Kapitel 8

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Sonntagmorgen im Kraftraum

Domens Sicht

„Großer Bruder?"

Gespielt beiläufig sah ich Peter an, während ich weiter meine Beinmuskulatur auf dem Ergometer lockerte und Peter neben mir auf dem Laufband lief.
Wir konnten beide heute morgen nicht mehr schlafen und waren deshalb schon um 7 Uhr in den Kraftraum des Hotels gegangen, um uns auszupowern. Die anderen schliefen alle noch, denn heute am Sonntag war erst um neun Uhr Frühstück.

„Hm?", murmelte er und guckte nicht mal nach oben, sondern starrte weiter auf seine Füße, die sich wie von selbst bewegen zu schienen. Peter sah aus, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders.

„Ist alles klar?", versuchte ich es. Vielleicht redete er ja von sich aus. Auch wenn ich das nicht glaubte.

„Ja, klar. Bei dir auch?". Er sah mich immer noch nicht an.

„Ja, aber darum geht es mir nicht. Mit dir ist doch was? Ich habe so einen „kleiner-Bruder-spürt-wenn-es-Peter-nicht-gut-geht - Sensor!"

„Domen du hast gar keinen Sensor, also sei still. Es ist alles gut. Ich hab nur nicht gut geschlafen und meine Schulter tut etwas weh - ich habe sie mir am Freitag gezerrt - das war es. Nichts, was dich beschäftigen müsste."

Er war wirklich eine harte Nuss, aber so war Peter immer. Er redete nie viel über Gefühle. Zumindest nicht mit mir.

„Und wieso hast du schlecht geschlafen? Hast du dich mit jemandem gestritten?", tat ich einen auf ahnungslos, denn ich war mir ziemlich sicher, dass es sich bei diesem Jemand um Lolla handelte.
Gestern, nachdem ich sie im Schach geschlagen hatte, hatte Peter das Zimmer verlassen und war kurze Zeit später mit ausdruckslosem Gesicht zurückgekehrt und hatte sich schlafen gelegt, ohne ein Wort zu sagen. Mehr wusste ich aber nicht.

„Keine Ahnung. Nein, habe ich nicht. Manchmal schläft man eben schlecht. Konzentrier dich auf dein Fahrrad und lass mich laufen."

So würde ich gar nichts aus Peter rausbekommen. Ich beschloss, meine Strategie zu ändern.

„Was hast du mit Lolla in deinem Bett gemacht?"

Peter riss seinen Kopf hoch und schaute mich mit großen Augen an. Er vergaß sogar weiterzulaufen und wär fast mit dem sich ziemlich schnell weiter bewegenden Laufband nach vorne gekippt. Er konnte sich gerade noch vorne festhalten, drehte die Stufe runter, fast auf Stillstand. Zu gerne hätte ich jetzt in seinen Kopf geschaut.

„Wieso kommst du drauf, dass ich was mit Lolla in einem Bett gemacht haben sollte, Domen? Unser Zimmer hat zwei Einzelbetten, falls es dir noch nicht aufgefallen ist", schaute mich Peter unglaublich misstrauisch an.

Wäre ich nicht so besessen darauf gewesen, rauszukriegen, was gestern Abend zwischen denen war, hätte ich jetzt laut losgelacht.

„Netter Versuch, Peter. Aus meiner Frage kannst du schließen, dass ich der Meinung bin, dass ihr diese strikte Trennung der Betten nicht wirklich beachtet habt."

Ich war mir unsicher, ob ich ihm sagen sollte, dass ich die beiden zusammen gesehen hatte. Schließlich wusste ich ja nicht, was wirklich mit denen war. Hätten die beiden jetzt miteinander geschlafen in der ersten Nacht, auch wenn ich zu hundert Prozent vom Gegenteil überzeugt war, dann wollte ich keine Einzelheiten dazu wissen.
Mich interessierte jetzt eher, ob die beiden sich gestern Abend gestritten hatten. Und vor allem wieso? Es musste mit Lolla zu tun haben. Das merkte ich an seiner Reaktion ganz deutlich. Zwischen den beiden musste etwas gewesen sein.

„Hast du gesoffen oder so? Ich habe keine Ahnung, was du von mir willst, Domen." Peter schien hoch entschlossen zu sein, mir nichts, aber auch gar nichts, zu verraten.

Sollte ich schwerere Geschütze auffahren?

