Nashra hatte schon lange für den Weg zu Bryans Lager gebraucht, zu Fuß waren Alan und Yara mindestens doppelt so lange unterwegs. Nach einiger Zeit stieß Raaik wieder zu ihnen, flog dann aber voraus zu Nashra. Einen Moment fragte Yara sich, warum er sie nicht mitnahm, bis ihr einfiel, dass sie selbst auch niemanden an Nashra heranlassen würde, selbst wenn es sich dabei um ihren Freund handelte. Ja, was waren sie beide denn eigentlich nun? Ihre kleine kalte Hand lag immer noch in seiner großen warmen und sie hatte nicht vor, daran so schnell etwas zu ändern. Es gefiel ihr außerordentlich gut, aber bezeichnete man sie deshalb als Liebende?
Yara traute sich nicht im Angesicht ihrer Situation Alan diese unwichtige Frage zu stellen. Seine Gedanken kreisten sicher unaufhörlich um das Wohlergehen seines Bruders.
Ihre Füße begannen wieder zu schmerzen und Nashra beruhigte sie, dass es nicht mehr weit war, er könnte sie bereits wittern. Zuvor hatte sie ihn sanft aber bestimmt ausgeschlossen, damit er nichts von ihren trotzdessen so offensichtlichen Gefühlen und Zwiespälten mitbekam. Sie fragte ihn, ob Bryans Drache sie dann nicht auch wittern könnte und damit ihren Überraschungsbesuch zunichte machte. Nashra verneinte, gebundene Drachen und Menschen verloren für andere Drachen den Geruch. Das war ein Selbstschutzmechanismus, damit man nicht nacheinander wahllos die schwachen Menschen aufspüren und ausrotten konnte, um so auch den jeweiligen Drachen zu vernichten.
Yara schluckte bei dem Gedanken, dass es Wesen gab, die ihnen beiden und dieser wundervollen Verbindung etwas böses wollten, obwohl sie sie nicht einmal kannten. Dass dort draußen Jäger nach ihrem Leben trachteten.
"Bist du schon einmal einem Jäger begegnet?" Yara wollte Alan ablenken, zu sehr belastete es sie, dass er sich von dem Trübsal gefangen nehmen ließ. "Also in einer Situation, in der ihr nicht mit dem Bekämpfen des anderen beschäftigt wart."
"Wahrscheinlich begegne ich tagtäglich in Têmpra Jägern und ahne nicht einmal von ihrem Tun. Aber ja, ein Mann hat sich mir klar und deutlich zu erkennen gegeben, kurz nach meiner Verbindung zu Raaik. Das ist jetzt auch schon ach Jahre her." Er hielt in seinem Monolog inne. Trotz seines glasigen Blicke lief er mit großen Schritten vorwärts. Es war interessant zu beobachten, wie jemand aussah, der sich auf gewöhnlichem Wege an seine Vergangenheit erinnerte. Yara war einem anderen Menschen schon lange nicht mehr so nah gekommen.
Sie rechnete im Kopf nach. "Also bist du mit sechzehn Raaik begegnet?" Er nickte. Sie kamen ihrem Ziel immer näher, auch Yara spürte nun die straffer werdende Verbindung zu ihrem Drachen. Es glich einem gespannten Faden und sie musste sich zurücknehmen, um nicht zu rennen. "Und Lunos war ein Kleinkind. Wie hast du das vor deinen Eltern geheim gehalten?"
"Mein Vater war selbst ein Hüter, bis der Jäger ihn und meine Mutter in den Tod schickte. Ab diesem Zeitpunkt gab es nur noch Lunos und mich. Ohne Raaik wären wir verloren gewesen." Entsetzt biss Yara sich auf die Zunge. Sie hatte mit so einer unverfänglichen Frage eine alte Wunde aufgerissen. Für sie war immer klar, dass irgendwo im Land ihre Eltern und ihre Schwester trotz allem noch am Leben waren. Sie hatte ihr Alleinsein selbst gewählt. Glücklicherweise nahm Alan es ihr nicht übel, wie er es vielleicht zu Anfang ihres Kennenlernens getan hätte.
"Hasst du den Jäger deswegen?" Bei anderen rachsüchtigen Menschen wäre die Antwort auf die Frage klar gewesen, nicht so bei ihrem Partner.
"Ich hasse ihn nicht. Er war von seinem Tun überzeugt, auch wenn es aus unserer Sicht nicht richtig ist. Ich könnte ihn hassen, aber er hat nicht gewusst, dass er damit zwei Jungen zu Vollwaisen macht." Er stockte. "Hätte meine Mutter sich schon damals von meinem Vater getrennt, wäre sie jetzt noch am Leben und alles wär anders gewesen."
"Wir hätten uns wahrscheinlich niemals kennengelernt", setzte sie schnell hinzu, bevor er wieder in Gedanken versinken konnte. Dafür erntete sie ein warmes Lächeln, was an so einem kalten Tag wahre Wunder wirkte.
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Nashra - Kristall Chroniken I
FantasyYara lebt auf der Straße, in einer Zeit, in der jede Art von Magie verachtet wird. Sie ist auf der Flucht vor sich selbst und ihrer Vergangenheit, als sie auf Alaneo und seinen kleinen Bruder trifft, die so gar nicht in diese schmutzige Seite der Ge...