Kapitel 10

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Die Sonne schien durch mein Dachfenster und weckte mich auf. Langsam öffnete ich die Augen und blinzelte, weil es so hell war. Das war ich gar nicht mehr gewöhnt, denn der September war bis jetzt nur grau und nass gewesen. Gleich bekam ich gute Laune, denn ich war ein echtes Sommerkind. Im Mai geboren liebte ich den Frühling und Sommer, wo man sich nur eine kurze Hose und Flipflops anziehen brauchte und sich nicht in fünf Pullover, Mütze und Schal einpacken musste.

Verwundert registrierte ich, wie warm mir war, obwohl mir sonst immer kalt war, wenn ich aufwachte. Ich schlug die Bettdecke zurück und bemerkte, dass ich in Peters Sachen eingeschlafen war. Seinen dunkelgrünen Kapuzenpullover, der mir viel zu groß war und dessen Ärmel ich zweimal umgeschlagen hatte, und seine graue Jogginghose hatte ich gestern Abend angezogen, nachdem wir kurz miteinander telefoniert hatten.

Ich vergrub mein Gesicht in seinem Pullover und atmete tief ein. Er roch immer noch so gut nach Peter, obwohl der Pullover jetzt schon seit dem Trainingslager bei mir war. Nachdem Peter die Sachen am ersten Tag nicht zurückhaben wollte, hatte ich es einfach „vergessen", sie ihm wiederzugeben.
Bis gestern Abend hatte ich sie aber nicht angezogen. Ich wollte nicht eine der Mädchen sein, die sofort nur noch in den Sachen von ihm rumliefen und nach dem ersten Tag total abhängig waren. Ich war stolz auf meine Selbstständigkeit und auf das, was ich leistete. Und zwischen Peter und mir gab es schließlich nicht mehr als ein paar Momente und diese zwei Küsse.

Aber gestern Abend hatte ich ihn nach dem Telefonat so vermisst, dass ich ihm ganz nahe sein wollte. Und da das die einzigen Sachen waren, die ich von ihm hatte, zog ich sie an und musste dann in ihnen eingeschlafen sein.

Ich machte für einen Augenblick nochmal die Augen zu und genoss es, die Sonne im Gesicht spüren zu können, seinen Geruch einzuatmen und beschloss, dass heute ein schöner Tag werden sollte. Mein Handy lag neben mir und ich schaute drauf, um zu wissen, wie viel Uhr es war.

Da blinkte eine Nachricht auf: „Hey Lolla, hast du gut geschlafen? Was hältst du von morgen und wir treffen uns mittags auf einen Kaffee in der Stadt? Ich habe bis 14.00 Uhr Training, aber danach kannst du dir eine Zeit aussuchen. Ich freu mich auf dich, Lolla!"

Mein Lächeln im Gesicht wurde immer breiter. Bis mir einfiel, dass ich morgen von 14.30 Uhr bis 19.00 Uhr Pflichtveranstaltung hatte. Mist, wieso kam das Studium immer dann, wenn ich keine Zeit für es hatte? Ich liebte ja, was ich studierte, schließlich hatte ich es mir selber ausgesucht. Aber es war so unheimlich zeitaufwendig, dass es schwer war, es manchmal nicht nervig zu finden.
Also musste ich ihm wohl oder übel absagen. Was ich eigentlich nicht wollte, denn ich wollte ihn unbedingt wiedersehen. Auch wenn ich Angst davor hatte, dass sich zwischen uns etwas änderte, wenn wir uns fernab vom Skispringen und Training sahen.

„Tut mir Leid, aber ich habe morgen keine Zeit, da ich ausgerechnet ab 14.30 Uhr Uni habe und das Pflicht ist. Ein anderer Tag?". Hoffentlich war er nicht zu enttäuscht von mir.

Direkt nachdem ich das abgeschickt hatte, fiel mir etwas anderes ein.

„Aber wenn du möchtest, könnten wir uns morgen Abend treffen, ich könnte so ab 19.30 Uhr, und vielleicht was zusammen kochen?" Ich meine, auch Skispringer mussten was essen. „Wenn du nichts gegen eine Mini-Küche hast. Den Weg zu meiner Wohnung kennst du ja jetzt schon."