Komm Domen, die werden schon nichts miteinander gehabt haben! Das würde Peter niemals gebacken bekommen, so ein cooles, hübsches Mädchen wie Lolla gleich am ersten Tag abzuschleppen. Er bekam es ja nichtmal hin, mit seinem kleinen Bruder über sie zu reden.

Noch einmal gebe ich ihm die Chance, es von sich aus zu erzählen, setzte ich mir ein Limit.

„Magst du Lolla, Peter?"

„Klar, sie ist freundlich und nicht so anstrengend wie du, Domen, und sie scheint Thomas gut zu unterstützen. Wieso sollte ich sie nicht mögen?"

Okay Bruder, du hast es so gewollt.

„Ich hab euch gesehen. Zusammen. In deinem Bett. Am Freitagmorgen", sagte ich und war wie ein Flitzebogen gespannt, wie er jetzt reagieren würde.

„Aber...", fing Peter an.

„Versuch nicht, mir zu widersprechen. Wenn, dann weiß ich, dass du lügst. Außerdem hatte sie deine Sachen an."

„Aber wieso...?", fing er an. „Wie und wann willst du uns denn gesehen haben?" Er schien vor allem verwirrt zu sein. Klar, er wusste ja nicht, dass ich in ihrem Zimmer war.

„Kurzfassung, auch wenn das hier nichts zur Sache tut: Lolla war so verplant, oder von dir abgelenkt", den Stich konnte ich mir nicht verkneifen, „dass sie ihr Handy stumm gelassen hatte. Als ich sie morgens anrief, ist sie nicht rangegangen und ich wollte sie aufwecken. Aber ihr lagt beide in deinem Bett."

„Aha", stellte er fest. Peter schien schon wieder in Gedanken versunken zu sein.

„Also ich will echt keine Einzelheiten von deinem Liebesleben wissen, verschone mich davon, aber sag mir: Hast du sie ernsthaft in der ersten Nacht schon rumbekommen? Wie? Das hätte ich dir nicht zugetraut. Und sag mir, was gestern Abend los war."
Ich drehte beim Ergometer den Widerstand runter, denn mir lief mittlerweile schon der Schweiß in die Augen und so doll auspowern wollte ich mich eigentlich noch nicht vor dem eigentlichen Training.

Peter schien da anderer Meinung zu sein, er hatte die Schnelligkeit wieder hochgedreht und rannte fast auf dem Laufband.

„Ich fasse es nicht, wie wenig Privatsphäre man bei so einem kleinen Bruder hat. Aber Respekt Domen, dass du erst jetzt damit rausrückst. Und zumindest so taktvoll, dass weder sie noch andere Leute dabei sind." Seine Stimme triefte quasi vor Sarkasmus und Ironie.

War er etwa sauer auf mich? Ich hatte schließlich wirklich nichts Falsch gemacht. Ich wollte ja nur, dass mein Bruder ehrlich zu mir war.

„Also was war Peter? Spann mich doch nicht so auf die Folter. Oder hast du es schon verbockt? Das würde zu dir passen." Vielleicht würde er schneller zum Punkt kommen, wenn ich ihn herausforderte beziehungsweise etwas kränkte.

„Kannst du mal aufhören, Domen? Das kann ich gerade echt nicht gebrauchen. Du tust gerade nicht, als wärst du mein Bruder, sondern als wärst du die Stasi und würdest mich verhören."

„Peter, ernsthaft, das ist lächerlich. Außerdem verstehe ich mich auch gut mit Lolla, da finde ich, habe ich es verdient, zu wissen, was zwischen dir und meiner Mathe-Nachhilfe läuft. Wehe, du vergraulst sie!"

„Boah, du bist so ein furchtbarer Quälgeist, weißt du das? Dass wir zwei verwandt sein sollen", schüttelte er seinen Kopf"

War das sein Ernst?

„Damit du mich in Ruhe lässt: Erstens läuft zwischen uns nichts Richtiges. Vielleicht noch nicht, aber das weiß ich nicht. Zumindest habe ich sie nicht abgeschleppt, rumbekommen oder wie auch immer du das in deinem Hirn nennen magst.
Lolla war in der ersten Nacht nur kalt und hat gezittert wie bescheuert. Und das konnte ich nicht mitansehen. Also habe ich ihr Klamotten von mir gegeben und ihr gesagt, dass sie auch in meinem Bett schlafen kann. Körperwärme und so, du weißt schon. Das wars. Jetzt zufrieden?"

Es hörte sich relativ schlüssig an, da Lolla mir ja auch erzählt hatte, dass ihr kalt gewesen war und sie deshalb Peters Klamotten anhatte. Allerdings wusste ich noch genau, wie die beiden im Bett gelegen hatten. Peter hatte beide Arme um sie geschlungen und sie waren ganz eng zusammen gekuschelt. Aber ich glaubte Peter, was sollte ich auch sonst machen?

„Und in der zweiten Nacht?" Jetzt war ich neugierig geworden. Es musste mehr zwischen denen gelaufen seien.

„Ich hatte mich doch vorgestern verletzt im Kraftraum. Sie hat meine Schulter massiert und irgendwie hat es zwischen uns schon so ein bisschen geknistert. Und ich hatte das Gefühl, dass es auch in ihrem Sinne war, denn ich habe sie wirklich nicht bedrängt."

Sieh an, so langsam kam Peter in Redestimmung. Ich unterbrach ihn nicht.

„Gestern Abend als ihr Schach gespielt habt, hab ich ihr unterm Tisch meine Hand aufs Bein gelegt. Ja, ich wollte sie ein bisschen aus der Konzentration bringen. Sie ist ein angenehmerer Zimmergenosse als du, Domen. Vor allem stellt sie nicht so viele Fragen", er guckte mich grimmig an.

Ich fing an zu lachen und nahm das als Kompliment.

„Ach, deshalb hat sie den einen Zug so verhauen. Ich hätte sie nie besiegt ohne das."

„Genau, aber danach war sie richtig komisch. So ganz anders, als Lolla normalerweise drauf ist. Sie hat meine Hand genommen und mir wieder aufs Bein gelegt. Als sie dir dann geschrieben hatte, dass sie in ihrem Zimmer bleiben will, wusste ich, dass irgendwas komisch war.
Und sie hatte geweint, zumindest hatte sie rote Augen. Aber ich weiß nicht wieso! Doch nicht wegen so einem Spiel.
Ich glaube, es hatte etwas mit mir zu tun. Dabei habe ich ihr wirklich nur die Hand aufs Bein gelegt. Naja, und sie hat irgendwas von Kontrollverlust und Entscheidung abgenommen und so geredet. Ich grübel immer noch darüber, was sie meinte.
Am Ende war sie dann fast wieder wie Lolla und hat gesagt, sie müsse nur nachdenken. Aber ich könnte schwören, als ich draußen vor der Tür war, dass sie wieder angefangen hat, zu weinen, und sie hat mit jemandem telefoniert. Verstanden habe ich nichts.
So jetzt weißt du alles. Helfen kannst du trotzdem nicht, deshalb lass mich in Frieden. Wir sollten eh gleich nach oben gehen." Peter hatte mich immer noch nicht angeschaut. Lolla schien ihm wirklich wichtig zu sein, wenn er sich so davon runterziehen ließ.

„Liegt dir etwas an ihr? Also ernsthaft, nicht irgendein Flirt.", sah ich ihn prüfend an, während ich vom Ergometer runter stieg.

Er tat sehr beschäftigt, schaltete das Band aus und wischte sich mit dem Handtuch die Stirn ab.

„Peter?"

Er nickte unmerklich. Aber er nickte.

Irgendwie freute ich mich voll, denn Lolla war echt cool. Auch wenn es nicht so schien, als sei es bis jetzt mit Erfolg gekrönt. Doch Peter brauchte normalerweise eh immer eine ganze Weile bis was passierte zwischen ihm und Mädchen beziehungsweise Frauen.
Man würde schon sehen, was aus ihm und Lolla werden würde. Wenn die Saison anfing in drei Monaten, sah die Welt auch wieder anders aus.

„Warte mal, wäre ich ihr Schwager würdet ihr heiraten?"

„Hast du noch alle Tassen im Schrank Domen?"
Aber Peter musste lachen. Ich boxte ihm gegen die Schulter und wir gingen zusammen zum Frühstück.

Ca. 12 Uhr vor dem Mittagessen

Lollas Sicht

„Heute teste ich dich zum Abschluss ein bisschen aus Lolla." Thomas sah mich erwartungsvoll an, während wir zum Behandlungszimmer gingen. „Ich habe eine Untersuchung für dich, die etwas über die normale Routine hinausgeht. Da ansonsten heute nichts ansteht, würde ich sie dir überlassen, aber im Zimmer bleiben, damit ich es beobachten kann."

„Geht klar." Ich nickte begeistert. Eine Untersuchung, die ich durchführen durfte, war immer cool. Genau das richtige für den letzten Tag.

Wir sollten nach dem Mittagessen so um 16.00 Uhr abfahren und mir wurde schon das Herz schwer, weil die letzten vier Tage mir wirklich Spaß gebracht hatten. Meine kleine Krise von gestern Abend hatte ich überwunden, auch wenn ich Peter bis jetzt noch ignoriert hatte.
Ich wusste einfach nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Die Momente zwischen ihm und mir waren etwas Besonderes, zumindest für mich, gewesen, das hatte ich gestern Abend erkannt. Max hatte mir eingebläut, dass ich ihn nicht einfach aus Angst vor meinen Gefühlen und dem Kontrollverlust wegstoßen durfte. Trotzdem wusste ich nichtmal, ob Peter mich nicht total gruselig fand, weil ich so komisch reagiert hatte.

Ich seufzte tief. Wieso musste ich alles so kompliziert machen? Da war ich Deutschland, dem Land der Kompliziertheit, entflohen und schon ging das Ganze wieder von vorne los.

„Hey Lolla, alles klar? Oder ist das doch zu viel für dich? Dann ist das kein Problem. Ich bin echt zufrieden mit dir, das war eher so als Bonus gedacht. Deshalb bloß kein Druck!" Thomas schaute mich prüfend durch seine Brille an. Er konnte durchaus mit seinem tragbaren Röntgengerät konkurrieren. Ich fühlte mich immer ganz durchleuchtet von ihm.

„Ja, alles gut. Entschuldige, ich habe nur über was anderes nachgedacht. Was soll ich denn machen und an wem?" Entschlossen schob ich die Gedanken an Peter und mich weg und konzentrierte mich auf meine Arbeit. Das hier war es schließlich, weswegen ich hergekommen war.

„Dann ist gut." Er nickte, als wollte er seine Meinung selbst bestätigen. „Das verrate ich dir noch nicht, denn du musst selber darauf kommen. Der Patient sitzt schon im Behandlungszimmer. Lass uns rein." Er hielt mir die Tür auf.

Von der Liege guckten mich zwei vertraute grün-braune Augen an.

Das klappte ja gut mit dem aus dem Weg gehen.

Jetzt waren sie wieder mehr grün als braun und sahen ziemlich überrascht aus. Anscheinend hatte Thomas auch Peter nicht in seinen Plan eingeweiht.

„Hey Peter. Da sind wir schon." Thomas begrüßte Peter mit einem Handschlag.

„Hallo Thomas. Ich dachte, du wolltest... Oder soll Lolla...?" Er schaute Thomas verwirrt an und fuhr sich durch die Haare. Schon standen sie wieder in alle Richtungen ab. Fast hätte ich angefangen zu lachen, weil es so süß aussah.

„Ja, Lolla übernimmt die Untersuchung. Aber verrate ihr bitte noch nicht, was du hast. Ich will, dass sie das selber diagnostiziert. Ich habe ihr das gestern extra nicht erzählt, als du hergekommen bist. Für dich ist das okay oder Peter?"

Thomas schaute zu Peter, der aber nicht im Stande schien, irgendwas zu sagen, sondern nur zu mir sah und wartete, dass ich ihn auch ansah. Ich konzentrierte mich aber gerade darauf, was Thomas sagte, weil ich die Untersuchung nicht verhauen wollte. Für einen Außenstehenden musste das ziemlich witzig aussehen: Thomas guckte Peter an, Peter guckte mich an und ich guckte Thomas an. Also im Endeffekt schauten wir alle aneinander vorbei.

„Also Lolla", holte Thomas mich aus meinen Gedanken zurück. „Ich möchte, dass du einmal alles komplett machst: Anamnese (also den Gesundheitszustand erfragen), körperliche Untersuchung, Diagnose. Röntgenbilder liegen vor, falls du etwas anschauen möchtest. Wenn du nicht weiter weißt, frag einfach. Ansonsten tu so, als wärst du ich." Ich nickte und schätzte, dass Peter nicht ganz ehrlich zu mir war und an einer anderen Stelle ebenfalls Schmerzen hatte, denn das mit der Schulter wusste ich ja schon längst.

„Hallo Peter", fing ich an, irgendwie musste ich ja einsteigen. Jetzt konnte ich ihm auch in die Augen schauen, denn in meiner Rolle als „Ärztin" fühlte ich mich sicherer. „Hast du irgendwo Schmerzen? Wenn ja, wo?"

Jetzt hatte er sein schiefes Lächeln im Gesicht. Und seine Augen leuchteten. Ich hatte dieses Lächeln vermisst.

Konzentrier dich Lolla! Reden könnt ihr später.

„Habe ich. An der linken Schulter und im Rückenbereich."

Jetzt verstand ich sein Grinsen. Er hatte gar nichts anderes und die Schulter kannte ich doch schon! Ich meine, ich hatte sie massiert und dabei quasi nebenbei diagnostiziert. Ich war mir sehr sicher, dass Peter sich den linken Trapeziusmuskel überdehnt hatte, vielleicht sogar ein kleinen Muskelfaserriss, und dass der M. latissimus dorsi (ein sehr großflächiger Rückenmuskel) dabei auch etwas abbekommen hatte. Das war aber nicht weiter dramatisch, sondern konnte durch Schonung und Massagen, die die Durchblutung förderten und die Verspannung lösten, behoben werden.
Ich drehte mich zu Thomas um und sah ihn an. Der zog aber nur fragend die Augenbrauen hoch. Gerade wollte ich ansetzen, ihn zu fragen, wieso ich etwas untersuchen sollte, dass ich schon wusste, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Thomas hatte das ja nicht mitbekommen, weil das abends war. Schließlich hatte ich Peter in unserem Zimmer massiert!

Nicht eurem, seinem und Domen's, Lolla! korrigierte ich mich im Kopf.

Und Peter hatte bestimmt nichts davon erzählt, weil sonst Fragen aufgekommen wären, was ich nach 22.00 Uhr in seinem Zimmer gesucht habe.

Also drehte ich mich flink wieder zu Peter um, musste mich dann aber sehr zusammenreißen, nicht laut loszulachen. Peter hatte auch hart mit sich zu kämpfen. Diese Situation war irgendwie echt absurd. Vor allem, nach gestern Abend.

Ich musste einfach so tun, als hätte ich keine Ahnung. Eine andere Wahl hatte ich nicht.

„Wann sind die Schmerzen denn aufgetreten?"

„Vor einem Tag abends nach dem Laufen. Aber passiert ist es beim Krafttraining."

„Konntest du danach schlafen oder musstest du Schmerzmittel nehmen?" Völlig unbedacht hatte ich die Frage gestellt, weil ich sie einfach so runter spulte, wie ich sie in der Uni auswendig gelernt hatte.

Sein Lächeln wurde weicher, während ich realisierte, was ich gerade gefragt hatte. „Nein...Nein, ich habe keine Schmerzmittel gebraucht. Ich... Ich habe mir die Schulter etwas...hm... eingecremt. Mit Bodylotion." Er konnte das Lachen nicht mehr unterdrücken.

„Mit Bodylotion", ich prustete los, verwandelte es aber gekonnt in ein Husten, um die Situation zu überspielen.

„Hab ich was verpasst?", fragte Thomas ziemlich verwirrt von hinten.

Peter lachte immer noch. „Ne, ist nur so ein Insider." Er blickte mir in die Augen und grinste. „Sorry Thomas."

Ich fing mich langsam wieder und machte mich daran, Peters Schulter zu untersuchen, um glaubwürdig rüberzukommen.

„Ich werde die Freiheitsgrade deines linken Schultergelenkes einmal testen. Lass deinen Arm bitte ganz locker. Ich bewege ihn für dich", sagte ich und griff nach seinem Arm. „Und nicht erschrecken..."
„...ich habe kalte Hände", vervollständigte Peter leise meinen Satz.

Ich bewegte seinen Arm in alle erdenklichen Richtungen und registrierte genau, wann seine Schmerzen auftraten. Dann bat ich ihn, mir zu sagen, wann es wehtat, wenn ich seinen Rücken abtastete.

„Würdest dafür bitte dein T-Shirt ausziehen?", fragte ich, festentschlossen, heute mal nicht die Fähigkeit in ganzen Sätzen zu reden, zu verlieren, nur weil er mit nacktem Oberkörper vor mir saß. Er zog sich mit der rechten Hand sein Poloshirt über den Kopf und drehte mir den Rücken zu.

Konzentriert ließ ich meine Finger über seinen Körper wandern und tatstete alles ab, bis ich die genaue Stelle gefunden hatte. Ich kannte sie zwar schon, aber egal. Das wusste Thomas ja nicht. Peters Haut und sein Körper fühlten sich noch genauso schön wie an dem einen Abend an. Nur, dass ich mich jetzt zusammenreißen musste, nicht das zu tun, nachdem mein Herz gerade verlangte.

„Alles klar. Ich schaue mir jetzt noch die Röntgenbilder an."

Thomas nickte mir zu und rief sie auf dem Computer auf. Sie bestätigten meine Meinung, dass Peter nichts an den Knochen hatte. Ausgekugelt war die Schulter auch nicht, sonst hätte Peter andere Symptome gezeigt und das Gelenk hätte anders im Röntgenbild ausgesehen. So wiederholte ich meine Diagnose, die ich schon vor der heutigen Untersuchung hatte.

Thomas nickte. „Sehr gut Lolla. Ich bin begeistert. Du hast bedacht gehandelt, mit Ruhe und Umsicht untersucht und bist zu dem gleichen Schluss wie ich gekommen. Und das sogar sehr schnell. Ich habe genau das selbe angeordnet, was du gerade vorgeschlagen hast. Schön."

„Dankeschön. Gibt es sonst noch etwas, was hier zu erledigen ist?", fragte ich und freute mich über sein Kompliment. Auch wenn ich die Diagnose schon am Freitag und nicht heute gebildet hatte, war es schön zu hören, dass ich richtig gelegen hatte.

„Nein, geh nur mit Peter raus und packt schonmal eure Sachen. Ich mache hier alles fertig."

Wir verließen den Raum und Peter machte hinter uns die Tür zu.

Unsicher stand ich im Flur und wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war keiner außer uns zu sehen. Vielleicht waren die auch schon alle beim Mittagessen.

„Wie geht es dir?", fragte mich Peter leise und rieb sich etwas nervös über die Nase. Zum Glück ließ er seine Haare in Ruhe, denn sie hatten sich gerade wieder dazu entschieden, ganz normal zu liegen. „Alles okay?"

Ich nickte zögernd und schaute ihn stumm an.

Ganz vorsichtig griff er nach meiner Hand, die - Überraschung - sehr kalt war. Er nahm sie, verschränkte seine Finger mit meinen und führte sie zu seinen Lippen. Sein Kuss war kein richtiger Kuss, eher hauchte er zart auf meinen Handrücken.

Ich fasste Mut und strich ihm mit meiner anderen Hand leicht über die Wange. Da schlang er seine Arme um mich und presste mich ganz fest an seinen muskulösen Körper. Da war es wieder. Pfefferminze und Zitrone. Das Gefühl von Sicherheit. In diesen Armen konnte mir nichts etwas anhaben. Auch ich mir selber nicht. Ich legte meinen Kopf an seine Brust und er gab mir ein Kuss auf meine Haare. Eine Weile standen wir einfach nur so da und er hielt mich fest, als wolle er mich nie wieder loslassen.

„Danke", murmelte ich in sein Poloshirt hinein.

Sanft strich er über meinen Kopf und meinen Rücken. Ich hob meinen Kopf und schaute ihm in die Augen und musste anfangen zu lachen, weil ich mich an die Situation von gerade eben erinnern musste: „Ich habe mir die Schulter mit Bodylotion eingecremt! Also ernsthaft! Das konntest du dir nicht verkneifen oder?" Ungläubig schüttelte ich meinen Kopf.

Peter lachte sein kehliges Lachen: „Natürlich nicht. Hey, wer wollte hier unbedingt, dass ich nach Rosenduft und Granatapfel rieche?"

„Hast recht. Aber das heißt ja nicht, dass du es gleich Thomas erzählen musst!" Belustigt wackelte ich mit dem Kopf. Aber ich nahm es ihm nicht übel. Die Aussicht, dass der Abend gestern vielleicht nicht alles zwischen uns zerstört hatte, stimmte mich heiter und ich bekam meine gute Laune wieder.

Siehst du Lolla, glaub Max einfach und lebe in den Tag! Ich richtete mich auf. Genau. In den Tag leben, genau das würde ich ab jetzt tun!

„Wollen wir zusammen zum Mittagessen gehen?", fragte ich Peter, der begeistert nickte. Bestimmt hatte er schon wieder Hunger.

Doch kurz vor der Tür zum Speisesaal griff er nochmal nach meiner Hand und stoppte mich. Mit seiner leisen, rauen Stimme fragte er: „Erzählst du mir irgendwann, was das gestern war? Irgendwann, nicht heute, nicht morgen, nur irgendwann mal."

Mein Hals schnürte sich zu, weil es mich berührte, dass es ihm wichtig war.

Ich nickte. Und er lächelte. Sein schiefes Lächeln. Also mein Lächeln.

Über den Dächern der WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt