Kapitel 17

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Peters Sicht

Das Erste, was ich machte, nachdem ich aufwachte, war lächeln. Von außen betrachtet sah ich bestimmt total bescheuert aus. Wie so ein dämlich grinsender, verliebter Trottel. Aber so fühlte ich mich gerade auch.

Lollas Kopf war von meiner Brust in Richtung Bauch gerutscht und sie hatte ihr eines Bein ziemlich besitzergreifend über meine Beine gelegt. Ganz sanft strich ich über ihre Haare.

Es war so schön, neben ihr aufwachen zu können. Sie in meinen Sachen zu sehen. Sie in meiner Wohnung zu sehen. In meinem Bett.
Ich war wirklich erleichtert gewesen, als sie mich gestern auf dem Parkplatz geküsst hatte. Ich wusste nicht, was ich sonst gemacht hätte. Vorher hatte ich mir nämlich fest vorgenommen, dass sie den ersten Schritt machen musste.
Davor - das war mir in den zwei Wochen ohne sie klar geworden - war es meistens von mir ausgegangen. Ich hatte sie in mein Bett geholt, als ihr kalt war. Ich wollte, dass sie bei mir schlief, nachdem sie mich massiert hatte. Ich war bei ihr geblieben und hatte sie ins Bett getragen, als sie in ihrer Küche eingeschlafen war.
Und nachdem sie das letzte Mal einfach aus dem Auto ausgestiegen war, wollte ich, dass sie sich diesmal selber entschied. Deshalb war ich hart geblieben und hatte mich sehr nach ihr gesehnt.

Wäre ich eingeknickt, hätte ihr geschrieben oder mich womöglich noch entschuldigt - seit gestern vermutete ich, dass der Spruch mit dem Teamkollegen-Ding der Grund war - dann wäre es wieder nicht von ihr gekommen. Ich wollte aber, dass sie selber sich entschied: für oder gegen mich. Die Entscheidung konnte ich ihr nicht abnehmen. Und ich hoffte, dass es sie auch selber weiterbrachte, zu spüren, dass sie mich quasi wieder zurückgewonnen hatte. Aus ihrem eigenen Antrieb.

Das durchzuziehen gestern - Lolla nicht in den Arm zu nehmen, aus dem Raum zu gehen, ohne mit ihr gesprochen zu haben, sie nicht zu küssen, als sie vor mir stand, nicht durch ihre Haare zu fahren oder ihre weichen Lippen zu spüren.
All das war mir härter gefallen, als die Leistungskontrolle vorher. Besonders, mich von ihr abzuwenden und wegzugehen. Innerlich war mir das Herz in die Hose gerutscht, denn ich wusste nicht, ob sie gegen ihre Zweifel ankämpfen konnte.

Irgendwie war ich sogar recht froh gewesen - zumindest im Nachhinein - das Domen und Cene es aus der Entfernung gesehen hatten, wie wir uns küssten, auch wenn Domen natürlich den schönen Moment kaputt machen musste.
Aber so wusste zumindest ein Teil der Familie schon Bescheid und ich wollte es auch meinen Eltern so schnell wie möglich sagen. Wenn ich mir jetzt bei einem sicher war, dann, dass unsere Beziehung kaum eine Chance hätte, wenn ich sie vor meiner Familie geheim hielt. Hatte doch der erste Versuch, es zu verheimlichen, gleich zu einem Missverständnis zwischen Lolla und mir geführt.
Jetzt, wo keine Saison war, verbrachte ich schließlich viel Zeit mit ihnen. Wenn ich die Zeit noch aufsplitten müsste, um einen nicht geringen Teil mit Lolla zu verbringen, müsste ich immer wenn ich zu Hause war, Lügengeschichten erzählen.
Das wollte ich nicht. Wir würden in nächster Zeit eh genug vor der Öffentlichkeit und der Presse verheimlichen müssen, da musste das nicht zu Hause auch noch sein.

Während ich so nachdachte, genoss ich das Gefühl, einfach so liegen bleiben zu können.
Alleine, auch an einem Sonntag, wäre ich nie so lange liegen geblieben, hätte mich nicht so ausgeruht und die ganze Zeit dabei gelächelt, weil dieser Mensch auf meiner Brust einfach so unglaublich niedlich beim Schlafen aussah.

