonstration fungieren. Das Bild, das sich ihr von dem Jägerclan bot, wurde immer schwächer.In dem kargen Saal, der in großen Teilen aus grobem Stein bestehen zu schien, saß eine breitschultrige Gestalt auf einem thronähnlichen Stuhl. Ebenfalls aus grauem Stein.
Der Mann, der ihr stoisch entgegen blickte, war ihr nicht unbekannt.
"Vater?" Völlig fassungslos blieb Yara stehen. Das vertraute Gesicht aus ihrer Kindheit war verschwunden. Eine wulstige Narbe begann knapp unter seinem rechten Auge und teilte seine Lippen bis zum Kinn. Ein Teil des Nasenflügels fehlte. Das zumindest erklärte den blanken Hass in seinen Augen.
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Nashra - Kristall Chroniken I
خيال (فانتازيا)Yara lebt auf der Straße, in einer Zeit, in der jede Art von Magie verachtet wird. Sie ist auf der Flucht vor sich selbst und ihrer Vergangenheit, als sie auf Alaneo und seinen kleinen Bruder trifft, die so gar nicht in diese schmutzige Seite der Ge...