Nachdem ich das geschrieben hatte, stand ich auf und hüpfte schnell unter die Dusche, um meinen Elan, den ich noch beim Aufwachen hatte, nicht zu verlieren. Danach riss ich die Fenster auf, um die Sonne und die frische Morgenluft hereinzulassen.
Über den Dächern lag noch der Frühmorgennebel und man konnte kaum das Schloss erkennen. Draußen gingen nur einige wenige Menschen und es war ganz ruhig in der Stadt. Ich liebte diese Stimmung, weil sie so beruhigend war. Die Kirche fing an zu läuten. 09.00 Uhr.

„Wahnsinn Lolla, dann kannst du heute wirklich mal in Ruhe frühstücken und dir noch das Skript für nachher durchlesen." Ich war begeistert. Das hatte ich schon lange nicht mehr geschafft. So gut zu schlafen und motiviert in den Tag zu starten.

Flink lief ich in mein kleines Zimmer, riss den alten Kleiderschrank auf und zog meine schwarze Lieblingsjeans mit den Löchern an den Knien heraus. Dazu eine weite weiß-blau karierte Bluse und gepunktete Socken. Ja, ich hatte eine große Schwäche, was karierte Blusen und Socken anging.
Ich liebte fröhliche Socken. Gepunktet, mit Rentieren drauf, Kirschen, Bananen, Fußbällen, Nilpferden. Alles war gut. Hauptsache, sie waren nicht langweilig und einfach nur weiß. Oder schwarz.
Socken waren mein Ausdruck von Lebensfreude. Ich fand, die Welt hatte zu wenig Menschen, die farbige, fröhliche Socken anzogen. Manchmal wurde ich zwar dafür belächelt, weil ich den meisten wahrscheinlich schon zu erwachsen war, um Socken mit Rentieren anzuziehen, aber das war mir egal. Ich war zwanzig. Da durfte man doch noch etwas Kind sein oder nicht? Ich liebte auch Kniestrümpfe. So witzig karierte, wie man sie in England immer zum Rock der Schuluniform anzog.
Heute beließ ich es aber bei dunkelblauen Socken mit weißen und roten Punkten drauf. Man musste ja auch nicht übertreiben.

Ich musterte kritisch mein Aussehen im Spiegel und nickte mir dann relativ zufrieden zu. Mein Wangen hatten eine gesunde rote Farbe, vermutlich von der kalten Luft, die durch das Fenster hereinkam und mich schon wieder bibbern ließ, meine grauen Augen schauten heute mal nicht traurig, sondern blitzten mich an. Schnell band ich mir einen Pferdeschwanz, tuschte meine Wimpern und schlug erstmal schnell das Fenster zu, damit ich nicht wieder zu einem Eisklumpen wurde.
Meine Augen verklärten sich. „Mein kleiner Eisklumpen" hatte er mich genannt auf der Karte. Hatte er geantwortet? Ich schaute auf mein Handy.

„Das klingt doch noch besser als Kaffee. Soll ich dann um 19.30 Uhr bei dir sein? Bin schon ganz gespannt auf deine Wohnung."

Na hoffentlich erwartete er nicht zu viel. Viel Platz war hier nämlich nicht und die Decke an manchen Stellen so niedrig, dass er vermutlich den Kopf einziehen musste, Naja, wenn er sie nicht mochte, konnte ich ihm auch nicht helfen. Ich mochte sie und ich musste hier ja leben.

„Perfekt!", antwortete ich ihm, setzte Kaffe auf und schnappte mir mein Skript für Pathobiochemie. Normale Biochemie hatte man im 2.,3. und 4. Semester gehabt und dabei gelernt, wie alles chemische im Körper funktioniert, wenn es heile war. Jetzt lernte man in der Pathologie der Biochemie, was alles kaputt gehen konnte. Quasi das selbe in grün. Oder gelb. Eigentlich hasste ich solche Sprichwörter.