Bestimmt eine ganze Stunde später, schlief Lolla immer noch. Ich war mittlerweile aber glockenwach. Als sie sich dann auf die rechte Seite drehte und halb von mir runter rollte, ergriff ich die Chance und stand vorsichtig auf.

Leise zog ich meine Laufhose aus dem Schrank und einen Sportpulli, ging in den Flur, wo ich mir meine Laufschuhe anzog und einen kleinen Rucksack mitnahm.

Zwei Stunden später stand ich frischgeduscht in kurzer Hose und sauberen T-Shirt in der Küche und kochte Kaffee. Die mitgebrachten Brötchen hatte ich schon aufgeschnitten und musste mittlerweile anfangen zu schmunzeln, darüber, wie lange man schlafen konnte. Es war schon halb elf. Und wir waren gestern irgendwann zwischen 10 und 11 Uhr schlafen gegangen, also wirklich nicht spät.

Ich holte gerade Tassen aus dem Schrank, da hörte ich tapsige Schritte auf den Fliesen und drehte mich um. Lolla war in die Küche gekommen. Sie sah tatsächlich immer noch ganz verschlafen aus: Barfuß, mit verwuschelten Haaren, in meinen zerknitterten Boxershorts und viel zu großem T-Shirt.

„Hier riecht es aber gut, hast du - ach Gott...", machte sie große Augen und schaute auf den Frühstückstisch. „Du warst schon Brötchen holen und ich habe untätig geschlafen?", blickte sie mich ungläubig an.

Es war ein Bild zum Einrahmen. Sie in Schlafsachen, ziemlich verpeilt und dann guckte sie auch noch, als hätte sie nie einen gedeckten Frühstückstisch gesehen.

„Ich war sogar schon 10 km laufen und habe bereits geduscht", schockte ich sie und ging zu ihr rüber.

„Nein, jetzt schäme ich mich", quietschte sie auf, entwand sich meinen Armen und lief ins Wohnzimmer.

„Na warte", folgte ich ihr und wir landeten beide lachend auf dem Sofa. Ich zog sie auf meinen Schoß. Sie war noch ganz warm vom Bett und roch so süßlich. Einfach wie gute Croissants. Tief einatmend legte ich meine Stirn an Lollas.

„Wieso hast du mich nicht geweckt?", zog sie einen Schmollmund, legte ihre Hände an meine Wangen und hielt mein Gesicht auf Abstand, sodass sie mir in die Augen schauen konnte. Ich beugte mich vor und küsste sie zärtlich.

Hm, wie kann ein Mensch so gut schmecken?, fragte ich mich, während Lolla den Kuss stürmisch erwiderte.

„Du warst gestern Abend so müde und hast so süß beim Schlafen ausgesehen."

„Peter, ich weiß, dass das gelogen ist. Wir hatten das schonmal. Ich bin alles bei schlafen, aber nicht süß."

„Oh doch, bist du." Es machte mir so Spaß, Lolla aufzuziehen, besonders, wenn sie einen Schmollmund zog. Ihre Unterlippe schob sich dann immer vor und sie sah wie ein trotziges, kleines Mädchen aus. Dem konnte ich kaum widerstehen und beugte mich erneut vor, um sie zu küssen.

Lolla wich mir nach hinten aus: „Ich küsse dich nicht, bevor du das nicht zurücknimmst."

„Gut, dann eben nicht", tat ich, als würde mich das nicht interessieren. „Dann können wir ja frühstücken."

„Ey, du willst mich nicht küssen?", fragte sie beleidigt und guckte mich böse an. Ihre Nase rümpfte sich dabei und wie sie da saß mit ihren verwuschelten Haaren, musste ich mich sehr zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.

„Vorher stimmst du mir zu, dass du süß beim schlafen aussiehst."

„Nein."

„Doch."

„Nein."

„Du bist so ein sturer Esel", schimpfte Lolla mit mir und legte die Stirn in Falten. Ihre grauen Augen blitzten förmlich. Ich wusste, dass es ihr genauso Spaß machte wie mir.

„Hauptsache dein sturer Esel", konterte ich und wir mussten beide grinsen. „Außerdem, du weißt doch, dem Klügeren wird nachgegeben", probierte ich nochmal, sie aufzuregen.

