Kapitel 41

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Trotz allem mit Zweifeln behaftet, machte ich kurze Zeit später die Tür auf, nachdem es geklopft hatte. Mir gefiel an Peter, wie er mir mit seinem Klopfen immer die Entscheidung überließ. Wäre er wie Domen und hätte einfach die Tür aufgerissen, wäre ich schon überrumpelt gewesen. Dem allerdings nahm ich das nicht übel - es war einfach seine Art. Seit ich meine Gedanken geordnet und mit Thomas geredet hatte, fühlte ich mich viel besser als noch heute morgen. Eigentlich hatte ich mich seit dieser Neuigkeit noch kein Mal wieder so befreit gefühlt.
Bei der Tournee würde ich Peter besser unterstützen als bisher und weiterhin von Thomas lernen, danach Peter die Situation erklären und zuhause in Slowenien mir von Thomas helfen lassen, dass Wann, Wo und Wie zu klären. Und dann sollte der Spuk hoffentlich ein Ende haben.

Etwas nervös blickte ich nun Peter an, der vor mir stand und mich besorgt anschaute. Er hatte eine blaue Jogginghose, auf der seitlich ein Adidas-Zeichen drauf war, und ein graues T-Shirt an, während seine Haare verstrubbelt und feucht aussahen. Vermutlich hatte er vor nicht allzu langer Zeit erst geduscht.

„Lolla, meine Süße, ist alles okay?" Bei diesen Worten musste ich lächeln, denn Peters Stimme hatte einen so sanften Klang, dass ich ihn allein dafür liebte. Hatte er sich ernsthaft Sorgen um mich gemacht, obwohl er einen wichtigen Wettbewerb hatte?

Ich setzte alles auf eine Karte, griff mit der Hand in sein T-Shirt, zog ihn zu mir ins Zimmer und fing an ihn zu küssen. Kurz wartete ich darauf, ob das Gefühl von gestern wiederkehrte. Dieses Gefühl, dass ich mich nicht auf ihn einlassen konnte und ich vor allem weglaufen wollte, aber es kam nicht. Erleichtert seufzte ich und presste meine Lippen stärker auf seine, während Peter mir mit seiner Hand über die Wange fuhr. „Es tut mir so Leid, Peter", brachte ich mühsam zwischen zwei Küssen hervor, denn Peters Zunge hatte mich aus dem Konzept gebracht, da er mich nicht minder leidenschaftlich küsste.

„Was tut dir Leid?", wollte er wissen und hielt mich etwas auf Abstand, um mir in die Augen blicken zu können. Dabei wanderte seine Hand meinen Rücken herunter und blieb auf der hinteren Tasche meiner Hose liegen. Kurz ärgerte ich mich über mich selber, dass ich mir nichtmal eine ordentliche Jeans angezogen hatte, sondern immer noch Leggins und Kapuzenpullover trug, doch es schien ihn nicht zu stören.

„Dass ich gestern so abweisend war", erklärte ich, wobei mir fast schwindelig wurde, weil ich so intensiv in seinen Augen versank. Oder ich hatte doch noch Restalkohol im Blut, das konnte auch sein. „Und dass ich dich so wenig unterstützt habe in den letzten Tagen. Es tut mir wirklich Leid, Peter. Besonders nachdem, was du schon für mich getan hast. Da sollte man doch annehmen, dass ich wirklich eine bessere Freundin wäre..." und schon wieder fingen Tränen an, meine Wange herunter zu laufen. Was war nur los bei mir? Die Geschehnisse in letzter Zeit hatten mich wirklich zu einem emotionalen Wrack gemacht und dabei konnte ich es überhaupt nicht ab, wenn jemand so eine Heulsuse war. Und nun war ich selber eine!

Behutsam wischte Peter mit seinem Daumen die Tränen von der Wange. „Schhh Lolla... Ist doch alles gut. Wirklich, du musst jetzt nicht meinetwegen weinen. Ist doch klar, dass das alles etwas viel für dich ist, du kennst das Herumreisen ja auch nicht. Und wenn du heute auch noch so schlimme Kopfschmerzen hattest, da kannst du doch nichts für. Komm mal her", nahm Peter mich in den Arm und schlang so fest seine Arme um mich, dass ich seinen Herzschlag hörte, während ich meinen Kopf an seine Brust legte. Wie gut es tat, in seinen Armen zu sein. Mich von ihm trösten zu lassen. Seine Hand strich über meine Haare und er hielt mich einfach nur fest. Er roch wieder nach seinem Nivea-Shampoo und ich atmete tief ein, als wäre ich seit 2 Wochen nicht mehr an der frischen Luft gewesen.