Den restlichen Tag versank ich im Studium. Nachdem ich vormittags Sprachkurs hatte und merkte, dass das Wochenende zumindest meinem Slowenisch sehr weitergeholfen hat - meine Lehrerin war ganz begeistert, dass mein Akzent ein bisschen weniger geworden war, als ich einen Text vorlesen sollte - saß ich abends dann im Patho-Seminar.

„Wer von ihnen kann mir das Krankheitsbild des Phäochromozytoms erklären?", schaute Professor Krecic in die Runde.

Ha, das stand zwar nicht im Skript, aber das wurde ich damals auch im Physikum - noch in Deutschland - in meiner mündlichen Prüfung gefragt. Sowas vergaß man nicht mehr. Ich meldete mich und der Prof nahm mich dran.

„Phäochromozytom beschreibt eine pathologische, also krankhafte, Veränderung des Nebennierenmarks. Das Nebennierenmark ist im physiologischen, also gesunden, Zustand dafür zuständig, Katecholamine, vor allem Adrenalin und Noradrenalin zu produzieren. Diese werden dann bei Stress durch den Sympathikus ausgeschüttet und sorgen dafür, dass der Körper leistungsfähiger wird.
Zum Beispiel wird die Herzfrequenz gesteigert und der Blutdruck erhöht. Früher war das essentiell für das „Kämpfen oder Flüchten" unserer Vorfahren, wenn Gefahr drohte und man schnell vor z.B. einen Raubtier weglaufen musste.
Beim Phäochromozytom werden zu viele Katecholamine produziert, wobei es zu gefährlichen Blutdruckkrisen kommen kann. Meist verursacht durch einen Tumor im Nebennierenmark", schloss ich meine Erläuterung zufrieden ab.

„Sehr schön erklärt und korrekt. Wissen Sie auch noch, durch was man die erhöhte Konzentration an Adrenalin und Noradrenalin nachweisen kann?, fragte er mich und sah interessiert aus, ob ich das noch wusste.

Was war das nochmal? Ich wusste es nicht mehr genau, sondern riet etwas ins Blaue hinein.

„Ich glaube, früher wurde das über Vanillin...", fing ich an und wartete auf die Reaktion des Profs - der nickte, also fuhr ich fort: „...mandelsäure nachgewiesen. Heute eher über Metanephrin und Normetanephrin im Urin. Also die Abbauprodukte von Adrenalin und Noradrenalin"

„Bei diesem Krankheitsbild haben wir zu viel Adrenalin und Noradrenalin. Wie kann es denn, heutzutage sehr selten, zu einer Unterproduktion kommen?" Er sah wieder alle Studenten an. „Ich gebe Ihnen einen Tipp: Denken Sie an die Synthese (Produktion)."

„Ja?" Er sah mich an.

„Für die Synthese aus der Aminosäure Tyrosin braucht man ja Vitamin C als Cofaktor. Das bedeutet, wenn ein Vitamin C-Mangel vorliegt, also Skorbut, könnte es zu einer Unterproduktion kommen?" Es war eher ein logisches Erschließen meinerseits, als das ich es genau wusste.

„Richtig. Ist Dopamin davon auch betroffen?" Der stellte aber auch viele Fragen. Davon hatte ich jetzt echt keine Ahnung mehr.

„Ist es nicht. Man braucht Vitamin C nämlich erst nach dem Dopamin-Schritt in der Synthese." Sebastian, der Spanier, wusste die Antwort.

Dennoch war ich zufrieden mit mir, denn der gute Schlaf und die Vorbereitung hatten sich gelohnt. Ich war heute gut mitgekommen im Stoff und solche Stunden gaben mir wieder das alte Gefühl zurück, dass ich genau das tat, was ich liebte und mich nicht falsch entschieden hatte.

Nina neben mir stupste mich an. „Na, war die Lolla heute ein kleiner Streber oder was?", sie lachte fröhlich.

„Nö, ich habe nur gute Laune und gut geschlafen", gab ich ich zurück.

„Wirklich?", fragte sie, was sich aber wie „Wörklich" anhörte. Ich musste schon wieder lachen.

„Wörklich", machte ich sie nach, worauf hin sie nur die Augen verdrehte. Sie konnte an ihrer Aussprache genauso wenig machen, wie ich das „R" im Slowenischen nicht ordentlich hinbekam.

„Ist Gemüsepfanne mit Reis okay?", fragte sie mich.

„Natürlich! Du weißt, ich bin nicht anspruchsvoll."

Sie schüttelte vor Unverständnis den Kopf. „Ja, das weiß ich. Du könntest auch jeden Tag Spaghetti essen und wärst zufrieden."

Dagegen konnte ich jetzt nicht so viel sagen, denn in der letzten Klausurphase hatte ich tatsächlich fast ausschließlich von Nudeln gelebt. Es war eben unübertroffen schnell und man musste nicht viel abwaschen. Bei so etwas dachte ich sehr pragmatisch.

Zwei Stunden später saßen wir in ihrer gemütlichen - im Gegensatz zu meiner - luxuriös großen WG-Küche und aßen eine unglaublich leckere Gemüse-Reis Pfanne, die ganz schön scharf war. Aber es sollte ja gesund sein, scharf zu essen. Wir tranken Weißwein dazu, da Nina wusste, das ich nicht so der Rotwein-Mensch war.

„Jetzt erzähl mal: Wieso hattest du so gute Laune heute? Hab ich was verpasst? So engagiert und begeistert habe ich das letzte Mal Anfang des 5. Semesters erlebt." Ihre hellblauen Augen funkelten und gaben einen interessanten Kontrast zu ihre Sommersprossen und den roten Haaren. „Verschweigst du mir etwas?"

„Nö, tue ich nicht. Die Sonne schien nur heute morgen und ich hatte endlich mal wieder Zeit, in Ruhe aufzustehen und zu frühstücken. Und das habe ich lange nicht mehr gemacht."
Selbst in meinen Semesterferien hatte ich fast jeden Tag in einem Café gekellnert. Meine Wohnung finanzierte sich schließlich nicht von alleine und auf die Unterstützung meiner Eltern konnte ich nicht zählen.

„Das ist alles." Ich hatte nicht vor, Nina auf die Nase zu binden, das meine gute Laune etwas damit zu tun haben könnte, dass ich in Klamotten, die nach Männershampoo und Pfefferminz-Zitrone rochen, aufgewacht war, eine Pinguinkarte auf meinem Nachtschrank stehen hatte und dazu noch eine Nachricht auf meinem Handy war, von jemandem, der mich sein „Eisklumpen" nannte.

Verträumt schaute ich in den klaren Wein und schwenkte besonnen die Flüssigkeit im Glas. Wie es wohl sein würde, ihn wiederzusehen? Ob sich etwas geändert hatte, wenn ich nicht mehr die „Ärztin" beziehungsweise die Rolle von Thomas Assistentin einnahm? Er würde immer noch der Peter Prevc, Skispringer, sein. Ich aber nur noch irgendeine dahergelaufene Medizinstudentin, die zwischen den Auf und Abs des Lebens die Lebensfreude und den Sinn des Lebens in Slowenien suchte. Ob das ausreichte?

„Da ist doch was! Du guckst, als wärst du ein Ochse".

Wieso wussten alle immer, wenn ich was anderes dachte, als ich es sagte?

Okay Max, vielleicht haben andere Menschen doch eine bessere Menschenkenntnis als ich. Oder man konnte mich mal wieder lesen, als würde mir alles auf der Stirn stehen. Ich sollte „Connie nach Schauspielkurs fragen" in meinem Handy auf die To-do-Liste setzen!

„Danke Nina. Freut einen doch immer, wenn man gesagt bekommt, dass man aussieht wie ein Ochse", ich lachte über ihr verdutztes Gesicht.
„Das Wochenende war zwar anstrengend, aber die Arbeit hat mir gut getan am Wochenende. Mal an was anderes denken können, als immer nur lernen zu müssen." Das meinte ich ehrlich. Über praktische Anwendung ging nichts, da konnten auch die tollsten theoretischen Inhalte nicht gegen ankommen.

„Aber du kellnerst doch nicht immer noch in dem Café oder? In den Ferien hast du da immer morgens die Frühstückszeit bis zum Mittagstisch gemacht und das passt doch gar nicht mit dem Sprachkurs und unseren Praktika oder?" Nina sah mir erstaunt an. „Aber wo denn dann?"

„Ne, das Café war echt nur übergangsweise für die Semesterferien. Außerdem wollten die mich, glaube ich, eh nicht länger haben. Weißt du noch, wie viele Tassen und Teller ich aus Versehen kaputt gemacht habe?"

Wir mussten beide lachen, denn ich hatte mich beim Kellnern als absoluter Schussel angestellt. Ständig war mir irgendwas beim Abräumen runtergefallen, einmal war ich sogar gestolpert und alles Geschirr auf meinem Tablett war runtergefallen. Aber ich konnte ganz gut darüber lachen. Auf Dauer wäre das aber unmöglich gewesen.

„Der Teamarzt der slowenischen Skispringer hat eine Aushilfe gesucht und da war ich vor knapp zwei Wochen beim Vorstellungsgespräch. Und damit ich das Team kennenlernen konnte, haben die mich am Wochenende mit auf Trainingsfahrt genommen. Und das ging bis Sonntag Abend und deshalb war ich so müde die letzten Tage, auch wenn es cool war."

Nina schien beeindruckt. „Das ist ja cool. Was darfst du da machen? Skispringer? Sehen die gut aus? Ich kenne mich da nicht so aus."

Ich grinste. Nina dachte aber auch immer nur an das eine. Oder es war der Wein.

„Nichts Aufregendes. Der operiert ja nicht oder so. Bisschen Routine, eigentlich wie Famulatur. Blut abnehmen, mal Lungen oder Herz abhören, EKG schreiben.
Aber Dr. Kovačević, der Teamarzt, hat richtig was drauf und hat mich auch zwei mal Röntgenbilder von Fuß und Schulter mit diagnostizieren lassen."

Die Erinnerungen kamen hoch und ich merkte, wie sehr ich die Zeit genossen hatte, neue Erfahrungen zu machen. Auch wenn für die nächsten drei Wochen wieder Alltag angesagt war. Das letzte Wochenende konnte mir keiner mehr nehmen.

„Und wer von denen sieht jetzt gut aus? Komm Lolla, das kann doch nicht sein, dass du so naiv durch die Welt läufst! Du brauchst endlich einen Freund, der dich vom lernen abhält. Am besten einer, der kochen kann, damit du keine Nudel-Vergiftung bekommst." Nina übertrieb mal wieder vollkommen. Dafür schmeckte ihr Essen wirklich hervorragend.
In ihrer Gesellschaft zu sein, tat gut, denn so konnte man nicht so viel über sich selber und die nächsten Hindernisse im Leben nachdenken. Ich war ihr wirklich dankbar und so verzieh ich ihr auch die Neugierde.

Wir räumten den Tisch ab - sie spülte und ich trocknete ab, nachdem sie mich gewarnt hatte: „Wenn du auch nur einen Teller fallen lässt, koche ich nie wieder für dich. Wir haben nämlich nur noch fünf Teller in der ganzen WG!"

„Keine Angst, ich passe auf. Und damit du mich in Ruhe lässt. Es ist wie in allen anderen Sportarten auch. Manche sehen gut aus, manche eben nicht. Wie immer. " Ich hoffte, dass damit die Sache abgeschlossen war.

Nina sagte schon seit letztem Semester, ich bräuchte dringend einen Freund, weil sie der Meinung war, ich arbeitete und lernte zu viel. Aber ich wollte nicht einfach nur einen Freund haben, um eben einen Freund zu haben. Wenn ich wartete, konnte ich auch gleich auf den Richtigen warten. Sie selbst war da etwas entspannter eingestellt, ging gerne und viel auf Dates und war seit zwei Monaten mit einem Slowenen zusammen, der Kunstgeschichte studierte.

„Boah Lolla, das war so eine präzise Aussage. Bitte nicht zu viele Details." Sie funkelte mich gespielt böse an. „Ich habe dir auch sofort von Andrej erzählt."

„Ja, aber du bist auch eine Flirt-Maschine und hast so etwas voll drauf. Ich eben nicht, deshalb rede ich da auch nicht so gerne drüber." Langsam wurde ich sauer auf mich selber. Wieso war ich schon wieder so verkrampft, was das anging?
Lolla, entspann dich doch mal!, redete ich mir selber ein. Also hatte nicht mal das Glas Wein geholfen.

„Okay, okay, also einer da ist irgendwie etwas Besonderes. Peter heißt der. Aber ich kenne ihn noch nicht gut und weiß überhaupt nichts über ihn. Und er nicht über mich. Außerdem ist er Sportler und ich Medizinstudent. Also kannst es auch gleich wieder löschen, wenn du mich fragst." Wenigstens hatte ich mich getraut, darüber zu reden. Das war schonmal ein Fortschritt für meine Verhältnisse.

Ich war zwar mittlerweile super locker im normalen Umgang mit Menschen, lernte gerne Leute kennen und konnte mich ewig unterhalten, aber in bestimmten Situationen wurde ich einfach immer noch extrem unsicher. Und das nervte mich selber.

Nina zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Wieso so hoffnungslos? Die Liebe stirbt zuletzt, Schätzchen. Man muss auch etwas an sich glauben. Also Peter, wie ist er so? Wie sieht er aus? Hast du ein Foto von ihm?"

„Er ist Skispringer Nina, du musst ihn nur googeln und hast einen Wikipedia-Eintrag von ihm vor der Nase. Und keine Ahnung wie viele tausend Fotos. Außerdem heißt es: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Nicht die Liebe."

Natürlich holte sie gleich ihr Handy raus.

„Peter wie?"

„Prevc"

Sie tippte und scrollte mit ihrem Daumen durch die verschiedenen Fotos. „Süß", befand sie und runzelte die Stirn. „Wie alt ist er? Er sieht ein bisschen älter aus als du. Er hat ein schönes Lachen und tolle Augen".

Damit hatte sie auf jeden Fall den Nagel auf den Kopf getroffen. „Kein Ahnung, wie alt er ist. Ich habe noch nicht genau nachgeguckt. Wobei, doch stimmt. Ich habe ihn nach dem ersten Tag mal gegoogelt. 23 oder? Im September Geburtstag?"

„Und du, Herzchen, willst mir weiß machen, dass du nicht schonmal intensiver über ihn nachgedacht hast?" Sie lachte herzlich. „Gegoogelt und weißt schon seinen Geburtstag. So fängt es immer an, Lolla."

„Okay, können wir das Thema bitte wechseln? Lass uns doch mal über was Anderes reden. Wann besuchst du das nächste Mal deine Familie in Irland?" Nina vermisste ihre Familie, besonders ihre zwei kleinen Zwillings-Brüder schrecklich.

„Wann siehst du ihn wieder? Arbeitest du da regelmäßig oder immer nur bei Trainingsfahrten?" Sie war einfach nicht zu stoppen.

„Ähm ja. Also ja, schon regelmäßig. Nur im Moment hat die Saison noch nicht angefangen, deshalb erst in drei Wochen. Wobei eigentlich sehe ich ihn schon früher." Das Letzte hatte ich sehr leise gesagt und auf den Boden geschaut, während ich den Teller abrubbelte.

„Wann?", Ninas Augen wurden größer. „Drei Wochen hältst du das nie im Leben aus, Lolla. Schau dich doch an". Sie grinste bis zu beiden Ohren und ihre Haare schienen noch mehr zu leuchten als normalerweise.

„Ach du", ich schlug ihr empört mit dem Geschirrhandtuch auf den Arm. Sie quietschte auf und nahm mir schnell den Teller aus der Hand, bevor ich ihn runterfallen lassen konnte. „Er hat mich gefragt, ob wir morgen Kaffee trinken gehen wollen, aber da wir ja Uni haben, habe ich ihm gesagt, dass er zu meiner Wohnung kommen soll und dann kochen wir was zusammen."

„Hoffentlich nicht Nudeln!" Sie sah geschockt aus.

„Ähm... Doch?" Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ey komm, daran wird er sich bei mir gewöhnen müssen."

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