„Ey, so geht der Spruch nicht", sprang sie sofort darauf an und versuchte, mich gegen die Brust zu boxen, aber ich hatte ihre Faust schon in der Luft abgefangen. „Außerdem hast du den Spruch geklaut", inserierte sie, während ich ihre Faust festhielt.

„Nein", antwortete ich jetzt.

„Doch."

„Nein."

„Meine Güte, dann meinetwegen", gab sie augenrollend nach.

„Siehst du?", fragte ich sie grinsend.

„Du gemeiner, fieser, sturer Esel", fing sie an und boxte mit ihren Händen gegen meinen Bauch, aber ich spannte einfach meine Muskeln an und merkte kaum etwas davon.

„Hör auf, Peter! Das gilt nicht, wenn du die anspannst."

Laut lachte ich los: „Bitte? Ich darf mich nicht wehren, während du mir hier wehtun und mich verletzten willst? Das glaubst du doch selber nicht."

Schmollend sah Lolla mich an und schob ihre Unterlippe vor. Ich lehnte mich zurück, zog sie in meine Arme und drückte ihr einen Kuss ins Haar. „Nicht traurig sein, mein heute mal warmer Eisklumpen. Nicht jeder kann gewinnen."

Grinsend wand sie sich aus meiner Umarmung und schaute zu mir hoch. „Genau, deshalb gewinne ich ja immer."
Bevor sie weiter reden konnte, senkte ich meinen Kopf und küsste sie lange. Auf einmal fing ihr Magen an, zu rumoren. Ich brach den Kuss ab: „Hat da etwa jemand Hunger?" Lolla nickte nur und sah mich aus ihren großen grauen Augen an. „Dann komm", forderte ich sie auf, wir standen auf und gingen zusammen zum Tisch.

Ganz gemütlich frühstückten wir ziemlich lange, während Lolla sich darüber lustig machte, wie ich vier Brötchen essen konnte und trotzdem so aussah, wie ich eben aussah.

„Hey, ich war heute morgen schon laufen", verteidigte ich mich. „Und außerdem ist Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages, das müsstest du als Medizinerin doch wirklich wissen."

„Weißt du, du könntest Werbung oder so ein eigenes Ernährungsprogram wie Weight Watchers machen: Essen Sie jeden Tag 4 Brötchen zum Frühstück und eineinhalb Pizzen zum Abendbrot, dann sehen sie bald so aus wie der Ökotrophologe Dr. Peter Prevc. Und dann lässt du dich oberkörperfrei fotografieren und alle Welt isst jeden Tag 4 Brötchen und wundert sich, wieso sie nach 2 Tagen noch kein Sixpack hat", verspottete sie mich.

„Lachst du mich etwa aus?", fragte ich Lolla und zog eine Augenbraue hoch. Das konnte ich gut. Meine kleinen Schwestern machten dann immer alles, was ich von ihnen verlangte. Sogar aufräumen.

„Würde ich nie tun", antwortete sie mit Sarkasmus in der Stimme.

Okay, bei Lolla funktionierte es anscheinend nicht. Hätte mich auch gewundert.

Mittlerweile war es schon 12 Uhr, wir saßen immer noch am Frühstückstisch und alberten rum. Mir fiel nicht ein, wann ich das letzte Mal so spät und so lange an einem Sonntag gefrühstückt hatte, denn bei meiner Familie wollten die meisten immer irgendwas erledigen oder meine Schwestern stachen sich halb die Augen aus.
Ich hatte diesen Morgen mit Lolla unheimlich genossen, weswegen ich mich auch noch nicht dazu aufraffen konnte, vom Tisch aufzustehen. Da hörte ich, wie mein Handy in meinem Zimmer klingelte.

Wer war das denn schon wieder? Verdammt, wieso hatte ich es nicht einfach aus gemacht?

„Willst du nicht rangehen?", schaute mich Lolla fragend an.

Seufzend stand ich vom Tisch auf, ging ins Schlafzimmer und schaute auf mein Handy, was ich auf dem Nachtschrank gelassen hatte. Domen hatte angerufen und mir bei WhatsApp geschrieben. Ich öffnete es:

„Mum will wissen, ob du zum Sonntagsessen kommst?" Und noch eine: „Soll ich irgendwas erfinden oder kommst du? Du kannst Lolla ja mitnehmen. Mum und Dad haben doch bestimmt nichts dagegen."

Mein kleiner Bruder, die Weisheit in Person. Zumindest hatte er sich an die Abmachung gehalten und weder was Falsches noch etwas Wahres von Lolla erzählt.

Stimmt, das Sonntagsessen hätte ich fast vergessen. Wir aßen Sonntagmittag normalerweise immer alle zusammen, damit wir uns zumindest einmal in der Woche sahen. Schließlich waren wir unter der Woche oft zum Training in der Stadt oder auf der Schanze und meine Eltern im Geschäft. Und da wir drei Jungs schon in der Saison familiär ausfielen und fast nie beim Sonntagsessen dabei waren, achtete Mum in der Pause umso genauer darauf, dass wir zumindest etwas Normalität in der Familie hatten.

Würde ich ihr deshalb absagen wollen, musste mir etwas Besseres einfallen als: Ich wollte die Wohnung aufräumen, so wie gestern. Schließlich wusste sie selber, dass ich ordentlich war.

Oder würde ich Lolla dazu überredet bekommen, mitzukommen?

Es war ja nur ein Mittagessen. Und ich würde Cene - der war zuverlässiger als Domen und wusste eben auch weder etwas vom Trainingslager, noch was danach passiert war - beauftragen, dass er Mum und Dad sagte, dass ich letztes Mal beim Gespräch um Lolla doch etwas untertrieben hatte, dass sie es sich aber nicht anmerken lassen sollten.

„Ist alles in Ordnung, Peter?", rief Lolla aus der Küche. „Ist was passiert?"

Schnell ging ich zurück und setzte mich neben sie. „Alles gut, war nur Domen. Du, kommst du mit zum Mittagessen bei meiner Familie?", fragte ich Lolla einfach und erklärte ihr die Situation. Mehr als Nein sagen, konnte sie ja nicht und ich wollte da lieber offensiv ran gehen als hintenrum. Das lag mir nämlich gar nicht.

„Wow, das ist jetzt aber ganz schön spontan", reagierte Lolla überrascht. „Weißt du, ich hätte gerne etwas mehr Zeit, bevor ich einen guten Eindruck vor deinen Eltern machen muss, um mich physisch und psychisch darauf vorzubereiten. Außerdem muss ich eh noch was für die Uni machen. Also gehe ich einfach nach Hause und du zu deinen Eltern?", schlug sie vor.

Genau das wollte ich vermeiden.

„Pustekuchen, wenn du nicht magst, mag ich auch nicht. Dann bleiben wir beide hier." Ich sah ihr an, dass sie die erste Redewendung auf Slowenisch nicht verstanden hatte, weil sie leicht die Stirn gerunzelt und die Nase gekräuselt hatte.

„Ha, wir haben gar kein Auto, um zu euch nach Hause zu fahren. Oder wolltest du den Bus nehmen?"

Hm, Lolla war nicht schlecht im Ausreden suchen. Wusste aber leider nicht das, was ich wusste.

„Draußen steht mein Sponsoren-Auto. Das gestern war nur Mum's. Wie wir hin und zurückkommen ist also nicht das Problem."

„Erkennt man dein Auto auf der Straße nicht? Wir wollen doch keine Gerüchte fabrizieren, Peter", wand Lolla ein.

Wirklich nicht schlecht, das musste ich zugeben. „Hat getönte Scheiben", lachte ich.

„Ich kann nicht gewinnen, oder?", schmunzelte sie.

„Nö", stimmte ich ihr zu und fuhr mit dem Daumen über ihre Wangen, ihren Hals und strich ihr die offenen, braunen Haare hinters Ohr.

Da hob Lolla den Kopf: „Unmöglich, ich habe nichts zum Anziehen. Oder sind unsere Sachen von gestern trocken?", fragte sie mich.

Mist, das war ein guter Punkt von ihr. Die Klamotten waren tatsächlich nicht trocken, also schüttelte ich den Kopf: „Wir haben sie nicht aufgehängt, sondern einfach auf dem Boden liegen lassen."