„Du bist viel zu lieb für mich, weißt du das?", lächelte ich schwermütig und legte meine Hand auf seine Brust, während er mir einen Kuss auf die Schläfe gab.

„Das glaube ich nicht", sagte er schlicht und hob mein Kinn an, indem er seinen Zeigefinger darunter legte.

„Ich schon", musste ich grinsen, denn in Peters Nähe entdeckte ich gerade meinen Frohmut wieder. Fast hätte ich über der Neuigkeit vergessen, wie gut er mir tat. „Nein." Zärtlich gab Peter mir einen Kuss auf die Lippen und ich ließ ihn nur zu gerne diese „Diskussion" gewinnen, wenn ich ihn dafür küssen konnte. Anscheinend hatte mich der Tag, auch wenn er furchtbar schrecklich war, wieder zu mich selber zurückgebracht.
„Ich bin echt froh, dass du dich damals als Freiwilliger gemeldet hast!", grinste ich voller Freude. „Wer weiß, wäre das Tilen gewesen, wäre ich vielleicht später mit ihm ausgegangen!" Lachend beobachtete ich Peters Gesicht, welches sich in eine Mischung aus Überraschung und Beleidigung wandelte.

„Wärst du nicht!", schaute er mich eingeschnappt an. „Vielleicht habe ich das ja auch gar nicht freiwillig gemacht, sondern Thomas hat mich dazu gezwungen. Ha!"

„Lüg doch nicht, du sturer Esel", flüsterte ich ihm ins Ohr. „Ich weiß ganz genau, dass du es freiwillig gemacht hast. Ohne zu wissen, wer ich bin natürlich."

„Tja, hätte ich es gewusst, hätte ich es ja auch nicht gemacht", neckte er mich nun, überbrückte die letzte Distanz zwischen uns und fing wieder an, meine Lippen mit seinen zu umschließen. Doch nach einem kurzen Augenblick brach er ab.
„Aber Lolla...?"

„Hm...?", war ich gedanklich noch mitten im Kuss, bis ich bemerkte, dass Peter mir erwartungsvoll in die Augen sah.

„Mir fällt gerade etwas ein. Dass du heute mit Kopfschmerzen drin geblieben bist, das verstehe ich ja total. Schließlich hat Thomas mich heute morgen darüber informiert. Doch was war das dann gestern Abend? Wieso wolltest du auf einmal nicht mehr in meiner Nähe sein? Nichtmal küssen durfte ich dich, ohne dass du total abweisend warst. Und am Ende hast du gesagt, dass ich gehen soll. Liege ich richtig in der Annahme, dass solch ein Verhalten nicht von Kopfschmerzen kommt? Ich bin zwar kein Mediziner, doch soweit schaffe ich es noch zu denken." Seine Stimme hatte einen leicht vorwurfsvollen Ton bekommen, den ich von ihm nicht kannte.

Unwillkürlich verspannte ich mich wieder und rückte etwas von ihm ab. Wieso musste er mich jetzt daran erinnern? Klar, es war sein gutes Recht, zu fragen. Doch gerade hatte ich mich wieder akklimatisiert und irgendwie an die Situation angepasst, da kam so eine Frage. Die ich nicht beantworten konnte und wollte.

„Ach das...", wich ich aus und richtete meine Augen auf den Boden, um ihn nicht ansehen zu müssen. Ich wollte nicht, dass er bemerkte, wie unwohl mir bei dieser Frage war.

„Das...?"

Irgendwas würde ich mir ausdenken müssen. Aber ich wollte ihn nicht anlügen. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich spazieren war und danach war ich einfach müde und ein bisschen schlecht drauf", redete ich mich heraus und hoffte, dass Peter wie sonst nachgab und über etwas anderes redete. Um ihn abzulenken legte ich meine Hand auf seine Wange und näherte mich seinem Gesicht, um ihn zu küssen.

Doch Peter ließ sich nicht darauf ein und legte seine Hände auf meine Schulter, sodass wir auf Abstand zueinander blieben und schaute mir stattdessen in die Augen: „So schlecht drauf, dass du mich aus dem Zimmer wirfst?" Skeptisch zog er die Augenbrauen hoch und ich sah, dass seine Augen ein wenig dunkler wurden. Das Braun kam immer dann stärker hervor, wenn er traurig oder ärgerlich war.

Da ich nicht wusste, was ich darauf antworten soll, schwieg ich einfach.

„Lolla, ich habe das Gefühl, dass du nicht ganz ehrlich zu mir bist. Tut mir Leid, dass ich jetzt die schöne Stimmung kaputtmache, aber mich lässt das nicht in Ruhe, wenn wir darüber nicht reden. Magst du mir bitte sagen, was los ist? Vor allem, was es mit mir auf sich hat? Du hast gestern gesagt, dass es mit mir zu tun hat."

Verdammt, wie kam ich nur aus dieser Situation heraus? Ohne ihn zu verletzen oder unsere Beziehung irgendwie zu schädigen. Normalerweise lenkte Peter bei dieser Art von Gesprächen ja immer ein und ließ die Sache auf sich beruhen - schließlich hatte er nie wirklich nach gestochert, was es zum Beispiel mit meinen Eltern auf sich hatte. Doch das schien sich in diesem Moment zu ändern.

„Peter, ich will nicht mir dir darüber reden, weil..."

Okay, das schien nicht die richtige Taktik gewesen zu sein, denn sofort sah ich, wie sich Peters Gesichtszüge verdunkelten und sich Falten auf seiner Stirn bildeten.

„Du willst nicht mit mir darüber reden, Lolla? Wieso? Es muss doch einen Grund dafür geben!"

„Nein, du hast mich falsch verstanden!", schüttelte ich schnell den Kopf, denn so hatte ich nicht gemeint. Also schon, aber er hatte es als Ablehnung verstanden. Wieso wurde gerade alles wieder kompliziert? Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Die Aspirin wirkte zwar, doch die Nachwirkungen von heute Vormittag wähnten immer noch in mir. „Ich will mit dir darüber reden, aber nicht jetzt, Peter! Sonst lenkt dich das noch ab und das möchte ich nicht, dass ich dir die Tournee kaputt mache oder so. Du hast so hart dafür gearbeitet!"

Intensiv und durchdringen sah mich Peter an und umfasste noch stärker meine Schultern. „Lolla, wenn du weiterhin nicht mit mir redest und dich mir verschließt, macht es mir die Tournee kaputt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Angst bekomme ich davor, was ich falsch gemacht habe. Also sag es mir! Sonst kann ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Auch nicht auf Skispringen." Bittend, fast flehend sah er mich an. Mir tat sein Blick im Herz weh, doch ich konnte es ihm einfach nicht sagen. Nicht hier in diesem anonymen Hotelzimmer. In einer Stimmung, die man nur als äußerst angespannt, gereizt, nervös und übermüdet beschreiben konnte.

„Es wird dich nur ablenken. Deshalb sage ich es dir nicht."

„Wird es nicht, das hier lenkt mich viel mehr ab, Lolla!"

„Doch, wird es! Ich bin mir zu Hundertprozent sicher."

„Nein."

„Doch." Dieses Mal brachte mir das Nein-Doch Spiel keinen Spaß.

„Nein! Sorry Lolla, wenn ich das jetzt sage, aber ich glaube, ich kenne mich selber dann doch ein bisschen besser als du mich. Was mich ablenkt oder nicht, kann ich sehr gut selber einschätzen. Und das hier lenkt mich ab!"

Überrascht trat ich einen großen Schritt zurück, sodass ein Armlänge Luft zwischen uns war. Wie ein Abgrund. So einen Tonfall - ärgerlich, hart und nicht liebevoll - hatte ich noch nie in Peters Stimme mir gegenüber gehört.

„Es tut mir Leid", versuchte ich, ihn zu besänftigen und mich zu entschuldigen, dass ich nicht das tun konnte, was er von mir verlangte. „Vertrau mir doch einfach, dass es besser ist, wenn ich es dir nicht sage!" Langsam wurde ich auch etwas wütend. Wieso akzeptierte er nicht, dass ich es ihm nicht sagen wollte? Wie oft sollte ich denn noch Nein sagen, bis er es verstand?

Kurz und freudlos lachte Peter auf. „Vertrauen?" Angespannt fuhr er sich durch seine braunen Haare, sodass sie wild vom Kopf abstanden und trotz allem musste ich mich sehr beherrschen, um sie nicht wieder zu ordnen. In diesem Moment erschrak ich auf einmal, wie müde und fertig er aussah. „Du willst mir etwas über Vertrauen erzählen? Wann hast du mir bis jetzt richtig vertraut, Lolla?"

Geschockt über diese Frage, die Ernsthaftigkeit in Peters Stimme und das Gefühlschaos, was auf mich einzubrechen drohte, drehte ich mich von ihm weg und ging zu meinem Bett, auf dessen Kante ich mich setzte. Verzweifelt merkte ich, wie meine Hände anfingen zu zittern, wie immer, wenn mir eine Situation anfing zu entgleiten. So war es früher auch immer gewesen. Bis mein Körper wie Espenlaub zitterte und ich nichtmehr richtig schreiben oder einen Stift halten konnte. So wenig hatte ich mich dann noch unter Kontrolle.

Peter kam mir nach. „Entschuldige Lolla, so war das nicht gemeint! Mich macht das nur echt fertig, deshalb habe ich das gesagt." Langsam kniete er sich vor mich auf den Boden und das alles erinnerte mich an die Situation damals im Trainingslager am vorletzten Abend. Sanft legte Peter seine großen, warmen Hände auf meine Knie und schaute mir in die Augen.

Diese grün-braunen Augen.

Doch sie leuchteten nicht. Wie er auch nicht mein geliebtes schiefes Lächeln auf den Lippen hatte.

„Bitte, Lolla! Sag es mir. Bitte! Vertrau mir dieses eine Mal."

„Ich kann nicht mit dir darüber reden", unterdrückte ich einen Schluchzer. „Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, Peter. Ich vertraue dir!"

„Ach ja? Und wieso redest du dann nie mit mir darüber, wie es dir wirklich geht?" Seine Stimme wurde wieder härter und ich merkte, wie er wieder ärgerlich wurde, aber gleichzeitig verstand ich nicht, was er von mir wollte. Ich hatte doch schon nein gesagt? Mehrmals! Und diese Meinung würde ich auch nicht mehr ändern.
„Wenn ich dich frage, wie es dir geht, dann weichst du aus. Wenn es dir schlecht geht, dann sagst du es mir nicht, sondern schweigst. Wenn ich etwas über dich wissen will, dann muss ich Max fragen. Du erzählst mir gar nichts, was dich persönlich betrifft. Wäre Max damals nicht hergekommen, dann wäre ich genauso ahnungslos und wüsste über dich genauso viel wie über einen Stein. Nichts! Steine reden nämlich nicht, genauso wenig wie du, Lolla.
Ohne ihn wüsste ich vermutlich nichtmal, dass du früher Klavier gespielt hast. Oder dass deine Eltern euch Kinder nicht wirklich beachtet, jedoch unheimlich unter Druck gesetzt haben! Dass sie dir nie schreiben. Dass du keinen Kontakt zu deinem Bruder hast. Dass du dein Studium hier komplett selber finanzieren musst. Das alles wüsste ich nicht. Also erzähl mir nicht, dass du mir vertraust, Lolla. Du erzählst mir gar nichts über dich. Absolut nichts. Du hast nie das Gespräch gesucht, um mit mir darüber zu reden. Hast du mal darüber nachgedacht, dass dir keiner helfen kann, wenn du mit niemandem darüber redest? Max lebt nicht hier, also wieso rufst du ihn ständig an. Ich sollte der sein, mit dem du redest, nicht irgendwer anders. Ich bin es leid, Lolla, ganz ehrlich."

„Was willst du denn hören? Wie es war, meinen Bruder weinen zu sehen, wenn er wieder bestraft wurde? Wie es war, zu hören, dass man als Tochter gestorben sei? Dass man ein wertloses Stück Scheiße ist? Ist es das, was du von mir hören willst, Peter?Verdammt, es hat hat einen gute Grund, wieso ich das nicht gerne erzähle!"
Meine Gedanken waren ein einziges Chaos und ich hielt die Luft an. Wie konnte Peter den Streit auf diese Ebene heben? Woher nahm er sich das Recht, über mein Verhalten zu urteilen? So verhielt er sich also, obwohl ich ihn nur schützen wollte vor der Information, dass ich nach unserem ersten Mal schwanger geworden bin und es theoretisch mein ganzes Leben verändern könnte! Und seins gleich mit. Aber ich schützte ihn, indem ich es ihm nicht erzählte und ihm ermöglichte, seinem Beruf nachzugehen, ohne sich sofort Sorgen zu machen. Wie konnte er da so reagieren?

„Lolla, ich...", setzte Peter an, doch ich ließ ihn nicht ausreden.

„Das, was du mir vorwirfst, ist absolut unfair, Peter! Ich habe dich nie angelogen. Manche Dinge brauchen eben Zeit, bis man sie erzählen kann. Ich hätte dir das erzählt!" Entrüstet stand ich auf. Ich konnte ihm nicht länger in die Augen sehen oder seine Hände auf meinen Knien spüren.

„Nie angelogen? Gestern Abend warst du also die ganze Zeit spazieren, bevor du wieder ins Hotel gekommen bist?"

Unsicher nickte ich, denn ich wusste nicht, was er glaubte, zu wissen. Thomas würde nie erzählen, dass ich gestern zu ihm gekommen war und er meinen Bauch geschallt hatte. Und jemand anderes wusste nicht, dass ich gestern gar nicht spazieren gewesen war.

„Wieso hat Thomas mir dann vorhin gesagt, dass ich nicht sauer auf dich sein solle, weil er dich gestern Abend so lange in Anspruch genommen und über minimalinvasive Methoden zur Gastroskopie (Magenspiegelung) abgefragt hat? Wenn du doch angeblich die ganze Zeit spazieren warst?"

Scheiße! Hatte Thomas versucht, mich vor Peter in Schutz zu nehmen? Ich hatte ihm gestern nicht gesagt, dass ich Peter als Ausrede sagen würde, ich wäre spazieren gewesen. So kursierten jetzt anscheinend zwei verschiedene Versionen von gestern Abend. Das konnte doch nicht sein. Ich spürte wie Zorn in mir aufwallte, obwohl Thomas eigentlich nichts dafür konnte. Schließlich war er der Letzte, der etwas für die Situation konnte.

Hatte ich bis jetzt noch ein bisschen Hoffnung gehabt, dass ich Peter beruhigen konnte, war sie nun verflogen. Was passierte hier gerade?

Das Schlimmste war, dass er mich gar nicht mehr wütend, sondern vor allem enttäuscht anschaute.

„Ich habe Thomas gefragt, Lolla. Weil ich dir das irgendwie nicht abgenommen habe, dass du alleine ohne Grund ewig in der Kälte rumgestapft bist. Du wärst doch schon nach zwei Minuten erfroren."
Ein schwaches Abbild seines Lächelns erschien. „Das zum Thema: Du bist immer ehrlich zu mir gewesen. Und vertraust mir. Soll ich Max anrufen? Um endlich zu erfahren, was los ist? Weiß er etwas von der Sache?"

Doch ich schüttelte stumm meinen Kopf. Keiner wusste davon. Nur Thomas. Gezwungenermaßen.

„Ach, soll ich mich jetzt geehrt fühlen, dass du es ihm mal auch nicht erzählt hast? Wo du mit ihm doch sonst anscheinend über alles reden kannst, über das du mit mir nicht reden kannst!"

„Was soll das?", sah ich Peter offen an, denn ich war ratlos. Ich weinte längst und war total durcheinander. Was wollte er noch bezwecken? Es noch schlimmer machen? Das ging kaum.

„Was das soll? Das fragst du mich noch? Du weißt es ehrlich nicht?" Peter fuhr sich wieder durch die Haare. Meine Unterlippe blutete mittlerweile, da ich schon seit einiger Zeit auf ihr herumkaute und der typische Eisengeschmack sammelte sich in meinem Mund. „Lolla, wie soll unsere Beziehung eine Chance haben, wenn du mir nichts erzählst. Nicht, was dich bewegt, berührt, verletzt. Was du machst, wie es dir geht, was ich falsch getan habe? Wenn du nur mit anderen darüber redest, aber nicht mit mir? Ich tue doch alles dafür, dass du mir vertraust! Habe ich je etwas getan, was dich verletzt hat oder ich nicht mein Wort gehalten hatte?"

„Nein."

„Siehst du? Wieso redest du dann nicht mit mir?"

„Peter, es geht einfach nicht...", begann ich, aber ich konnte nicht ausdrücken, wieso nicht. Es war wie so eine Schranke in meinem Kopf und bei manchen Themen war sie ganz bewusst da und ich war froh über sie. Hätte Peter sich einfach drauf eingelassen, dann wäre es für ihn das Beste gewesen, wenn er nicht von dem Ding in mir wusste. Unserem Ding. Aber er hatte diese Chance ja kaputtmachen müssen.

„Was geht nicht?"

„Darüber mit dir zu reden."

„Mit Max könntest du es doch bestimmt auch. Stell dir einfach vor, ich bin er, Lolla!" Peters Stimme wurde wieder weicher und ich sah ihm seine Verzweiflung an, wie er bittend meine Hand nahm. „Bitte Lolla, sprich mit mir. Beweis mir, dass ich mir das alles nur eingebildet habe und du mir vertraust!" Das Letzte hatte er fast geflüstert und seine Stimme brach weg.

„Peter, es geht nicht. Mit Max zu reden ist etwas anderes als mit dir, weil er mich..."

„...versteht und ich nicht." Ich sah, wie Peters Lippen leicht anfingen zu beben und seine Augen traurig wurden. „Das ist es, was du sagen wolltest, oder?"

Überfordert zuckte ich mit den Schultern. Denn im Grunde war diese Aussage richtig. Max verstand mich, weil er seit mehreren Jahren mein bester Freund war. Peters und meine Beziehung war noch zu frisch, als das ich von ihm erwarten könnte, dass er mich verstand. Ich verstand mich ja oft selber nicht.

„Alles klar, Lolla." Peter drehte sich von mir weg und schien aus dem Zimmer gehen zu wollen. Was sollte das heißen? Alles klar?

„Peter? Was ist?" Meine Stimme klang schrill und nervös, da ich nicht wusste, was er vorhatte. Er wollte doch jetzt nicht gehen, ohne dass wir uns wieder vertragen hatten, oder? Wieso akzeptierte er nicht einfach meine Entscheidung?

Verdammt, tu was Lolla!

Vergiss es Mädchen, du hast es verbockt. Peter hat eingesehen, dass du ein hoffnungsloser Fall bist, kreischte das Teufelchen begeistert.

„Peter, warte!", schnell lief ich zur Tür und stellte mich vor ihn, sodass er sie nicht öffnen konnte und ich ihm den Ausgang versperrte. „Versuch doch bitte, mich zu verstehen!"

„Versuch doch einfach mal, mich zu verstehen", schnaubte er wütend. Heute Abend entdeckte ich tatsächlich ganz neue Charakterzüge an ihm. „Wie wäre es damit? Und da du mir anscheinend nichts sagen möchtest, werde ich jetzt gehen. Wie du es gestern gewollt hast."

„Bitte sei nicht sauer auf mich", versuchte ich es, ihn aufzuhalten, „Es tut mir Leid, dass ich so bin."

Ganz ernst schaute Peter mich an und da er nah vor mir stand, hörte ich, wie er tief ein- und ausatmete. Sogar seinen vertrauten Geruch nahm ich war und seine Wärme. Wäre es eine normale Situation gewesen, hätte ich jetzt die Arme um seinen Nacken geschlungen und ihn geküsst, meine Lippen auf seine gepresst, bis wir beide keine Luft mehr bekamen.

„Lolla, wenn du mich abblockst, so wie gestern, so wie heute; wenn du nicht mit mir redest, was los ist; wenn du mich anlügst und mir Sachen verschweigst: Wie sollen wir dann eine vernünftige Beziehung führen?"

Darauf hatte ich keine Antwort. Peter ging an mir vorbei und verließ mein Zimmer.

Und ich blieb alleine, verzweifelt und traurig zurück. Ratlos, wie ich das schon wieder hinbekommen hatte.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 03, 2019 ⏰

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