„Peter, ich bin ernsthaft keins der Mädchen, die sich non stop Gedanken um ihr Aussehen und Klamotten machen, aber ich kann deinen Eltern ja schlecht in deinen Boxershorts gegenübertreten", argumentierte sie und zupfte dabei an ihrer „Schlafhose". Dabei rutschten die Shorts durch den Gummizug und dadurch, dass sie ihr zu groß waren, ein ganz bisschen runter und zeigten etwas Haut über dem Hüftknochen sowie den obersten Rand ihres Slips. War das Spitze? Es sah so aus, auch wenn ich mir bei dem Schwarz nicht sicher war.

„Hallo?", Lolla schnipste mir vor den Augen rum, „hörst du mir überhaupt zu, Peter?"

Ich riss meine Augen von der Stelle los, zog aber an ihrem/meinem Shirt, um die Stelle zu verdecken. Verwundert guckte sie mich an. „Alles klar bei dir?"

Grinsend über ihr komisches Gesicht, erklärte ich: „Ich kann sonst nicht denken, weil ich darüber grübeln muss, ob das Spitze war, was ich gesehen habe oder nicht", antwortete ich ehrlich und sah belustigt zu, wie Lolla rot wurde.
Ich gab ihr einen Kuss auf die Nase. Manchmal merkte man schon, dass sie erst 20 geworden war in diesem Jahr. Aber ich mochte das viel lieber, als wäre sie total abgeklärt bei so etwas. Es war viel zu niedlich, zu beobachten, wie man sie allein mit Worten verlegen machen konnte.

„Zieh doch einfach was aus meinem Schrank an", schlug ich vor. „Zu dir fahren würde sich halt gar nicht lohnen, wir kommen mit dem Auto schließlich nicht bis da nach oben, müssten also hoch und wieder runter laufen. Dann bleiben wir lieber hier."

„Klar, soll ich in Jogginghose gehen oder was? Da bleibe ich ja noch lieber in Boxershorts."

Ich dachte nach. Irgendwie wollte ich sie nämlich unbedingt mit zu meinen Eltern nehmen. Ich war mir sicher, dass sie Lolla sofort mögen würden und hoffte, dass das Lolla zusätzlich Sicherheit in Bezug auf uns gab. Nochmal wollte ich sie nicht gehen lassen.

„Weißt du was, komm mal mit", sagte ich, nahm ihre Hand und zog sie hoch. Im Schlafzimmer öffnete ich den Schrank und holte eine meiner Jeans raus. „Zieh die doch einfach als Boyfriend-Hose an. So kam schließlich der Modetrend zustande, dass Mädchen einfach die Hosen ihres Freundes anzogen."

Lolla schaute mich misstrauisch an: „Was ist denn mit dir passiert? Woher weißt du das, Peter? Kein Kerl auf der ganzen Welt weiß, was Boyfriend-Hosen sind, aber du?"

„Ach, lange Geschichte: es gab bei der letzten Vierschanzen-Tournee so einen Running Gag, weil Kraft's Freundin die ganze Zeit seine Hosen eben als Boyfriend Hose angezogen hat. Jedenfalls fanden wir das natürlich alle super lustig und haben ihn die ganze Zeit damit aufgezogen, bis seine Freundin ihm das erklärt hat und er hat es uns dann erklärt und ich habe es mir gemerkt", schilderte ich Lolla, während sie mich aber immer noch komisch anschaute. Nicht mehr misstrauisch, sondern verwirrt.

„Wer oder was ist Kraft?"

Okay, sie wusste echt gar nichts vom Skispringen. Hatte ich vergessen.

„Stefan Kraft? Österreichischer Skispringer? Den müsste man bei euch doch wirklich kennen", wunderte ich mich, aber Lolla zog nur die Schultern hoch und murmelte: „Keine Ahnung, aber okay."

„Marisa heißt seine Freundin", ergänzte ich.

Lolla fing an zu lachen. „Ah danke Peter, jetzt ist alles klar! Wenn es die Marisa ist. Ja, jetzt erinnere ich mich. Stimmt!"

Ich musste auch lachen, ich liebte ihren ironischen Humor. „Du lachst mich schon wieder aus!", tat ich beleidigt.

„Nein."

„Doch."

„Nein."

„Doch."

Lolla riss mir die Hose aus der Hand. „Gib sie schon her! Ausprobieren kann ich es ja mal."

Vermutlich grinste ich genauso dämlich wie heute morgen beim Aufwachen, als ich mich nach hinten aufs Bett fallen ließ. Erwartungsvoll schaute ich Lolla an.

„Was?", guckte sie mich an.

„Nichts, ich freue mich nur, herauszufinden, ob es Spitze ist oder nicht."

„Dachtest du ernsthaft, ich ziehe mich um, während du auf deinem Bett liegst und mich beobachtest? Da kannst du lange drauf warten. Entweder gehst du raus oder ich ziehe mich im Bad um."

Eingeschnappt versuchte ich auch, so schmollend wie sie zu gucken. Schien zu funktionieren, denn Lollas Miene wurde sofort weich, sie kam zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Ich versuchte sie näher an mich heran zu ziehen, aber diesmal ließ sie das nicht einfach zu.

„Peter, wir kommen ja zu gar nichts, wenn wir so weitermachen", schmunzelte sie. „Wann esst ihr normalerweise?"

Ich schaute auf meine Uhr: „Wir müssten so in einer halben Stunde los, um pünktlich zu sein", antwortete ich.

„Cool, dann kann ich ja sogar noch schnell duschen gehen", stellte sie fest und ging ins Badezimmer.

Ich hörte, wie die Dusche anging und bekam das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Vielleicht sollte ich Thomas mal Danke sagen, dass er Lolla ausgesucht hatte. Oder ich sollte mich selber dafür loben, dass ich mich freiwillig für diese Untersuchung bereiterklärt hatte. Wer weiß, wie das Ganze sonst gekommen wäre? Oder es war Schicksal. Oder ich hatte einfach nur verdammtes Glück. Oder alles gleichzeitig.

„Du bist ab jetzt mein offizieller Modeberater, Peter Prevc", sagte Lolla 10 min später und kam aus dem Bad raus. „Ich glaube, das kann etwas werden. Gut, dass du so dünn bist. So zu weit ist mir die Jeans gar nicht. Ich kann sie zwar deutlich über den Bauchnabel hochziehen", lachte sie und schob mein/ihr T-Shirt zur Seite, um es mir zu zeigen, „aber wenn ich die Beine umkrempele, müsste das gehen. Hast du einen Gürtel?", fragte Lolla, während sie sich vor meinen Spiegel stellte und anfing, die Beinenden hochzukrempeln.

„Habe ich, aber ich bezweifele, dass der passen wird", sagte ich und holte einen dunkelbraunen Ledergürtel aus meinem Schrank. „Obwohl, vielleicht schon, der hat viele Löcher. Hier, probier mal".

Auf dem vorletzten Loch saß er fast wie für sie gemacht. Kritisch schaute sie in den Spiegel. Sie hatte die Hosenbeine hochgekrempelt, so dass man den unteren Teil ihrer schlanken Beine und die Knöchel sah und sonst saß sie so, wie eine Boyfriend-Hose eben saß. Zumindest soweit ich das beurteilen konnte. An den Knien ausgebeult, ich fand es ziemlich cool. Außerdem würden meine Eltern Lolla eh nicht nach ihrer Hose bewerten. Ich hatte Cene zwischendurch auch Anweisung gegeben, damit er sie über Lolla informierte.

„Eigentlich ganz in Ordnung", befand sie. „Allerdings wird es jetzt schwieriger mit dem Oberteil." Lolla hatte nach dem Duschen ihr Schlafshirt wieder angezogen, weil sie nichts anderes mitgenommen hatte. „Darf ich mir eins aussuchen?", fragte sie mich.

„Bedien dich", öffnete ich ihr die Schranktür.

Nach kurzer Durchsicht holte sie ein weinrotes T-Shirt mit V-Ausschnitt raus. „Geh mal schnell raus, Peter", forderte sie mich auf.

„Ich hab dich schonmal in BH gesehen", erinnerte ich sie, in der Hoffnung, dass ich drin bleiben durfte. Ich wusste auch nicht, was Lolla mit mir machte, geschweige denn, wann ich mich das letzte Mal so kindisch und verliebt benommen hatte.

„Das heißt nicht, dass du es jetzt nochmal darfst", lachte sie und gab mir einen Schubs in Richtung Tür. „Und Frauen sollen hormongesteuert sein, was? Da haben die Endokrinologen dich noch nicht gesehen."

„Wer hat mich nicht gesehen?", fragte ich verwirrt, denn Lolla hatte irgendwas Lateinisches gesagt.

„Egal, jetzt mach schon, sonst kommen wir noch zu spät."

Seufzend ging ich raus und sah jetzt das erste Mal an mir selber runter. Wir waren so vertieft auf Lolla gewesen, dass ich das komplett vergessen hatte. Okay, ich sollte mir eine lange Hose anziehen, denn draußen waren nur noch knappe zehn Grad. Es war kein schöner Herbst dieses Jahr. Hatte man gestern schließlich gesehen.

„Kannst reinkommen", rief sie und mir gefiel auf jeden Fall, was ich sah. Lolla hatte das Shirt vorne in die Hose gesteckt, sodass man die Gürtelschnalle sah, es hinten aber ganz normal fiel. Ihre braunen, noch feuchten Haare hatte sie zwischendurch gekämmt. Für mich hätte es in diesem Moment niemand Schöneres als sie geben können.

„Hab ich dir schonmal gesagt, dass ich dich in meinen Klamotten liebe?", wiederholte ich mich und fing an zu lachen, weil sie mit den Augen rollte.

„Meinst du, deine Eltern erkennen deine Sachen? Also, dass ich deine Sachen trage?"

„Nie im Leben", sagte ich, ging zum Schrank und holte mir selber eine Jeans aus dem Schrank. Hinter mir hörte ich etwas oder besser gesagt jemanden, der sich aufs Bett fallen ließ. Ich drehte mich um und sah Lolla grinsend auf dem Bett liegen.

„Ach was, du glaubst also, dass du hier drin bleiben darfst, während ich rausgehen musste?", zog ich beide Augenbrauen hoch.

„Ja", lächelte sie wie ein Honigkuchenpferd.

Ich hoffte inständig, dass ich bald einen Mechanismus fand, um ihr widerstehen zu können.

„Ich habe dich schließlich schon mehrfach in Boxershorts gesehen", wiederholte sie feixend mein Argument von eben.

Aber ich hatte auch nicht geschlafen: „Das heißt nicht, dass du es jetzt nochmal darfst", entgegnete ich ihr, zog aber einfach meine kurze Hose aus und eine Jeans an. „Mein T-Shirt lasse ich mal lieber an, damit du nicht wieder in Trance verfällst", ärgerte ich sie ein bisschen.

Lolla wurde tatsächlich wieder rot und murmelte nur ein leises: „Lass mich."

Schnell zog ich sie vom Bett hoch und stellte sie auf die Füße. Da wir so nah beinander standen, bemerkte ich, dass sie nach meinem Shampoo roch. Sie legte mir ihre Hand auf die Wange und ich küsste sie sanft. Zumindest meinte ich, dass es sanft war, aber sie war schon wieder atemlos, als wir uns voneinander lösten.

„Können wir?", fragte ich sie leise. „Bist du bereit?" Würde sie jetzt einen Rückzieher machen, würde ich es ihr auch nicht übel nehmen. Schließlich hatte ich sie wirklich etwas überrumpelt und nach gestern war noch nicht so viel Zeit vergangen.

Lolla schaute kurz auf den Boden, aber dann wieder in meine Augen. „Peter, ich vertraue dir. Du sagst, deine Eltern werden mich schon nicht doof finden."

Ich schluckte kurz, weil ihre Worte bedeutsam für mich waren. Da ich immer noch davon überzeugt war, dass sie tief in ihrem Inneren etwas vor mir verbarg, war es ein großer Fortschritt, dass sie mir vertraute. In mir kam ein Gefühl hoch, dass sich genauso wie Stolz anfühlte.

Ja, ich glaube, es war tatsächlich Stolz. Ich war stolz auf dieses schlanke, braunhaarige Mädchen mit ihren vollen Lippen, den grauen Augen und diesem Gesicht, dem man jede Gefühlsregung sofort ablesen konnte. Das in meinen hochgekrempelten Jeans und dem weinroten Shirt vor mir stand und mir in die Augen blickte.

„Wenn sie mich doof finden, dann ist es eben deine Schuld", fand Lolla ihren Humor wieder.

„Okay, damit kann ich leben", lachte ich und wir gingen raus aus dem Zimmer, um endlich loszufahren.

Über den Dächern der WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt